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MieterEcho 420 / September 2021

Kaufrausch statt Bauboom

Plan und Wirklichkeit der kommunalen Bau- und Ankaufstrategien – eine Bilanz von 5 Jahren „Rot-Rot-Grün“

Von Andrej Holm

In der Koalitionsvereinbarung von Rot-Rot-Grün waren sich die beteiligten Parteien 2016 einig: Das Ziel „bezahlbares Wohnen für alle“ ist vor allem über die Ausweitung der öffentlichen Wohnungsbestände zu erreichen. Bis zum Jahr 2025 soll der Bestand der landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) auf „mindestens 400.000 Wohnungen“ erhöht werden.

In den fünf Jahren der nun auslaufenden Legislaturperiode wurden „mindestens 55.000 zusätzliche landeseigene Wohnungen angestrebt, davon mindestens 30.000 Neubauwohnungen“. Die Zielzahlen waren also klar formuliert: 30.000 Neubauwohnungen und eine Bestandserweiterung durch Ankauf um 25.000 Wohnungen. Pro Jahr sollten demnach 6.000 Wohnungen neu gebaut und 5.000 Wohnungen durch Ankauf in die öffentlichen Bestände überführt werden.

Das Ziel der Koalitionsvereinbarungen lag damit für den Neubau auf einer Linie mit der bereits im April 2016 wenige Monate vor der Wahl beschlossenen Roadmap „400.000 bezahlbare Wohnungen im Landeseigentum“. Demnach sollten bis zum Jahr 2026 über 53.000 Wohnungen neu gebaut werden. Das entsprach einer Jahresquote von etwa 5.300 Neubauten. Die Ankaufziele der Roadmap und der Zielvereinbarungen mit den Wohnungsbaugesellschaften lagen bei 26.000 Wohnungen, die bis zum Jahr 2026 durch Ankauf erworben werden sollten. Aufs Jahr berechnet sollten etwa 2.600 Wohnungen pro Jahr durch Ankauf in die öffentlichen Bestände überführt werden. In der Koalitionsvereinbarung wurde diese Zielzahl kurzerhand verdoppelt.

Doch die Gesamtbilanz der Ausweitung der landeseigenen Wohnungsbestände fällt nach vier von fünf Jahren der Regierungszeit eher ernüchternd aus. Zwar konnte der Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaften von 296.000 Wohnungen im Jahr 2016 auf 333.000 Wohnungen im Jahr 2020 erhöht werden, doch dieser Zuwachs liegt mit 37.000 zusätzlichen öffentlichen Wohnungen deutlich hinter den Zielzahlen (bis 2021 +55.000 Wohnungen) zurück. Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode lag die Zielerfüllung der Bestandserweiterung bei gerade einmal 68%.

Ankauf zu hohen Preisen

Vergleichsweise erfolgreich war dabei die Ankaufstrategie des Senats: Bis Ende 2020 wurden etwa 21.200 Wohnungen im Zuge von Ankaufsaktivitäten oder ausgeübten Vorkaufsrechten in die Bestände der LWU überführt. Das entspricht einem jährlichen Zuwachs von 5.300 Wohnungen und liegt über dem Zielzahlen der Koalitionsvereinbarung mit 5.000 Wohnungen pro Jahr. Der Plan der Ankäufe wurde also bisher mit 106% übererfüllt. Gemessen an den ursprünglichen Zielen der Roadmap wurde das Ankaufziel sogar um 200% übertroffen.

Auch wenn es in der Öffentlichkeit vor allem als Position des Baustadtrats von Friedrichshain-Kreuzberg wahrgenommen wird, der forcierte Kauf von Bestandswohnungen war keine bezirkliche Angelegenheit, sondern ging im Wesentlichen auf die Entscheidungen der zuständigen Senatsverwaltungen und der Wohnungsbaugesellschaften zurück. Mit dem Kauf von größeren Beständen wie in der Karl-Marx-Allee (fast 700 Wohnungen), dem Kosmosviertel (1.800 Wohnungen) oder den Blöcken am Neuen Kreuzberger Zentrum (knapp 300 Wohnungen) sowie der Übernahme von fast 6.000 Wohnungen von ADO Properties in Spandau und Reinickendorf und über 2.000 Wohnungen von der Deutsche Wohnen in Lichterfelde, Spandau und Schöneberg wurden überwiegend vormals privatisierte Wohnungen zurückgekauft. Ein Großteil der gekauften Bestände sind ehemalige Sozialwohnungen, die von der Struktur und der Bewohnerschaft her sinnvoll von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften verwaltet werden sollten, um eine dauerhafte soziale Bewirtschaftung zu sichern. Schmerzhaft sind jedoch die Kaufpreise der Wohnungen. Die Kaufsummen variierten stark und dürften im Mittel der Ankäufe bei etwa 2.600 Euro/qm gelegen haben. Der finanzielle Gesamtaufwand der Ankäufe von über 21.000 Wohnungen dürfte bei deutlich über 4 Milliarden Euro gelegen haben und wurde im Wesentlichen aus den Überschüssen und zusätzlichen Kreditaufnahmen der LWU bezahlt.

