Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 419 / August 2021

Wohnversorgung am Limit

In den Großstädten fehlen vor allem leistbare Wohnungen

Von Andrej Holm

Eine Auswertung von Daten zur Wohnsituation und zur sozialen Lage in den Großstädten legt massive Defizite der sozialen Wohnversorgung offen. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: bundesweit zahlen mehr als 4 Millionen Haushalte in den Großstädten höhere Mieten, als mit ihren Einkommen leistbar wären. Allein in Berlin betrifft dies über 800.000 Haushalte.

Ob eine Wohnung „günstig“ oder „preiswert“ ist, hängt nicht nur von den Mietpreisen ab. Da sich die Einkommen in unserer Gesellschaft sehr unterschiedlich verteilen, belasten auch Mietzahlungen das jeweilige Haushaltsbudget auf unterschiedliche Weise. Als Mietbelastungsquote gilt dabei der Anteil des Nettoeinkommens, den ein Haushalt für die Wohnkosten ausgibt. In wohnungs- und sozialpolitischen Diskussionen wird die Leistbarkeitsgrenze bei 30% des Einkommens angenommen. Insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen, sollten demnach nicht mehr als 30% ihres Nettoeinkommens für die Bruttowarmmiete ausgeben, damit noch genügend Geld für andere Lebensbereiche übrigbleibt. 

Die Analyse der Mietbelastungsquoten in den Großstädten ergab für das Jahr 2018 eine mittlere Mietkostenbelastung von 29,8%. Dieser Wert hat sich in den letzten Jahren leicht verbessert – im Jahr 2006 lag er noch bei 31,2%. Von einer Entspannung kann jedoch keine Rede sein, denn immer noch haben etwa 4,1 Millionen Mieter/innenhaushalte in den Großstädten eine Mietbelastung von über 30% zu tragen – das sind mit 49,2% die Hälfte aller Haushalte. Jeder vierte Haushalt muss mehr als 40% Prozent für die Miete ausgeben und bei 12% der Haushalte beträgt der Mietanteil sogar mehr als die Hälfte des Einkommens – das betrifft rund eine Million Haushalte in den Großstädten.

In Berlin zahlen fast 48% aller Haushalte in Mietwohnungen mehr als 30% ihres Einkommen für die Miete – das sind über 800.000 Haushalte. Fast 400.000 von diesen Haushalten geben mehr als 40% für die Miete aus und über 165.000 Haushalte müssen sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufbringen.

Miete macht arm

Die Wohnverhältnisse sind nicht nur Ausdruck der sozialen Ungleichheit, sondern verstärken die soziale Polarisierung in den Städten. Haushalte mit weniger Einkommen leben in der Regel auf kleineren Wohnflächen, in schlechter ausgestatteten Wohnungen und häufiger in prekären Vertragsverhältnissen. Doch umgekehrt gilt auch, dass die Wohnverhältnisse auf die soziale Lage zurückwirken. Da die Spreizung von Mietpreisen deutlich geringer ausfällt als die Spreizung der Einkommen, sind vor allem Haushalte mit geringen Einkommen von den hohen Mietbelastungsquoten betroffen. Die Mietbelastung von Haushalten unterhalb der Armutsgrenze – die nach internationalen Standards bei Einkommen von weniger als 60% des mittleren Einkommen definiert wird – liegt im Schnitt bei über 46%. Bei den Haushalten mit höheren Einkommen (über 140% des Medianeinkommens) lag die mittlere Mietkostenbelastung dagegen bei lediglich 20%. In den Städten gilt: Je geringer das Einkommen, desto höher der Anteil, der davon für die Miete ausgegeben werden muss. Das System der Mietzahlungen verstärkt so die sozialen Ungleichheiten. 

Die Zahlen der Untersuchung zeigen, dass die hohen Mietbelastungsquoten auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind. Auffällig ist, dass die Mietbelastungsquoten für kleine Haushalte überdurchschnittlich hoch ausfallen. Während Alleinlebende im Mittel eine Mietbelastung von 35% zu tragen haben, sind es bei den Vierpersonenhaushalten nur 25%. Neben den höheren Einkommen von Doppelverdienerhaushalten unter den Mehrpersonenhaushalten hat auch die Struktur des Wohnungsangebotes einen Einfluss auf die hohen Mietbelastungen der Einpersonenhaushalte. Mit einem mittleren Wohnflächenverbrauch von 58 qm pro Person liegen die Alleinlebenden deutlich über den Vergleichswerten der Mehrpersonenhaushalte. Bei Vierpersonenhaushalten liegt der mittlere Pro-Kopf-Verbrauch der Wohnfläche bei 25 qm. Das liegt nicht nur an der Flächenersparnis durch gemeinsam genutzte Funktionsflächen in den Wohnungen, sondern auch an dem Fehlen von kleinen Wohnungen. Während fast 46% der Großstadthaushalte Alleinwohnende sind, liegt der Anteil von kleinen Wohnungen (< 45 qm) bei lediglich 11%. Selbst bei günstigster Verteilung müssen viele kleine Haushalte in größere Wohnungen ausweichen, so dass selbst günstige Quadratmeterpreise zu einer erhöhten Mietbelastung führen. Der in wohnungspolitischen Debatten immer mal wieder vorgetragene Vorschlag, Haushalte mit weniger Geld sollten doch in kleinere Wohnungen ziehen, um ihre Wohnkosten zu verringern, ist schon rein rechnerisch nicht möglich.

