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MieterEcho 413 / Dezember 2020

„Zukunftsorte“ – alter Wein in neuen Schläuchen?

Die wichtigsten Berliner Projekte im Überblick

Von Roman Grabowski und Markus Wollina

Um die Synergie von Wissenschaft zu fördern und gute Bedingungen zur Entwicklung innovativer Technologien zu schaffen, hat der Senat elf sogenannte Zukunftsorte bestimmt, die besondere Förderung genießen. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe definiert diese als „Standorte, an denen vor Ort Netzwerkstrukturen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft existieren bzw. geschaffen werden sollen“ , um durch „tatsächlich gelebte[n] Austausch und die Kooperationen von Wirtschafts-, Forschungs- und Technologieeinrichtungen [...] die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft“ zu fördern.

Die bekanntesten Projekte, die Berlin im Rahmen seiner Smart City- und Digitalisierungsstrategie auf den Weg gebracht hat, sind der EUREF-Campus in Schöneberg und die Siemensstadt 2.0 in Spandau. Beide Projekte sind besonders umstritten, da bei ihnen private Investoren in großem Ausmaß die Verfügung über den öffentlichen Raum erhalten und dabei noch vom Land finanziell gefördert werden, was sich aktuell besonders beim Streit um den geplanten Umbau des denkmalgeschützten Gasometers am EUREF-Campus durch den Investor Reinhard Müller zeigt (siehe S. 12).

Die anderen Zukunftsorte weisen allerdings keine solchen ausgeprägten Privatisierungstendenzen auf. Sie sollen im Folgenden näher betrachtet werden.

Der „Big Player“ der Zukunftsorte insbesondere im Ostteil der Stadt ist die Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Adlershof Management GmbH (WISTA), die sich zu 100% in Landes-
eigentum befindet. Der namensgebende Standort selbst wird als „Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologiepark und Berlins größter Medienstandort“ beworben und aufgrund einer „gelungene[n] Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft“ vom Senat als Leuchtturmprojekt angesehen. Seit 1991, also noch weit vor Anheftung des „Smart City“-Labels, wird das Gelände zu einem Wirtschafts- und Wissenschaftszentrum entwickelt. Hier ist seit 2017 auch die Geschäftsstelle für „Aufbau und Durchführung eines intraregionalen Regionalmanagements für die Zukunftsorte Berlins“ eingerichtet.

Im Rahmen des Regionalmanagements Berlin Südost ist die WISTA Management GmbH auch Entwicklungsträgerin des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Schöneweide, wo sich rund um die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Unternehmen aus der Hochtechnologie- und Kreativwirtschaft ansiedeln. Zukünftig sollen hier „neue Fertigungstechniken (Digitalisierung, ‚Industrie 4.0‘)“ sowie „urbane Produktion und handwerklich geprägte Kreativwirtschaft (z. B. Mode und Industriedesign)“ stattfinden. Das entsprechende Wirtschaftsförderprogramm wird zur Hälfte aus Bundes- und Landesmitteln und von privaten und öffentlichen Kofinanzierern getragen. Die letzteren sind das Pharmaunternehmen Berlin-Chemie Menarini und der Energieversorger Blockheizkraftwerks-Träger- und Betreibergesellschaft mbH Berlin, beide selbst in Schöneweide ansässig, sowie die nichtkommerzielle Bürgerplattform „SO! MIT UNS“.

Auch der CleanTech Business Park in Marzahn-Hellersdorf ist inzwischen in die Trägerschaft der WISTA Management GmbH übergegangen. Bei diesem erst 2015 gestarteten Projekt sollen vor allem Unternehmen aus der Branche für umweltfreundliche Energie Fuß fassen. Dementsprechend hat das Land die Ansiedlung mit einem wissenschaftlich-technologischem Anforderungsprofil verknüpft. In fünf Jahren hat sich hier lediglich ein (!) Unternehmen angesiedelt, wie die Berliner Morgenpost berichtet. Seit 2020 wird die Standortvermarktung deshalb auch hier von der WISTA Management GmbH betrieben, die dafür sorgen soll, dass der Clean Tech Park kein „Ladenhüter“ bleibt.

