Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 424 / Mai 2022

Fetisch E-Auto

Eine echte Verkehrswende braucht mehr als einen Antriebswechsel

Von Klaus Gietinger

Das Wort „Verkehrswende“ kommt im Koalitionsvertrag der „Ampel“-Regierung nicht vor. Und selbst aufgrund des Ukraine-Krieges weigert sich der Porschefahrer und Verkehrsminister Volker Wissing samt seiner FDP, ein Tempolimit zu erlassen. Hier wedelt nur bei oberflächlicher Betrachtung der Schwanz mit dem Hund, denn weder die SPD noch die verkehrspolitisch schwindsüchtigen Grünen wollen der Autoindustrie in die Parade fahren.

Der Hund heißt also VW, Mercedes, BMW und Audi. Der Schwanz: Wissing, Habeck und Scholz. Die Richtung der Verkehrspolitik in Deutschland will Business as usual: Was nie und nimmer geschehen soll, ist die Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), einer der zentralen Stützen kapitalistischer Akkumulation und Profitmaximierung. Einzig erlaubt ist, die Verbrenner-Motoren durch Elektromotoren auszutauschen. Und zwar alle. Also knapp 50 Millionen PKW plus LKW und Busse. Ein absoluter Irrsinn.

Denn weder ist das E-Auto besonders ökologisch, noch kann es rein aus erneuerbaren Energien bestromt werden. Zudem schleppt es einen irrwitzigen ökologischen Rucksack mit sich herum, der hauptsächlich in den Rohstoff liefernden Ländern zu ökologischen Katastrophen und neokolonialer Ausbeutung führt, wenn nicht zu Kriegen um die Seltenen Erden im Südchinesischen Meer oder den Rohstoffen in der schmelzenden Arktis, wo sich die größten Atommächte USA und Russland direkt gegenüberliegen. 

In allen geschönten Rechnungen des angeblichen ökologischen Vorteils des E-Autos werden viele Faktoren nicht berücksichtigt.
Die sogenannten Erneuerbaren werden immer auf Vollast gefahren. Jeder zusätzliche Strombedarf muss daher woanders herkommen. Das heißt mit massenhaft auftretenden E-Autos muss das zugefahren werden, was noch da ist. Atomkraft ist es nicht mehr, also bleiben Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke. Kein Ökoinstitut außer das Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) in Heidelberg will diesen gravierenden Effekt sehen.

Das bedeutet aber, dass der Strom für die E-Autos mit deren Zahl automatisch dreckiger wird. Hinzukommt, dass fast alle Ökostudien zum E-Auto davon ausgehen, dass der zusätzlich benötigte Strom nur für die E-Autos da ist, wie der Autor Kai Ruhsert in „Der Elektroauto-Schwindel“ darlegt. Was ist aber dann mit der angestrebten (völlig uneffektiven) Wasserstoffwirtschaft, die die Stahl- und Chemieindustrie, die Industrie überhaupt „klimaneutral“ machen soll? Dies erfordert nicht nur viel Wasser, sondern auch Unmengen an Strom. Was ist mit der Speicherindustrie, die gebraucht wird, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Die soll ebenfalls mit Strom oder mit aus Strom „klimaneutral“ hergestelltem Gas betrieben werden. Strom plus Strom ist das Credo des Spätkapitalismus. Es fragt sich nur, wo kommt er her? 

Und dann zählen wir noch die sogenannten Bumerangeffekte (Rebound) auf, die in den meisten Rechnungen nicht berücksichtigt werden.

Effizienzgewinne führen zu mehr Konsum

Gemeint ist hiermit die Rückwirkung von (vermeintlich) effizienten Produkten auf den Konsum. Das aus dem 18. Jahrhundert stammende Jevons-Paradox, dass bessere Dampfmaschinen zu mehr Dampfmaschinen führen, zeigt sich heute bei LED-Lampen, die man länger brennen lässt. Und mit dem Elektroauto fährt man mehr und weiter, denn es ist ja angeblich ein „Null-Emissionsfahrzeug“. Die Effizienz wird durch den Dauergebrauch gemindert, oft sogar ins Gegenteil verkehrt. Das passiert zurzeit mit den SUV und Pick-ups, weder der allgemeine durchschnittliche Spritverbrauch, noch der CO2-Ausstoß des Verkehrs sinkt.

Bumerangeffekt Nr. 1: Wenn man das teure E-Kfz mal gekauft hat, will man auch viel und „emissionslos“ und gern auch in der Stadt damit rumkurven. Der E-Cruiser cruist im Schnitt 25.000 Kilometer pro Jahr statt 14.000 Kilometer wie der Verbrennerpilot. Also fast doppelt soviel.

Bumerangeffekt Nr. 2: Wer sich ein E-Auto kauft, fährt kaum noch öffentlich. Autobefreite Stadt adé. Beispiel Norwegen: Der Anteil des ÖPNV sank in Norwegen bei den E-Auto-Käufer/innen, die zur Arbeit pendelten, um 82%. Klimakatastrophe, wir kommen elektrisch! Auch schicke Teslas sind Stehzeuge, die irrsinnig Platz brauchen. Wer hätte das gedacht?

