Anschlag auf die Gesundheitsversorgung
Reformpläne der Bundesregierung bedrohen Fortbestand zahlreicher Stationen und Kliniken
Von Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz
Personalnot, fehlende Investitionen und „blutige Entlassungen“ , Dauerüberlastung der Rettungsstellen – das sind nur einige der schlechten Nachrichten, die uns seit geraumer Zeit aus den Krankenhäusern erreichen. Jetzt kommen auch noch akute Finanzprobleme aufgrund der exorbitant gestiegenen Preise nicht nur für Gas, sondern auch für Medizinprodukte, Arznei- oder Lebensmittel hinzu. Bei dieser Dichte an Hiobsbotschaften mag man denken, es könne gar nicht mehr schlimmer werden. Doch die aktuellen Pläne des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach lassen genau das befürchten.
Es geht um eine tiefgreifende Reform des Krankenhaussektors, an deren Ende voraussichtlich nur noch ein Drittel der Plankrankenhäuser verbleiben werden. Besonders betroffen sind kleine und mittelgroße Allgemeinkrankenhäuser in ländlichen Gebieten. Dort schließt bereits seit Jahren eine Klinik nach der anderen. Die Hauptursachen der aktuellen Misere hingegen bleiben von den Reformplänen unangetastet: So soll das System der Fallpauschalen – das eine beispiellose Kommerzialisierung und Privatisierung im Krankenhauswesen befeuert hat – ebenso bleiben, wie die Erlaubnis, mit Krankenhäusern Gewinne zu generieren. Es ist der Todesstoß für die Gesundheitsversorgung in der Fläche.
Am 2. Mai verkündete Lauterbach, er habe eine „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ins Leben gerufen. Die Kommission besteht aus 15 Expert/innen, ihre Empfehlungen sollen die Grundlage für eine umfassende Krankenhausreform bilden, deren Umsetzung bereits ab 2023 geplant ist.
Vor der Einberufung der Kommission erklärte Lauterbach, er werde keine Kommission der Verbändevertreter/innen berufen, sondern das Gremium ausschließlich mit Wissenschaftler/innen besetzen. Mit dem Begriff der Wissenschaft bemühte der Minister, den Eindruck von Neutralität zu vermitteln. Der nähere Blick zeigt allerdings, dass bestimmte Interessenvertreter/innen sehr wohl mit am Tisch sitzen – nur getarnt. Die Belange der privaten Krankenversicherungen und Privatkliniken bringt beispielsweise Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg von der SANA Kliniken AG ein. Mit Reinhard Busse und Boris Augurzky sind in der Kommission zwei neoliberale Gesundheitsökonomen vertreten, die seit fünfzehn Jahren medienwirksam Krankenhausschließungen befürworten und diese Agenda in Auftragsarbeiten für private Stiftungen (Bertelsmann, Münch) sowie in politischen Gremien forcieren.
Betroffene blieben außen vor
Die anderen Mitglieder der Kommission sind Beschäftigte großer Kliniken, welche die gravierenden Probleme der kleinen, wohnortnahen Krankenhäuser nicht kennen. Auch in dieser Hinsicht ist die Kommission also kritikwürdig: Es fehlt komplett die Perspektive derjenigen, die von der Reform betroffen sind, nämlich Beschäftigte und Träger der kleineren ländlichen Kliniken, Patient/innen und alle Menschen, die in Regionen leben, wo derzeit Krankenhausschließungen grassieren.
Seit Juli stellt die Kommission ihre Vorschläge nun vor und zwar scheibchenweise. Damit bleibt die Gesamtstrategie für die Allgemeinheit schwer erkennbar. Aber schon jetzt ist klar, dass die Abschaffung der Fallpauschalen nicht auf der Tagesordnung steht, obwohl ihre desaströsen Fehlanreize mittlerweile breit anerkannt sind. Eine Analyse vom „Bündnis Klinikrettung“ zeigt außerdem, dass die bisherigen Reformvorschläge die weitere Ökonomisierung des Krankenhaussektors und die radikale Ausdünnung der Krankenhauslandschaft zur Folge haben werden.
Diese Ziele verfolgen die Schließungslobbyisten seit spätestens 2016, als die ersten Studien von Reinhard Busse dazu veröffentlicht wurden. Den Schließungswillen der Bundesregierung bestätigte dann die Auswertung des Krankenhausstrukturfonds vom 30. November 2020, die Boris Augurzky vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung für den Bundestag verfasst hat. Demnach ist eine „Sollstruktur“ der Krankenhauslandschaft angestrebt, die eine Reduzierung der Klinikstandorte um fast 15% vorsieht. Die Tatsache, dass aktuell 80% der Krankenhäuser aufgrund der exorbitant gestiegenen Preise in Finanznot geraten und viele von ihnen daher akut von der Schließung bedroht sind, kommt der Regierung insofern sehr gelegen. Die Kommission muss einfach gar nichts unternehmen, um den Krankenhäusern ernsthaft finanziell zu helfen. Der Tod kommt dann von selbst.
