Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 421 / Dezember 2021

Arm mit Hartz IV

Aus den niedrigen Regelsätzen zweigen viele noch Geld für die Miete ab

Von Anne Seeck

„Gegen Armut hilft Geld“ – so lautet der Titel des „Paritätischen Armutsberichts 2020“. Nach Angaben des Wohlfahrtsverbands waren im Jahr 2019 über 13 Millionen Menschen von Armut betroffen, davon 33% Erwerbstätige, 29,6% Rentner/innen, 7,7% Erwerbslose und 29,6% Nichterwerbstätige, darunter viele Kinder. In der Corona-Krise konnte zwar eine höhere Arbeitslosenquote durch das Kurzarbeitergeld verhindert werden, die Langzeitarbeitslosigkeit stieg jedoch laut Bundesagentur für Arbeit nach April 2020, da zum Beispiel viele Maßnahmen vorübergehend gestoppt wurden. Der Corona-Effekt wirkte sich auf die Erwerbslosenquote in Berlin besonders deutlich aus, von April bis September 2021 stieg sie um 1,9% auf 9,4%.   

Im September dieses Jahres bezogen nach amtlichen Angaben in Deutschland 3,7 Millionen Menschen die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Unter den zu niedrigen Regelsätzen leiden allerdings auch erwerbstätige Beschäftigte, selbständige sogenannte Aufstocker/innen und Rentner/innen, die ebenfalls alle an den Regelsatz der Grundsicherung gekettet sind. Das betrifft vor allem auch Kinder – fast 100.000 von ihnen im Hartz IV-Bezug gehörten im letzten Jahr zu Haushalten, in denen mindestens eine Sanktion verhängt wurde. In einem Drittel der Bedarfsgemeinschaften lebten etwa 1,8 Millionen Kinder unter 18 Jahren. 57% der Bedarfsgemeinschaften bestanden aus Alleinstehenden, 17% waren Alleinerziehenden-Haushalte. In rund 2,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften lebten 5,2 Millionen Personen, die Anspruch auf Regelleistungen nach dem SGB II hatten.

Kürzere Anträge, mehr Armut

Im Rahmen der Corona-Krise erfolgte eine kleine Verbesserung bei ALG II-Neuanträgen, die bis Ende 2021 eine vereinfachte Antragstellung ermöglicht: Das Gesetz lässt zum Beispiel höhere Vermögen zu. Die Mieten können in voller Höhe übernommen werden. Allerdings müssen viele bestehende Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II weiterhin einen Teil der Miete aus ihrem Regelsatz aufbringen, weil bei ihnen nicht die tatsächlichen Mieten vom Jobcenter gezahlt werden. So teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei mit, dass im Jahr 2020 in Deutschland 450.000 Haushalte davon betroffen waren. Durchschnittlich mussten diese 87 Euro aus ihrem Regelsatz für die Miete aufwenden. 93.000 Alleinerziehenden-Haushalte waren gezwungen, im Schnitt 94 Euro aus den Leistungen für den Lebensunterhalt abzuzweigen. In Berlin wurden bei 25.843 betroffenen Bedarfsgemeinschaften durchschnittlich sogar 146 Euro nicht übernommen. 

Seit Beginn der Corona-Pandemie war der Zugang zu den Jobcentern (und Sozialämtern) sehr problematisch. So stellte das Bündnis „AufRecht bestehen“ im Sommer 2021 fest, dass manchen Ratsuchenden besonders in akuten Notsituationen Hilfe verweigert wurde. Aufgrund ausstehender Mietzahlungen führte das teils zu massiven Problemen mit den Vermietern. Ab 1. Januar 2022 wird der Regelbedarf nun um ganze drei Euro erhöht, so dass einer alleinstehenden Person dann 449 Euro bleiben, um den Lebensunterhalt ohne Miete bestreiten zu können. Und das, obwohl den Einkommensarmen reale Kaufkraftverluste bevorstehen angesichts der aktuell steigenden Verbraucherpreise. Insbesondere ziehen auch die Energiepreise an –  viele Armutsbetroffene werden nicht genug Geld in der Tasche haben, um ihre Stromrechnung bezahlen zu können. So sperrte Vattenfall im letzten Jahr 12.500 Berliner Haushalten den Strom, obwohl in der Zeit von April bis Juni 2020 ein Moratorium aufgrund der Pandemie galt. 

Laut Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und FDP soll „Hartz IV“ nun von einem „Bürgergeld“ abgelöst werden. Die zukünftigen Koalitionäre wollen dabei jedoch unbeirrt an den Sanktionen und der völlig unzureichenden Regelsatzhöhe festhalten. Hoffnungsfroh stimmt dagegen, dass sich breit aufgestellte zivilgesellschaftliche Bündnisse mit Parolen wie „Versteckte Kürzungen bei den Ärmsten stoppen – rote Linie bei Hartz IV und Co!“ und „#4JahreGegenKinderarmut“ gegen diese Politik wehren.  

 

Anne Seeck ist schreibende, vom Regelsatz betroffene Rentnerin. Sie ist Mitherausgeberin des Sammelbands: Gerhard Hanloser, Peter Nowak, Anne Seeck (Hg.) Corona und linke Kritik(un)fähigkeit. Kritisch-solidarische Perspektiven „von unten“ gegen die Alternativlosigkeit „von oben“ (AG SPAK Bücher 2021).


MieterEcho 421 / Dezember 2021

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