Deutliche Defizite beim Neubau

Das zweite Standbein der Erweiterung der öffentlichen Bestände hingegen kam nur schleppend voran. Ein Vergleich zur Neubauleistung der LWU vor dem Regierungswechsel zur rot-rot-grünen Koalition zeigt zwar einen sehr deutlichen Anstieg der Fertigstellungszahlen. Wurden zwischen 2012 und 2016 unter der SPD-CDU-Regierung insgesamt gerade einmal 2.800 Wohnungen (562 Fertigstellungen p.a.) durch städtischen Wohnungsunternehmen fertiggestellt, stieg diese Zahl in den ersten vier Jahren von Rot-Rot-Grün auf immerhin knapp 16.000 Neubauwohnungen. Das entspricht etwa 4.000 Baufertigstellungen pro Jahr. Zielgröße war eine Jahresleistung von 6.000 Baufertigstellungen. Die Ziele des Koalitionsvertrages wurden damit nur zu knapp 67% erfüllt.

Als Gründe für den schleppenden Start der Neubaumaßnahmen werden von den Wohnungsbaugesellschaften und der Senatsverwaltung zeitliche Verzögerungen bei der Planung und Baudurchführung, fehlende Genehmigungen und immer auch wieder die Proteste von Anwohner/innen gegen Neubauprojekte benannt.

Nach Angaben der LWU lag das Neubauvolumen Ende 2020 bei insgesamt über 63.000 Wohnungen. Dazu zählen außer fertiggestellten Neubauwohnungen auch bereits begonnene Vorhaben, sowie für spätere Jahre geplante Neubauwohnungen. Abzüglich der Fertigstellungen seit 2017 sind also noch etwa 47.000 Neubauwohnungen in der Pipeline der LWU – wann die gebaut und fertiggestellt werden, ist allerdings offen. Beim Bautempo der letzten Jahre würde es weitere 12 Jahre dauern, bis der aktuelle Planungsstand realisiert wird. Wenn alle Projekte bis 2030 realisiert werden sollen, müssten es 4.700 Wohnungen pro Jahr sein, die von den LWU fertiggestellt werden. Doch auch das wäre viel zu wenig, um die sozialen Versorgungsziele zu erreichen.

Die Lücke wird immer größer

Der Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 (StEP Wohnen2030) sieht bis zum Jahr 2030 einen Zuwachs von knapp 200.000 neuen Wohnungen in Berlin vor. Die Hälfte davon soll als gemeinwohlorientierter Wohnungsbau erfolgen. Da diese 100.000 gemeinwohlorientierten Wohnungen hauptsächlich von den LWU gebaut werden müssen, da private Investoren wenig Interesse an diesem Segment haben, fehlen noch über 80.000 öffentliche Wohnungen, die bis 2030 gebaut werden müssten. Die bereits geplanten Neubauten der Wohnungsunternehmen (47.000 Wohnungen), die auch Wohnheime und Unterkünfte umfassen, reichen bei weitem nicht aus, um die Gemeinwohlziele im Baubereich zu erfüllen. Notwendig wären durch die Baudefizite der letzten Jahre nun Fertigstellungszahlen von über 8.500 Wohnungen pro Jahr, wenn das Ziel des StEP Wohnen noch erreicht werden soll.

Von der notwendigen Bauleistung sind die Wohnungsunternehmen jedenfalls weit entfernt. Die jährliche Fertigstellungsquote lag in den Jahren der rot-rot-grünen Regierungszeit bei etwa 4.000 Wohnungen und müsste in der kommenden Legislaturperiode mindestens verdoppelt werden, um die gemeinwohlorientierten Neubauziele zu erreichen.

Ein Blick auf die Fertigstellungszahlen der LWU zeigt zudem, dass nur ein kleiner Teil der in den letzten Jahren errichteten Wohnungen von den Unternehmen selbst geplant wurde oder sie dort zumindest die Bauherrenfunktion ausübten. Die steigenden Fertigstellungszahlen gehen im Wesentlichen auf den Ankauf von fertiggestellten Wohnungen anderer Bauträger zurück. In vielen Fällen sind es die mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen, die nach den Vorgaben des „Berliner Modells der kooperativen Baulandentwicklung“ bei größeren Neubauprojekten von privaten Bauträgern gefordert sind. Das Potenzial der Eigenbauleistung der städtischen Unternehmen hingegen stagniert seit Jahren auf einem Niveau zwischen 2.000 und 2.500 Wohnungen pro Jahr – viel zu wenig, um die ambitionierten Neubauziele umzusetzen.

Nur zwei der sechs städtischen Wohnungsunternehmen haben in den letzten Jahren eigene Planungskapazitäten aufgebaut. Da die LWU nur noch dem Namen nach Wohnungsbaugesellschaften sind, konzentrieren sie ihre Geschäftstätigkeit hauptsächlich auf die Bewirtschaftung und Verwaltung von Bestandswohnungen. In dieser Konstellation ist der Ankauf von Beständen statt einer eigenständigen Entwicklung neuer Bauprojekte eine naheliegende Strategie. Ohne verlässliche Investitionsplanungen über einen längeren Zeitraum und ohne Strukturveränderungen der LWU wird es wohl keinen deutlichen Anstieg der kommunalen Bauzahlen geben.


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