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MieterEcho 425 / Juli 2022

„Es ist in den Jahren viel weggebrochen“

Der Stadtteilladen „Lunte“ im Neuköllner Schillerkiez ist die letzte Bastion der linken Szene in dem von Gentrifizierung geprägten Stadtteil

Interview mit Aktiven des Lunte-Kollektivs

MieterEcho: Seit über 30 Jahren gibt es den Stadtteilladen Lunte in der Weisestraße, mitten im Schillerkiez. In dieser Zeit hat der Stadtteil beträchtliche Veränderungen erlebt. Viele Einwohner/innen wurden verdrängt und mussten besserverdienenden Zuzügler/innen und Häuserspekulanten weichen. Seid ihr so was wie die „letzten Mohikaner“ in diesem Kiez?

Lunte-Kollektiv: Wir sind schon so eine Art Überbleibsel aus den letzten 30 Jahren. In den Laden haben sich im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten Gruppen und Projekte eingebracht, die gekommen und oft auch wieder gegangen sind. Es gab Dritte-Welt-Gruppen, Kindergruppen, ein proletarisches Stadtteilkomitee, weitere Stadtteilgruppen, anarchistische Gruppen und vieles andere mehr. Übrig geblieben ist vor allem die Rote Hilfe, die hier ihren Beratungsstützpunkt hat, und die Gruppe, die regelmäßig die „Volxküche“ macht.

Es ist in den Jahren viel weggebrochen, da auch viele Leute weggezogen sind oder auch wegziehen mussten, da sie die explodierenden Mieten nicht mehr bezahlen konnten.

Wie habt ihr die Gentrifizierungsprozesse konkret erlebt, was hat das für die Arbeit im Kiez bedeutet?

Entscheidender Punkt für die Gentrifizierung war die Schließung des Flughafens Tempelhof, durch die sich der Stadtteil noch schneller verändert hat als zuvor Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Das hat zu einem regelrechten Bevölkerungsaustausch geführt, 40% der alten Bewohner/innen haben diesen Kiez seitdem verlassen. Wir haben das vor allem bei der Entwicklung unseres Straßenfestes in der Weisestraße gemerkt. Das war ja in erster Linie ein linkes Szenefest, zu dem aber auch die Anwohner/innen gerne kamen, auch mit Kindern. Dann wurden wir plötzlich von den Neuen regelrecht überrannt, doch die kamen ein Mal und nie wieder – weil sie da nicht nach ihren Vorstellungen partymäßig bespaßt wurden.

Euer gemeinsames Grundverständnis folgt einem recht radikalen Ansatz. „Aufhebung des Kapitalismus und Unterstützung aller emanzipatorischen Kämpfe gegen Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus sowie gegen alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung. Grundsätzliche Infragestellung der Konstrukte von Staat und Nation“, heißt es dazu in eurer Selbstdarstellung. Wie sieht das in der konkreten Praxis aus?

Der Text ist schon 6 oder 7 Jahre alt und die Gruppen, die dafür verantwortlich zeichneten, gibt es größtenteils gar nicht mehr. Das sind hehre Ansprüche, aber letztendlich halt Parolen. Es gibt einige Grundsätze, die nach wie vor für uns wichtig sind. Wir wollen zum Beispiel nichts mit Parteien zu tun haben. Und in den letzten Jahren sind ja auch neue Gruppen zu uns gekommen, da geht es etwa um die Beratung von Arbeitsmigrant/innen aus Südeuropa, die hier in prekären Jobs sind und einen ganz unterschiedlichen Background haben. Diese Leitlinie, auf lokaler Ebene internationalistisch zu agieren, ist für uns sehr zentral.

Euer Beratungs- und Veranstaltungsangebot richtet sich sich ja eben nicht nur an Anhänger/innen dezidiert radikaler linker Gruppen, sondern vor allem an die Wohnbevölkerung in diesem Kiez. Dazu gehören unter anderem Sozial- und Rechtsberatung sowie eine regelmäßige „Volxküche“. Wie werden diese Angebote über die einschlägigen Kreise hinaus angenommen?

Wie gesagt: Das hat sich ungefähr seit 2010 deutlich geändert. Bis dahin war das eher von der linksradikalen Szene dominiert, aber dann gab es viel konkretere Fragestellungen. Wir haben dann auch Mieterversammlungen organisiert, unter anderem auch zusammen mit der Berliner MieterGemeinschaft, bei denen es um die alltäglichen Probleme der Kiezbewohner/innen ging. Auch schon vorher gab es das Arbeitslosenfrühstück, zu dem sehr viele Leute kamen und dort auch Beratungsangebote wahrnehmen konnten. Und das sind oftmals Leute, die nichts mit der linksradikalen Szene zu tun haben, die haben manchmal ziemlich geschluckt, wenn sie in unserem Laden waren und die Plakate an den Wänden gesehen haben. Aber das haben die dann ganz pragmatisch in Kauf genommen, denn hier gab es einfach die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen.