Die Studie legt für die Großstädte ein strukturelles Versorgungsdefizit offen. In einem Gedankenexperiment wurden alle Haushalte entsprechend ihrer Personenzahl und ihrer Einkommen möglichst optimal auf die vorhandenen Wohnungen verteilt: kleine Haushalte wurden den kleinen Wohnungen und Haushalte mit geringen Einkommen den günstigsten Wohnungen zugeteilt. Doch selbst unter den Bedingungen der Idealverteilung würden 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen in den Städten fehlen. Im Vergleich zu den über 4 Millionen Haushalten, die tatsächlich in zu teuren oder zu kleinen Wohnungen leben, verweist die simulierte Idealversorgung auf ein erhebliches Verteilungspotenzial, aber eben auch auf einen strukturellen Kern der Wohnungsnot.

Auch in Berlin könnten durch eine bessere Verteilung des vorhandenen Wohnraumes viele Versorgungsprobleme gelöst werden – eine strukturell bedingte Versorgungslücke von über 220.000 Wohnungen bliebe jedoch auch unter den Bedingungen der Optimalverteilung bestehen. 

Wohnraum anders verteilen

Man kann ein eindeutiges Fazit ziehen. Die Daten zur Wohnversorgungslage legen gravierende Versorgungsdefizite im Wohnungsbestand offen, die vor allem auf einen Mangel an leistbaren Wohnungen für kleine Haushalte mit geringen Einkommen verweisen. Etwa zwei Drittel der Versorgungsprobleme könnte mit einer gerechteren Verteilung des vorhandenen Wohnraumes gelöst werden. In der Praxis stehen solch einer Idealverteilung neben einer fehlenden Umzugsbereitschaft aus günstigen großen Wohnungen vor allem die Neuvermietungspreise im Weg. Anders als in der Simulation der Optimalverteilung bleiben die Mietpreise bei einem Umzug nicht unverändert, sondern werden auf die meist deutlich höheren Wiedervermietungsmieten angehoben. Eine Voraussetzung für eine bessere Verteilung des vorhandenen Wohnraumes liegt also in der strikten Begrenzung von Wiedervermietungsmieten. Die jüngsten Erfahrungen mit dem Berliner Mietendeckel zeigen jedoch, dass besonders private Vermieter/innen auf solche Begrenzungen mit einem „Vermietungsstreik“ reagieren und frei werdende Wohnungen zurückhalten. 

Eine zweite Antwort auf die strukturell bedingte Versorgungskrise liegt in der Verbesserung der Miet-Einkommens-Relation, die entweder durch eine Absenkung von Mietpreisen oder eine Erhöhung der Einkommen erreicht werden kann. Besonders substanzielle Erhöhungen der Niedrigeinkommen hätten auch einen deutlichen Effekt auf die Wohnversorgungslage. Eine Option wären dabei auch einkommensorientierte Mietpreise.

Ein drittes Element von Lösungsmöglichkeiten liegt in Anreizen für gemeinschaftliche Wohnformen, da diese das Missverhältnis von Wohnungs- und Haushaltsgrößen mindern könnten. Hier ist insbesondere der Neubau gefragt, auch Angebote für neue Wohnformen zu entwickeln.

Der Verzicht auf Wiedervermietungszuschläge beim Wohnungstausch, die Einführung von einkommensorientierten Mietpreisen und auch die Entwicklung von Angeboten für das gemeinschaftliche Wohnen sind von Vermieter/innen, die ihre Bewirtschaftungsstrategien an einer Optimierung von Gewinnen ausrichten, nicht zu erwarten. Gefragt sind hier vor allem kommunale und andere nicht profitorientierte Wohnungsunternehmen. Doch auch die sind in ihrer derzeitigen Verfasstheit weit davon entfernt, eine soziale Wohnversorgung ins Zentrum ihres Handelns zu stellen. 

 

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung 2021: Die Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme. Entwicklung der Wohnverhältnisse und der sozialen Wohnversorgung von 2006 bis 2018 in 77 deutschen Großstädten. HBS Working Paper 2017 (www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008039)


MieterEcho 419 / August 2021

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