Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 408 /

Wie wächst Wien?

Wie baut man eine lebenswerte Stadt?

Von Christian Pichler

In knapp zwanzig Jahren ist Wien um mehr als 350.000 Ein- wohner/innen gewachsen. Für diese neuen Wiener/innen muss Wohnraum geschaffen werden. Am besten Wohn- raum, der auch für die nachkommenden Generationen leistbar bleibt. Denn auch in Zukunft sollen und müssen Menschen mit kleineren Einkommen gut und zu fairen Prei- sen in Wien leben können. In einer Stadt, die auch interna- tional immer wieder als Vorzeigestadt im Bereich Wohnen genannt wird, mag dieses Ziel zwar verwundern, aber auch für Wien gilt: Die Herausforderungen, vor denen die Stadt steht, werden in absehbarer Zeit nicht weniger. Das Wie- ner Beispiel zeigt, wie wichtig eine hohe Objektförderung, einne vorausschauende Bodenankaufspolitik sowie eine zielgerichtete Baulandmobilisierung für den Erhalt und die Weiterentwicklung des leistbaren Wohnsegments sind.

Die Ausgangslage Wiens stellt sich gut dar – auch international. Der im Vergleich hohe Anteil an geförderten und gemeinde-eigenen Wohnungen trägt viel dazu bei, dass die Mieten verhältnismäßig stabil bleiben. Denn im Unterschied zum privaten Wohnungsmarkt entwickeln sich die Mieten der Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen moderat.
Wien konnte in den letzten Jahren auf das Umnutzungspoten- tial großer innerstädtischer Flächen zurückgreifen. Durch eine vorausschauende Bodenankaufspolitik des stadteigenen Baulandfonds, die teils bereits Jahrzehnte zurückliegt, bzw. bereits vor den drastischen Bodenpreissteigerungen stattfand, konnten wichtige Entwicklungsflächen für den geförderten Wohnbau gesichert werden.
Insbesondere in großen ehemaligen Arealen der Verkehrsinfrastruktur konnten deshalb die Weichen für Nutzungsänderungen gestellt und neue Stadtentwicklungsgebiete definiert werden. Die Fülle an historischen Kopfbahnhofsarealen, mit denen Wien an die Süd-, Ost, West-, Nord-, Nordwest- und Franz-Josefs-Bahn angebunden war, bildet hier ebenso das Potential für künftige Umnutzung wie das Areal des ersten Flughafen Wiens, das Flugfeld Aspern. In der Mehrzahl dieser Gebiete wurde be- reits mit der Bebauung begonnen, viele Teilgebiete sind schon besiedelt.


Neue Stadtteile für Zehntausende
Was diese Stadtentwicklungsprojekte eint, ist die Zeit, die es für eine qualitativ hochwertige Umsetzung braucht. Eine Stadt weiterzubauen ist vielschichtig.
Am Beispiel des mit 240 Hektar größten Entwicklungsgebiets Wiens – der Seestadt Aspern – wird das sehr deutlich. Nach der Schließung des Flughafens 1977 und ersten Planungsüberle- gungen in den 90er Jahren starteten konkrete Planungsschritte nach der Jahrtausendwende. Als Entwicklungsgrundlage wurde 2007 der Masterplan als städtebauliches Leitbild beschlossen. Ab 2010 wurde mit der Errichtung der Grünräume, des Sees sowie der technischen Infrastruktur begonnen und der erste großflächige Ausbau eines gemischten Quartiers mit Wohnungen, Büros, Handels- und Dienstleistungsunternehmen gestartet. Gleichzeitig war Baubeginn eines Bildungsquartiers mit Kindergarten, Volksschule, höheren Schulen sowie Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und Start für die Verlängerung der U-Bahnlinie U2 zur Seestadt Aspern.
Mit der Inbetriebnahme von drei zusätzlichen Stationen 2013 wurde das Stadterweiterungsgebiet an das U-Bahn-Netz angeschlossen, noch bevor 2014 die ersten Bewohner/innen in die Seestadt einzogen.
In weiteren Bauetappen über einen Zeitraum von rund 20 Jahren wird hier ein neuer Stadtteil entstehen, in dem Wohnungen für über 20.000 Menschen geschaffen werden und in Zukunft auch 20.000 Menschen arbeiten sollen. Die verschiedenen Etappen sollen bis Ende der 2020er Jahre abgeschlossen sein. Auch die Entwicklung des Hauptbahnhofareals ist weit fortgeschritten. Der neue Hauptbahnhof – konzipiert als Durchgangsbahnhof – löste die alten Kopfbahnhöfe ab. Ehemalige große Rangier- und Frachtareale konnten somit einer Neunut- zung unterzogen werden.
Ebenso in Realisierung befindet sich das Nordbahnhofgelände. Das 65 Hektar große ehemalige Nordbahnhofareal zählt zu den bedeutendsten innerstädtischen Entwicklungszonen Wiens. Bis 2025 entsteht hier ein neuer, gemischt genutzter Stadtteil mit rund 10.000 Wohnungen. Mit Bürogebäuden, mehreren Wohnbauten, Schule und Kindergarten sowie dem Rudolf- Bednar-Park wurden in den vergangenen Jahren bereits die ersten Projekte realisiert.
Schlussendlich startet auch die Freimachung des Areals des Nordwestbahnhofs und die etappenweise Bebauung. Bis 2019 noch als Frachtbahnhof genutzt, soll auf dem 44 Hektar großen Gelände schon bald ein neuer Stadtteil für über 10.000 Bewoh- ner/innen und 5.000 Arbeitsplätze entstehen.
Nachdenklich stimmt, dass trotz dieser Projektflut und obwohl derzeit große Stadtentwicklungsvorhaben umgesetzt werden, die Neubauleistung nur bedingt mit dem gestiegenen Bedarf der letzten Jahre Schritt halten konnte. Seit einigen Jahren öffnet sich die Schere zwischen Bevölkerungswachstum und Wohnbedarf auf der einen Seite und dem tatsächlichen, leist- baren Wohnungsneubau auf der anderen Seite. Die gestiegene Nachfrage am Wohnungsmarkt war und ist in den letzten Jahren mit all ihren Konsequenzen deutlich spürbar. Zuletzt verschob sich der Neubau in Richtung privater, freifinanzierter
Projekte. Deutlich wird das in der Entwicklung der Mietpreise ebenso wie beim Abschluss neuer Mietverträge. Erfahrungen von Personen auf Wohnungssuche sowie länger werdende Vormerklisten und Wartezeiten für geförderte Wohnprojekte ergänzen dieses Bild und sind ein klares Indiz für einen beste- henden Nachfragedruck. Das gute Verhältnis zwischen geförderten bzw. gemeindeeigenen Wohnungen und freifinanzier- tem Wohnungsangebot gerät in Schieflage.
Und generell gesagt, auch wenn die Bevölkerung wächst, die Stadtfläche wächst nicht. Deshalb wird es immer schwieriger, günstigen Boden zu mobilisieren. Die Indizien der letzten Jah- re waren sehr deutlich: Bodenpreise stiegen massiv, innerstädtische Liegenschaften wurden für den geförderten Wohnbau unerreichbar und das Segment der freifinanzierten Anlage- und Vorsorgewohnungen nahm stark zu.


