Editorial
Editorial MieterEcho
Liebe Leserinnen und Leser,
das von der SPD aufgebotene politische Spitzenpersonal der letzten 25 Jahre sucht seinesgleichen. 1996 vertrauten die Sozialdemokraten der Unternehmensberaterin Dr. Fugmann-Heesing das Finanzressort an. Kaum im Amt, setzte sie den Verkauf der Bewag (Strom), der Gasag (Gas), der Wohnungsbaugesellschaft Gehag und die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe durch. Ein besonderer Coup gelang ihr mit den In-sich-Verkäufen der Wohnungsbaugesellschaften. Eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft kaufte die andere. Der Erlös musste an den Senat abgeführt werden. Die dadurch in finanzielle Schwierigkeiten gebrachten Gesellschaften waren anschließend reif für die Privatisierung.
Ihr Parteigenosse Peter Strieder war von 1996 bis 2001 Senator für Stadtentwicklung. Als Freund der Eigentumsförderung und der Mittelschichten gelang ihm die Popularisierung des Begriffs der „Urbaniten“. Es wird noch heute vermutet, dass ihn eine Art politischer Todessehnsucht zu dem Engagement für das Tempodrom trieb, das unaufhörlich zu fördern er nicht lassen konnte, bis ihn die Partei und die Staatsanwaltschaft von dieser Obsession sowie von Senatorenamt und Parteiwürden befreiten.
Sein Protegé Klaus Wowereit, Bürgermeister von 2001 bis 2014, glänzte durch seine flapsigen Sprüche und seine unbändige Leidenschaft für den Verkauf öffentlicher Güter. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats der BER-Flughafengesellschaft hatte er – so der Abschlussbericht des BER-Untersuchungsausschusses – 2012 den Grundstein für das Baustellenchaos gelegt. Im gleichen Jahr wählte ihn das Stadtmagazin tip zum peinlichsten Berliner, 2013 erreichte er auf der Popularitätsskala von +1 bis –1 den Wert von –0,4, nur noch unterboten von zwei unbekannten Abgeordneten der Piratenpartei. 2014 verschwand er aus der politischen Szene der Stadt.
Eine der politischen Leistungen Wowereits war die Berufung von Thilo Sarrazin zum Finanzsenator. Der bekleidete das Amt von 2002 bis 2009, sorgte dafür, dass die von Fugmann-Heesing übriggelassenen Wohnungsbaugesellschaften marktförmig ausgerichtet und weitgehend der politischen Kontrolle entzogen wurden. 2020 wurde er aus der SPD ausgeschlossen. Das war mindestens 18 Jahre zu spät.
Seine Kollegin Ingeborg Junge-Reyer, Stadtentwicklungssenatorin von 2004 bis 2011, ist noch vielen Berliner/innen durch ihre Weigerung in Erinnerung, die Wohnungsknappheit in der Stadt wahrzunehmen. Dem Wohnungsproblem begegnete sie stets mit dem Hinweis auf München und die dortigen Mieten. Das Magazin tip hatte sie bereits 2008 zur peinlichsten Berlinerin gekürt.
Franziska Giffey scheint jetzt bemüht, die sozialdemokratische Tradition wiederzubeleben. Mit ihrer aberkannten Doktor- und der problematisierten Magisterarbeit ist sie bereits erfolgreich in Vorleistung gegangen. Daneben outet sie sich als entschlossene Freundin der Wohnungskonzerne, gedenkt demokratische Volksentscheide nicht anzuerkennen und erwartet gleiches von möglichen Koalitionspartnern. Die Jugendverbände der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen haben reagiert und fordern prophylaktisch in einer gemeinsamen Erklärung: „Franziska Giffey: Abdanken!“
Ihr MieterEcho
MieterEcho 420 / September 2021