Bei dem Campus Berlin-Buch mit seinem BiotechPark handelt es sich um den einzigen östlichen Zukunftsort, der nicht in der Hand der WISTA Management GmbH liegt. Doch auch dies ist ein öffentlich und wissenschaftlich getragenes Projekt – und eines, dem nach der Entstehung in den 1990er Jahren ebenfalls erst in jüngster Zeit das Etikett „Smart City“ bzw. „Zukunftsort“ angeklebt wurde. Nachdem das Land Berlin 2018 die Mehrheitsbeteiligung an der 1995 gegründeten BBB Management Campus Berlin-Buch GmbH, Betreiber und Entwickler des Standorts, erworben hat, gehört sie dem Land sowie den Forschungseinrichtungen Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und Forschungsverbund Berlin e.V. für das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie. Herausgebildet hat sich so „ein moderner Wissenschafts-, Gesundheits- und Biotechnologiepark mit Unternehmen sowie Einrichtungen der Grundlagen- und klinischen Forschung“ mit „klare[m] inhaltliche[n] Fokus auf Biomedizin“ und „enge[m] räumliche[n] und inhaltliche[n] Zusammenwirken der Einrichtungen“, so die Selbstbeschreibung auf der Website.

Auch der Technologie-Park Berlin Humboldthain kann auf eine Tradition zurückblicken, die lang bis vor die Erfindung des „Smart City“-Begriffs zurückgeht. Auf dem ehemaligen AEG-Gelände in Gesundbrunnen wurde bereits 1983 das Berliner Innovations- und Gründerzentrum (BIG) gegründet. Mittlerweile sind hier rund 150 Unternehmen und 22 Forschungsinstitute ansässig, die hauptsächlich in verschiedenen Bereichen der Hochtechnologie forschen, entwickeln und produzieren. Das Land Berlin fördert den Technologie-Park zwar, unter anderem durch Mittel für den Aufbau eines Standortmanagements, doch federführend ist ein privates Unternehmen. Die Vermietung der Gewerbeflächen für Gründungen liegt bei der GSG (Gewerbesiedlungs-Gesellschaft) Berlin, die sich seit Verkauf der Anteile des Landes vor 13 Jahren komplett in privatwirtschaftlicher Hand befindet; die Vermarktung erfolgt durch den Technologie-Park Humboldthain e.V., der sich aus 11 ansässigen Unternehmen zusammensetzt.

Weniger ein Zukunftsort, als vielmehr eine Konglomeration diverser Orte stellt das Projekt Berlin SÜDWEST dar. Um die FU Berlin mit ihren bereits bestehenden Unternehmensausgründungen, andere ansässige Forschungsinstitute wie beispielsweise die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und weitere Industrieansiedlungen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf besser zu vernetzen, wurde das „Regionalmanagement Berlin SÜDWEST“ gegründet, das durch Bezirk, Land und Bund finanziert wird. Seine wichtigste Aufgabe besteht in der Entwicklung des Technologie- und Gründungszentrums „Business and Innovation Center next to Freie Universität Berlin Campus“ (FUBIC), wo bis zu 80 Unternehmen aus den Bereichen Biowissenschaften und IT angesiedelt werden sollen. Auch hier ist die landeseigene WISTA Management GmbH für die Entwicklung verantwortlich.

Ein ähnlicher Weg wird in Charlottenburg-Wilmersdorf verfolgt, wo die TU Berlin und die Universität der Künste mit Unterstützung von Bezirk und Senat den Campus Charlottenburg entwickeln. Ziel ist es, die Kooperation mit den ansässigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu verstärken und ein förderliches Umfeld für Unternehmensausgründungen aus den Bereichen Digitale Medien, IT und Hochtechnologie zu bieten. Als Anlaufpunkt zur Unterstützung der ausgegründeten Start-ups wurde das Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) gegründet – auch hier ist wieder die WISTA Management GmbH verantwortlich. Die Spezifik der Campus-Projekte am Humboldthain, in Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf liegt also weniger in der Umsetzung von „Smart City“-Konzepten. Vielmehr geht es hier um die Schaffung eines attraktiven Umfelds für Unternehmensgründungen im Umfeld bereits bestehender Forschungs- und Industrieansiedlungen und die Nutzung von entsprechenden Kooperationen und Synergieeffekten.

Etwas anders sieht es bei Berlin TXL – The Urban Tech Republic aus. Nach Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg soll auf dem 5 Quadratkilometer großen Gelände des Flughafens Tegel ab Frühjahr 2021 bis 2040 ein „Industrie- und Forschungspark für urbane Technologien“ entstehen, mit bis zu 1.000 Unternehmensansiedlungen und dem Campus der Beuth Hochschule, wie auf der Projektwebsite zu lesen ist. Zusätzlich sind ein Landschaftspark und ein „smartes Wohnquartier“ mit 5.000 Wohnungen geplant. Das „Schumacher Quartier“ soll nicht nur als Wohnort, sondern auch als Erprobungsfeld für Technologien in den Bereichen Energie und Mobilität dienen, die in der Urban Tech Republic entwickelt werden. Die Berliner Politik und insbesondere die sozialen Bewegungen werden hier besonders darauf achten müssen, wie die Nutzungsrechte am öffentlichen Raum und den dort erhobenen Daten organisiert werden. Der Senat hat die Entwicklung des Gebiets jedenfalls zur Chefsache gemacht und die landeseigene Tegel Projekt GmbH gegründet, die die Planung, Kommunikation und den Vertrieb unter einem Dach vereint.