Die linke Szene galt in diesem Stadtteil lange Zeit als vergleichsweise gut organisiert und vernetzt. Doch nicht zuletzt die Räumung der Kneipe Syndikat und des Kiezladens in der Friedelstraße waren natürlich herbe Schläge gegen diese Strukturen. Was bedeutet das für die Arbeit im Kiez?

Einige Gruppen, die vorher im Syndikat aktiv waren, etwa die AG Nachbarschaft, sind dann nach der Räumung zu uns gekommen und machen hier weiter. Aber viele sind einfach weg, vor allem wegen der explodierenden Mieten, und natürlich haben diese Räumungen die Strukturen im Kiez hart getroffen. So eine linke Kiezkneipe wie das Syndikat kann man nicht einfach ersetzen. Hier gibt es jetzt ja fast nur noch hippe Gas-tronomie. 

Wie ist eure eigene Situation? Hat euer Laden eine einigermaßen sichere Perspektive an diesem Standort?

Glücklicherweise. Wir gehören hier ja zu einem Hausprojekt, das über einen Verein quasi im Besitz der Bewohner/innen ist. Hier wird es keinen Verkauf und keine Spekulation geben. Höchstens die Alterstruktur könnte dazu führen, dass man diese Räumlichkeiten irgendwann als barrierefreien Rentnertreff braucht (lacht). Im Haus wurden auch schon Treppenlifte installiert. Aber solange es Gruppen gibt, die so einen Kieztreffpunkt nutzen wollen, wird es auch die Lunte geben.

Ihr versteht euch als Kollektiv mit basisdemokratischen Strukturen. Wie seid ihr organisiert?

Die Lunte ist ja im eigentlichen Sinne keine feste Gruppe. Sondern ein Ort, der von verschiedenen Gruppen für ihre Arbeit und auch Veranstaltungen genutzt wird. Entscheidungsgremium ist das monatliche Plenum. Da sind die Nutzer/innen und die aktiven Gruppen. Aber auch das ist eine offene Struktur, für alle, die sich dem Laden irgendwie zugehörig fühlen. Natürlich gibt es manchmal sehr unterschiedliche Standpunkte, gerade zwischen verschiedenen linken Gruppen. Aber in der Regel funktioniert das ganz gut nach dem Konsensprinzip.

Basiert das alles auf ehrenamtlicher Tätigkeit, oder werden auch Leute aus dem Kollektiv für ihre Arbeit bezahlt?

Nein, überhaupt nicht. Nur diejenigen, die jeweils für die Volxküche kochen, bekommen das Essen und zwei Getränke umsonst. Aber ansonsten gibt es hier gar nichts. 

Die Kosten für Miete usw. decken wir über Mitgliedsbeiträge und Spenden bei der Volxküche und bei Veranstaltungen.

Viele Projekte sind ja auch durch die staatlichen Maßnahmen während der Hochzeiten der Corona-Pandemie stark eingeschränkt worden. Wie seid ihr mit dieser extremen Lage umgegangen?

Das war schon ein harter Schnitt. Vor dem Lockdown im Frühjahr 2020 hatten wir beispielsweise gerade mit einer Filmreihe hier angefangen, die dann abrupt endete. Das betraf auch alle anderen geplanten Veranstaltungen, die regelmäßigen Beratungen sowie die Volxküche. Es gab noch ein bisschen telefonische Beratung und Volxküche zum Abholen, aber im Prinzip war der Laden dicht, und es dauerte auch seine Zeit, das alles wieder richtig ins Laufen zu bringen.

Mieterkämpfe und der Widerstand gegen Wohnungsspekulation hatten in den vergangenen Jahren eine große Bedeutung für die sozialen Bewegungen in Berlin. Doch es hagelte Niederlagen. Der Mietendeckel wurde gekippt, das Vorkaufsrecht ausgehebelt und das erfolgreiche Volksbegehren für die Enteignung großer Wohnungskonzerne droht zu versanden. Was sind für euch jetzt die wichtigsten Schritte und Aktionen in diesen Fragen?

Wir werden versuchen, gerade in diesem Bereich weiter im Kiez zu informieren, zu beraten oder auch Kiezversammlungen zu organisieren. Da ist vor allem die alte AG Nachbarschaft aus dem Syndikat aktiv. Und wir haben nicht zuletzt unsere große öffentliche Infotafel, die regelmäßig aktualisiert wird und im ganzen Kiez bekannt ist. Kleinere Aktionen zu einzelnen Häusern kann es auch geben. Aber einen „großen Wurf“ für die Mieterbewegung haben wir auch nicht in petto, da sieht es derzeit ja auch allgemein ziemlich mau aus. 

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Interview führte Rainer Balcerowiak.

 

Der Stadtteilladen Lunte befindet sich in der Weisestraße 53 in Neukölln.         
Infos im Internet: dielunte.de


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