Bumerangeffekt Nr. 3: Da E-Autos in der Reichweite begrenzt sind, können sie in der Regel einen Verbrenner nicht ersetzen. Was machen Papi oder Mami, wenn sie etwas Kohle haben? Sie kaufen sich zum Verbrenner einen Zweit- oder Drittwagen für den Stadtgebrauch. Elektrofahrzeuge sind in den nächsten Jahren, wahrscheinlich Jahrzehnten, typische Zweit- oder Drittwagen.

Schon hat sich der Autoabsatz erhöht, und damit steigen nicht nur die Profite des Autokartelle, sondern es gibt noch weniger Platz in der Stadt für Menschen und Pflanzen, der Stau wird noch größer, und die Abgase nehmen ebenfalls zu. Diesmal nicht direkt in der Stadt, aber dann eben auf dem Land. Hier wirkt auch gleich wieder die Klassengesellschaft, denn so etwas kann sich nur der gehobene Mittelstand leisten. Und der Besetzungsgrad solcher Fahrzeuge ist noch schlechter, denn in den Urlaub fährt die Familie dann doch mit dem Verbrenner. 

Bumerangeffekt Nr. 4: Die Regierung sieht Stromer als „Null-Emissionsfahrzeug“ an – eine der großen Lügen der Pseudoverkehrswende. Diese „Nullemittenten“ darf der jeweilige Autokonzern mit den Emissionen ihrer Spritschlucker und PS-Hengste verrechnen. Das heißt, für jedes E-Auto gibt es eine hohe Gutschrift, die 2015 sogar noch um den Faktor 1,5 erhöht wurde („Super-Credit“). Überschreitet nun ein Verbrenner-SUV den für ihn angesetzten Grenzwert, müsste dies zu einer Strafzahlung führen. Doch diese Überschreitung wird nun mit dem (falschen) E-Bonus verrechnet, der so hoch ist, dass damit im Schnitt fünf SUV verkauft werden können, ohne dass es zu Strafzahlungen kommt. Dieser führt also mit E-Autos und SUV garantiert zu mehr CO2-Ausstoß.

Bumerangeffekt Nr. 5: Der ganze dreckige Budenzauber wird auch noch finanziell belohnt und subventioniert. Die Förderung von E-Autos macht sie im Betrieb unglaublich billig, vor allem wenn das Stromtanken in der Öffentlichkeit kostenfrei ist, so wie bis 2017 bei Tesla und immer noch bei Aldi bzw. auch bei Ikea.

Gefahr im Stadtverkehr steigt

All diese Bumerangeffekte heben die höhere „Sauberkeit“ des E-Autos komplett auf bzw. machen es gar noch dreckiger.

Während die Verbrenner-Kfz über die Mineralölsteuer zumindest Teile der Infrastrukturkosten finanzieren, tragen E-Autos nichts dazu bei, denn auf Strom wird keine Mineralölsteuer erhoben. Die Betriebskosten sind weitaus geringer als beim ÖPNV und der Diesel- und Benzinerkonkurrenz. Sollten die E-Autos so wie die Verbrenner zur Infrastrukturfinanzierung herangezogen werden, müsste die Stromsteuer um 800% erhöht werden.

Doch noch immer haben wir nicht alle Nachteile der E-Autos erwähnt, beispielsweise deren Gefährlichkeit für Fußgänger/innen und Radfahrer/innen besonders im Stadteinsatz, da sie hier leiser sind als die Verbrenner und weitaus rascher beschleunigen können. Nach einer Untersuchung in den USA erhöhen Stromer im Stadtverkehr die Gefahr für Fußgänger/innen um 53% und für Radfahrer/innen sogar um 72%. Sie töten in der Stadt mehr Menschen als die Verbrenner und draußen genauso viel, zusammen 1,35 Millionen im Jahr 2020.

Gerät ein Stromer in Brand, ist die Feuerwehr oft ratlos, wie sie das Hochvoltgerät löschen kann. E-Autos sind zudem batteriebedingt schwerer, sie befördern meist mit 2 bis bald 3 Tonnen Eigengewicht 100 Kilogramm Mensch bei einem Besetzungsgrad von 1,2 Personen. Sie verbrauchen genauso irrsinnig viel Fläche, erhöhen die Fahrzeugzahlen weltweit, statt sie zu senken, vergrößern den Stau, verschlimmern die Klimakatastrophe, haben Reifen- und Bremsenabrieb und erzeugen damit Feinstaub und Mikroplastikeintrag in Gewässer. Sie sind schon ab 40 km/h aufgrund ihres Rollwiderstands genauso laut wie Verbrenner. Sie töten teils mehr Menschen als die Verbrenner. Mit der wachsenden Zahl von E-Autos wächst automatisch der Stromverbrauch und so kommt es zur Zuschaltung von Kohlekraftwerken. Das E-Auto ist damit genauso unökonomisch, stadtzerstörerisch, unsozial, klimakillend und mörderisch wie seine Verbrennerbrüder. Allenfalls als Kleinwagen-Nischenprodukt bringt das E-Auto etwas – und dann auch nur im Rahmen einer wirklichen Verkehrswende, in der das Auto kein Massenverkehrsmittel mehr ist.

 

Klaus Gietinger ist Sozialwissenschaftler, Regisseur von Spielfilmen und Dokumentarfilmen und Autor. Neben zahlreichen historischen Sachbüchern hat er mehrere Bücher zum Thema Automobilität geschrieben, zuletzt „Vollbremsung. Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen.“ Westend Verlag 2019.
Zur Studie des UPI zum Elektroauto: upi-institut.de/UPI79_Elektroautos.pdf


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