Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 420 / September 2021

Rettung in letzter Sekunde

Der Kreuzberger Buchladen Kisch & Co. wird nicht geräumt und hat ein neues Domizil in der Oranienstraße

Von Peter Nowak

Kurz vor dem Räumungstermin kam für den Buchhändler Thorsten Willenbrock die erlösende Nachricht. Zwar musste er seinen Laden „Kisch & Co.“ in der Oranienstraße 25 Ende August verlassen. Doch ab 1. September konnte der Verkauf in neuen Räumen in der Oranienstraße 32 weitergehen.

Vermieter ist dort mit der GSW eine Tochterfirma des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen. Nicht nur Willenbrock vermutet, dass der Konzern wenige Wochen vor der Abstimmung über das Volksbegehren „DW & Co. enteignen“ auf Imagepflege bedacht ist. Schließlich sorgte die Kündigung von Kisch & Co. über Monate für große Aufmerksamkeit. Denn Willenbrock und sein Team haben sich seit mehreren Jahren gegen ihre Verdrängung gewehrt und wurden damit  zu einem Symbol für den Widerstand von Gewerbetreibenden in Kreuzberg. 

Im März 2017 einigte sich Willenbrock mit der Nicolas Berggruen Holdings GmbH, der damaligen Hauseigentümerin der Oranienstraße 25, auf einen Mietvertrag, der dem Buchladen ein Bleiben ermöglichte. Zuvor war das niederländische Brillenlabel Ace & Tate, das die Räume für eine wesentlich höhere Miete übernehmen sollte, aus Imagegründen abgesprungen. Es war klar, dass es in der Kreuzberger Nachbarschaft nicht besonders freundlich begrüßt worden wäre. Die Kampagne „Kisch & Co. bleibt“ war schon vor 4 Jahren auch über Berlin hinaus wahrgenommen worden. „Ein weiterer Erfolg für die Berliner Kiezinitiativen“ kommentierte taz-Redakteur Fabian Franke damals. Doch die Erleichterung war kurz. Berggruen verkaufte das Gebäude an ein Geflecht von Briefkastenfirmen mit Sitz in Luxemburg, die sich „Investmentfonds Victoria Immo Properties“ nennen. Der kündigte dem Buchladen und bekam im April 2021 vor dem Berliner Verwaltungsgericht Recht. Zuvor hatten die beiden Anwälte des Fonds eine vom Gericht vorgeschlagene gütliche Einigung mit dem Hinweis abgelehnt, dass sie dazu kein Mandat hätten. 

Getarnte Eigentümer

Bis heute gibt es nur Indizien über die Eigentümer des Fonds. „Folgt man der offiziellen Eigentümerkette in den luxemburgischen Registern, landet man bei drei Anwälten, die das Immobilienvermögen treuhänderisch verwalten. Sie arbeiten für eine Schweizer Anwaltskanzlei, die vor allem für sehr vermögende Familien tätig ist“, erklärt Christoph Trautvetter gegenüber MieterEcho. In dieser Konstellation sind sie auch in mehreren Funktionen für die schwedische Millionärsfamilie Rausing tätig, deren Vermögen aus der Erbschaft und dem Verkauf von Anteilen des Verpackungsunternehmens Tetra Pak stammt. Trautvetter recherchiert für das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanzierte Projekt „Wem gehört die Stadt?“  Eigentumsverhältnisse auf dem Berliner Immobilienmarkt. Doch diese Ermittlungen scheitern häufig daran, dass der Zugang zum Grundbuch unnötig erschwert wird und es nicht nur in den Schattenfinanzplätzen, sondern auch in Deutschland Eigentümer/innen gesetzlich leicht gemacht wird, ihre Identität zu verbergen. „Wenn Manager/innen und Anwält/innen in ihrem Namen räumen, machen sie es den Eigentümer/innen leicht, sich ihrer Verantwortung zu entziehen“, kritisiert Trautvetter.

Das hat auch Folgen für die Protestbewegung, wie sich bei Kisch & Co. zeigte. Die Nicolas Berggruen Holdings GmbH war noch „druckempfindlich“. Einen Fonds mit einem anonymen Firmengeflecht hingegen interessieren Proteste nicht. Daher unterstützen viele Stadtteilinitiativen die Forderung von Trautvetter, dass Mieter/innen Auskunft über die Eigentumsverhältnisse ihrer Häuser bekommen müssen. 

Die Widerständigkeit des Kisch & Co.-Teams hat immerhin dafür gesorgt, dass der Buchladen, wenn auch auf verkleinerter Fläche, für die nächsten 10 Jahre in Kreuzberg bleiben kann. Für die anderen Mieter/innen der Oranienstraße 25 ist die Perspektive hingegen völlig ungewiss. Dazu gehört „Die Neue Gesellschaft für bildende Kunst“ mit ihren Ausstellungsräumen und der Geschäftsstelle, das „Museum der Dinge“, ein Yogastudio und ein Architekturbüro. Letzteres hat von den Eigentümern ein neues Mietangebot bekommen, das für sie nicht infrage kommt. Der Quadratmeterpreis soll von 13 Euro auf 38 Euro steigen.


MieterEcho 420 / September 2021