Geht Wien der Boden aus?
Was passiert, wenn Wien über keine für die Neuentwicklung des geförderten Wohnbaus notwendigen „Bahnhöfe“ mehr verfügt? Wenn keine Grundstücke mehr den Finanzierungsvoraus- setzungen des geförderten Wohnbaus entsprechen?
Nach wie vor kann Wien durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bauland und Verkehrsflächen, Grünland und Wasser- flächen punkten. Dieser Umstand erklärt auch, warum Wien bei diversen Lebensqualitätsrankings auf den vordersten Plätzen liegt. Muss man sich deshalb von dieser positiven strukturellen Aufteilung des Stadtgebiets verabschieden? Mitnichten. Die Stadt verfügt nach wie vor über Flächenreserven, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so deutlich ist. Die zentrale Frage ist, wie diese Flächen für die Zukunft mobilisiert werden können. Und zwar nicht grundsätzlich, sondern expli- zit auch für eine Neuentwicklung von leistbaren, geförderten Wohnprojekten.
Aus Sicht der Arbeiterkammer (AK) als gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer/innen in Österreich war es des- halb notwendig, Reformen im Bau- und Bodenrecht umzuset- zen. Wichtig war es, die Handlungsfähigkeit für die öffentliche Hand, die Kommune, zu verbessern und damit die Grundlage für eine Stärkung des sozialen Wohnbaus zu schaffen. Es galt die Bauordnung so zu reformieren, dass mehr Grund dem ge- meinnützigen Wohnbau zur Verfügung gestellt werden kann. Mit der Novelle der Wiener Bauordnung 2018 wurde deshalb einer langjährigen Forderung der AK entsprochen und eine Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ eingeführt.
Ziel ist es – auf so gewidmeten Flächen – im Regelfall zwei Drittel geförderte Wohnnutzfläche zu errichten. Die neue Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ ist eine wichtige zusätzliche Maßnahme, um auch in Zukunft Flächen für geförderten Wohnbau vorsehen zu können und dem Problem der steigenden Grundstückskosten zu begegnen. Für eine tatsächliche Beurteilung der Wirkung mag es noch etwas zu früh sein. Erste Widmungsverfahren sind derzeit in Ausarbeitung, erste Hinweise geben aber Grund zur Hoffnung.
Wien hat damit jedenfalls, auch im internationalen Vergleich, eine Vorreiterrolle eingenommen. Es gilt nun die getroffenen Zielvorstellungen umzusetzen und insbesondere in einer wach- senden Stadt konsequent weiter leistbaren Wohnraum zu schaf- fen. Es geht schließlich um nichts anderes als die Sicherung his- torischer Qualitäten, für die Wien bekannt ist, ihre nachhaltige künftige Fortführung und die Frage: Wie erhält, baut und ent- wickelt man eine lebenswerte, gerechte und leistbare Stadt?

Christian Pichler ist Raumplaner und Mitarbeiter der Abteilung Kommunalpolitik der Arbeiterkammer Wien. Er befasst sich mit Stadt- entwicklung, Raum- und Bauordnung, öffentlichem Raum und Regionalpolitik.


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