Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 421 / Dezember 2021

Neun Cent Monatslohn

Lohnraub und unregelmäßige Zahlungen bei „Gorillas“

Von Simon Zamora Martin

Bei dem milliardenschweren Berliner Start-up Gorillas gab es viel Stress in den letzten Monaten. Immer wieder streikten die Beschäftigten des Lebensmittellieferdienstes für ganz grundlegende Rechte. Zum Beispiel für pünktliche und komplette Lohnzahlungen. Die Beschäftigten beschweren sich nicht nur über unregelmäßige Zahlungen, sondern auch, dass ihnen regelmäßig Lohn unterschlagen wird.

Dem MieterEcho liegt eine Lohnabrechnung für Oktober vor, laut der ganze neun Cent ausgezahlt wurden. Nach einer Vertragsänderung zum 1. Oktober hat der betreffende Rider keine Schichten zugeteilt bekommen – trotz wiederholter Beschwerde. Doch statt der vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden tauchen auf der Abrechnung lediglich 0,01 Arbeitsstunden auf. „Im besten Fall bekomme ich nächsten Monat das Gehalt nachgezahlt“, erzählt der Rider, der aus Angst vor Repressionen anonym bleiben möchte. „Wie soll ich bitteschön meinem Vermieter erklären, dass ich erst nächsten Monat meine Miete zahlen kann?“ Immer wieder gibt es Beschwerden, dass Urlaubs- und Krankentage nicht ausgezahlt werden. Und dass es keine Transparenz gibt, wie sich die Trinkgelder zusammensetzen. Auf die Frage, ob Gorillas die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit entlohnt oder lediglich die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, antwortete das Unternehmen nicht. Laut Gorillas gäbe es lediglich „einen kleinen Prozentsatz an Fehlern in der Gehaltsabrechnung“. Dank einer neuen Software seien jetzt jedoch „sämtliche mögliche Probleme im Zusammenhang mit der Gehaltsabrechnung anzugehen und innerhalb von vier Tagen zu lösen.“ Das MieterEcho hat mit einer Reihe von Beschäftigten gesprochen, denen Lohnzahlungen unterschlagen wurden. Alle bestätigen, dass im Idealfall fehlende Löhne zusammen mit der nächsten Gehaltsabrechnung überwiesen werden. Manchmal müssten sie aber auch monatelang ihrem Gehalt hinterherlaufen.

Unregelmäßige Gehaltszahlungen, ein Stundenlohn, der nur knapp über dem Mindestlohn liegt, und Arbeitsverträge, die prinzipiell sachgrundlos befristet sind, machen es den Beschäftigten extrem schwer, am Berliner Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden. Der Gorillas-Mitarbeiter Jakob Pomeranzev bestätigte dem MieterEcho, dass fast die Hälfte der im Gorillas Workers Collective aktiven Beschäftigten wohnungslos sind.

Arbeitsrecht missachtet

Doch bei dem milliardenschweren Start-up gibt es nicht nur Probleme mit Lohnraub. Zwar gäbe es nach einer Reihe von wilden Streiks wegen fehlender Regenkleidung diesen Sommer in allen Berliner Lagern genug Schutzkleidung, aber nach wie vor bereitet die Sicherheit der Fahrräder Probleme. Auch um die Schichtpläne gibt es immer wieder Stress. Sei es, dass Beschäftigte an Tagen zu Schichten eingetragen werden, an denen sie nicht arbeiten können oder weil die gesetzliche Ruhezeit nicht eingehalten wird. Laut Unternehmen würde das nur passieren, wenn Rider selbstständig Schichten miteinander tauschen. Die Gorillas-Beschäftigte Duygu Kaya widerspricht dieser Darstellung: „Das ist diese beschissene App, die den Leuten solche Schichten gibt!“ Um das Unternehmen zu zwingen, sich an die Grundlagen des deutschen Arbeitsrechts zu halten, trat sie Anfang Oktober mit allen Beschäftigten ihres Warenhauses im Bergmannkiez in den unbefristeten Streik. Vier Tage später wurde ihr zusammen mit allen Kolleg/innen, die die Arbeit niedergelegt hatten, gekündigt. Wegen der Teilnahme an Streiks, wie das Unternehmen auch öffentlich bestätigte. Zwei Wochen später legte Gorillas noch mal nach und beantragte vor dem Arbeitsgericht ein Verbot der Betriebsratswahlen, welche Ende November stattfinden sollen.

Doch trotz der harten Angriffe des Unternehmens geben Kaya und Pomeranzev nicht auf. Zusammen mit anderen prekär Beschäftigten, Gewerkschaften, Mieterinitiativen, linken und antirassistischen Gruppen bauen sie gerade ein gemeinsames Bündnis auf. „Wir wollen mit Demonstrationen und einer Boykottkampagne den öffentlichen Druck auf Gorillas erhöhen“, erklärt Kaya. „Damit sie die Angriffe gegen uns zurücknehmen und uns endlich unsere grundlegenden Rechte geben!“ 

 

Simon Zamora Martin verfasst Reportagen in Bild, Text und Video. Seine Schwerpunkte sind unter anderem soziale und politische Probleme in Ostdeutschland, soziale Bewegungen und die Veränderung der Arbeitswelt.


MieterEcho 421 / Dezember 2021

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