Schon länger für den Flugverkehr geschlossen ist der Flughafen Tempelhof. Das denkmalgeschützte und stark sanierungsbedürftige Terminalgebäude wird schrittweise für die Nutzung durch Start-up-Unternehmen der Digital- und Kreativwirtschaft geöffnet. Als Lehre aus dem Volksbegehren Tempelhofer Feld geht der Senat hier betont partizipativ vor und lässt die Entwicklung durch ein Bürgerbeteiligungsverfahren und einen Fachbeirat aus Verwaltung, Industrie, Kultur und Forschung begleiten. Teile des Gebäudes sollen der Öffentlichkeit als „Geschichtsgalerie“ offen zugänglich sein, zudem wird das Alliiertenmuseum hierher umziehen. Auch hier behält das Land Berlin die Zügel in der Hand. Entwicklung, Vermietung und Veranstaltungsmanagement liegen bei der landeseigenen Tempelhof Projekt GmbH, die im engen Austausch mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen steht. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sitzt dabei persönlich im Aufsichtsrat und im Beirat der Tempelhof Projekt GmbH.

Bei vielen dieser Cluster handelt es sich also eher um „alten Wein in neuen Schläuchen“. Zwar ist eine offensive Entstaatlichung nicht erkennbar, gleichwohl bestehen die üblichen unvermeidlichen Risiken der Kooperationen von Staat, Wissenschaft und Wirtschaft: Spekulation und Wucherpreise bei Immobilien auf Kosten von gewerblichen und privaten Mieter/innen, die Drittmittel- und damit Sponsoring-Abhängigkeit der Forschung, aber auch die Ökonomisierung des öffentlichen Raumes und die Eigentümerschaft an Daten, die bei der Geschäftstätigkeit der Privatunternehmen anfallen – Fragen, die auf der politischen Ebene ganzheitlich und grundsätzlich beantwortet werden müssen.

Genau hier, auf der politischen Konzeptions- und Steuerungsebene, liegt jedoch die Hauptproblematik. Im Gegensatz zu anderen Metropolen, die sich das Smart City-Leitbild auf die Fahnen geschrieben haben, fällt Berlin durch das offensichtliche Unvermögen auf, die erforderliche konzeptionelle und strategische Arbeit aus eigener Kraft zu erbringen. Die Leistungen werden von externen Privatunternehmen ausgeführt. So wird die Beratungsfirma EY die Digitalisierungsstrategie ausarbeiten, die die Smart City-Strategie in einen größeren Rahmen integrieren soll. Auch die Kommunikation des Strategieentwicklungsprozesses soll von der privaten Agentur Johannssen und Kretschmer umgesetzt werden, wie netzpolitik.org berichtet. Die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH, die mit der Vermarktung Berlins als Stadt beauftragt ist und das Netzwerk Smart City Berlin maßgeblich unterstützt, preist sich selbst als „privatwirtschaftliche Gesellschaft und Public Private Partnership“ an: „61,5 Prozent liegen bei Vertretern der privaten Wirtschaft, unser Aufsichtsrat ist mehrheitlich mit Unternehmern besetzt“.

Im Gegensatz beispielsweise zu Wien gibt es in Berlin keine Digitalisierungsstrategie und keine zentrale Steuerungsstelle in öffentlicher Hand, sondern eine Zerteilung der Zuständigkeit auf verschiedene Staatssekretäre. Auch das Zusammenwirken der lokalen und regionalen Ebenen, der öffentlichen, wissenschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Initiativen und Akteure, alter und neuer Standorte, gleicht bisher eher einer Flickenschürze als einer Gesamtkomposition.

Es bleibt nur zu hoffen, dass im Zuge der Überarbeitung der überholten Smart City-Strategie des SPD-CDU-Senats von 2015 und der Aufwertung des landeseigenen Innovationslabors CityLab die öffentliche Hand die nötige Gestaltungskompetenz erlangt, um die bisher disparaten Ansätze systematisch zu verknüpfen und aus dem bisherigen Stück- ein sinnvolles und vorwärtsweisendes Gesamtwerk zu machen.

 

Roman Grabowski ist Bezirksverordneter in der Lichtenberger Linksfraktion mit dem Schwerpunkt Arbeit und Beschäftigung.
Markus Wollina ist in der LINKEN Berlin in den Bereichen Städtebau- und Wohnungspolitik und politische Bildung aktiv.


MieterEcho 413 / Dezember 2020