Als erstes hat die Regierungskommission Empfehlungen „für eine kurzfristige Reform der stationären Vergütung für Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe“ veröffentlicht. Diese Bereiche sind tatsächlich in besonderer Weise betroffen und zwar seit der Einführung der Fallpauschalenfinanzierung im Jahr 2004. Der Mehraufwand bei der Behandlung und Betreuung von Gebärenden und Kindern ist in den standardisierten Pauschalen überhaupt nicht berücksichtigt. Das führt dazu, dass diese Bereiche häufiger als andere Schließungen zum Opfer fallen. Wie die Kommission es positiv ausdrückt: Mit den verbliebenen „334 Standorten hat die Pädiatrie ein Konzentrationsniveau erreicht, das weit über das in der Erwachsenenmedizin hinausgeht“.
Trotzdem laufen die Kommissionsvorschläge darauf hinaus, dass es noch radikalere Schließungen geben wird. Denn die Kommission empfiehlt, nur denjenigen Geburtskliniken mehr Geld zu geben, an die eine Pädiatrie angeschlossen ist. Für die anderen gibt es keine zusätzlichen Mittel – oder es soll sogar gekürzt werden. Zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Themen, wie zum Beispiel die Verbesserung des Personalschlüssels für eine Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen während der wesentlichen Phasen der Geburt, hat die Kommission hingegen kein Wort verloren.
Mit dem nächsten Vorschlag will die Regierungskommission im Schnellverfahren die „Ambulantisierung“ in deutschen Krankenhäusern forcieren. Bereits ab dem 1. Januar 2023 sollen sämtliche Behandlungen, „soweit dies medizinisch vertretbar ist“, auch als Tagesbehandlungen abgerechnet werden können. Das betrifft laut Einschätzungen der Kommission rund ein Viertel der Behandlungen.
Ökonomisierung als Leitprinzip
Der von Lauterbach euphorisch aufgenommene Vorschlag soll angeblich das Personal entlasten und dazu noch Geld sparen. Wieder soll hier der Finanzhebel wirken. Die Krankenhäuser sollen auch Behandlungen abrechnen können, nach denen die Patient/innen ohne Übernachtung entlassen werden. Natürlich werden dies viele Kliniken auch umsetzen. Das Argument „soweit es medizinisch vertretbar ist“ wird dabei sicher nicht die oberste Rolle spielen, denn ein Vergütungssystem, das auf ökonomischen Anreizen aufgebaut ist, lässt andere Gründe außer Acht.
Auch wenn Tagesbehandlungen im Krankenhaus nicht prinzipiell falsch sind, ist die geplante Vergütung für diese in diesem Fall niedriger als bisher. Damit wird der Abbau von Kapazitäten gefördert, zum Beispiel durch die Reduzierung des Nachtdiensts. Personal wird also eingespart, nicht entlastet. Besonders betroffen sind die kleineren Kliniken der Allgemeinversorgung mit hohen Vorhaltekosten, die finanziell in eine Abbauspirale gezwungen werden. Schließungen von Notaufnahmen und ein damit einhergehender Zusammenbruch der regionalen Notfallversorgung sind absehbar. Besonders düster sieht es dort aus, wo ländliche Regionen maßgeblich durch kleine Häuser der Allgemeinversorgung geprägt sind. Die dezidierte Befürwortung Lauterbachs von Kapazitätsabbau erstaunt aufgrund der Pandemieerfahrungen umso mehr. Hat Lauterbach die Engpässe in den Krankenhäusern während der Pandemie vergessen?
Die Reform, die schrittweise realisiert werden soll, entpuppt sich als ein Anschlag auf die Krankenhausversorgung. Das wird für Jahrzehnte unsere Gesundheitsversorgung stark beeinträchtigen. Dass es ohne Einbeziehung der Betroffenen passiert, ist umso schlimmer. Statt den Abbau zu beschleunigen, stünde Lauterbach in der Pflicht, den Raubbau zu beenden, den private Krankenhauskonzerne betreiben, indem sie dem Gesundheitswesen Gelder für ihre Profite entziehen. Ein Verbot, mit Krankenhäusern Gewinne zu machen, wäre ein erster Schritt. Die Ersetzung der Fallpauschalenfinanzierung durch eine Selbstkostenfinanzierung würde den Krankenhauskahlschlag beenden und endlich dafür sorgen, dass öffentliche Gelder nicht in aufgeblähte Abrechnungsbürokratie oder private Taschen fließen, sondern schlicht und einfach in die Behandlung und Betreuung von Patient/innen.
Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz arbeiten für die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB).
MieterEcho 428 / November 2022