Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 407 / Januar 2020

Was sind digitale Plattformen?

Der Siegeszug von Unternehmen wie Airbnb, Amazon oder Uber

Von Timo Daum

Airbnb versteht sich eher als eine Art eBay für Wohnraum, denn als Anbieter einer Dienstleistung. Dieser reinen Vermittlungsfunktion stehen der gewaltige Umfang seiner Geschäfte, die geballte Marktmacht des Unternehmens und die teilweise dramatischen Folgen für den Mietmarkt in Metropolen gegenüber. Was ist da eigentlich los?                            

Im Sommer diesen Jahres hatte die in San Francisco ansässige Firma Airbnb einen Rekord zu vermelden. Erstmals verzeichnete sie mehr als vier Millionen Check-ins auf ihrer Plattform. Der Übernachtungsvermittler Airbnb bietet derzeit über sechs Millionen Unterkünfte weltweit an – Wohnungen, Zimmer, Häuser, das sind mehr als alle von den sieben größten Hotelketten zusammen angebotenen Zimmer. Dabei besitzt das Unternehmen, das in mehr als 100.000 Städten und 191 Ländern Geschäfte macht, keine einzige Immobilie selbst. „Wir vermitteln nur“, heißt es. Laut einem Sprecher beschäftigt das Unternehmen dabei weltweit gerade einmal 5.000 Mitarbeiter/innen.
                           
Was versteht man unter Plattformen?
Eine Plattform bezeichnet in der Informatik eine Basistechnologie, etwa ein Betriebssystem, auf der weitere Anwendungen aufbauen, zum Beispiel eine Textverarbeitung. Der englische Begriff platform (Bühne, Bahnsteig oder Drehscheibe) soll eine offene und egalitäre Basis suggerieren, auf der viele zu gleichen Bedingungen (inter-)agieren können. Übertragen auf die digitale Geschäftswelt bezeichnen Plattformen Online-Infrastrukturen, die Nutzer/innen, Kund/innen und Drittanbieter/innen zur Verfügung stehen. Die Metapher verdeckt jedoch mehr, als sie erklärt: Plattformen sind alles andere als offen und sie sind alles andere als flach: Die Eigentümer/innen bestimmen die Regeln, an die sich alle halten müssen, schon in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) wird die Schieflage implementiert.
Die Plattformen werden deshalb auch – durchaus treffend – als walled gardens (umzäunte Gärten) bezeichnet. Auch der weitgehend synonyme Begriff „digitale Ökosysteme“ trägt ihrem geschlossenen, privatwirtschaftlichen Charakter Rechnung. Sie lassen sich als Zwischenreiche zwischen privatem und öffentlichem Raum betrachten. Sie sind, auch wenn sie erfolgreich Offenheit und Zugänglichkeit inszenieren, doch Privatgelände – ganz wie eine Shopping Mall.
Plattformen zeichnet ein Hunger nach Daten aus; ständig versuchen sie, Aktivität zu stimulieren, um noch mehr Daten von ihren Nutzer/innen zu gewinnen. Datenextraktionismus nennt man die Methode, aus Big Data – oft mit Technologien maschinellen Lernens – verwertbare Informationen zu destillieren, die wiederum an Dritte, beispielsweise Werbekunden verscherbelt werden können. Durch den Netzwerkeffekt – also das Phänomen, dass der Nutzen von Netzwerken mit der Anzahl der Nutzer/innen überproportional steigt – gelingt es diesen Unternehmen schnell und dauerhaft, Monopole zu errichten.
Auf Plattformen basierende Geschäftsmodelle sind zum dominierenden Modell in der digitalen Welt geworden. Einige wenige Konzerne beherrschen ihre jeweiligen Geschäftsfelder, aus der einst erhofften egalitären Kommunikationsplattform Internet ist eine boomende Geschäftswelt geworden: Die Stunde des Informationskapitalismus hat geschlagen; in diesem stehen die Produktion und der Austausch von Informationen über Datennetze im Zentrum der ökonomischen und gesellschaftlichen Aktivität. Es entsteht ein Verwertungsmodell, für das  drei wesentliche Aspekte charakteristisch sind: ihre Rolle als Vermittler und gate keeper (Torwächter) zur digitalen Welt, ihre Tendenz zum Monopol und die Verwertung von Daten, die aus der Aktivität Dritter auf den Plattformen selbst resultiert.                                
Überwachung gegen convenience
Digitale Unternehmen sind zu den profitabelsten und mächtigsten der Welt geworden – Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft führen die Liste der weltweit wertvollsten Firmen an. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Infrastrukturen zur Verfügung stellen und mit den Transaktionen, die innerhalb dieser Strukturen stattfinden, Geld verdienen. Viele Digitalkonzerne fahren zwar noch Verluste ein, wie zum Beispiel der Fahrdienstvermittler Uber oder im internationalen Geschäft selbst Amazon. Das liegt jedoch an deren Strategie, ihre jeweiligen Märkte erst zu erobern, massiv zu expandieren, und später, sobald eine marktbeherrschende Position erreicht ist, das verlorene Geld wieder hereinzuholen.
Big Data, also quasi automatisch, rein durch die Aktivität auf den Plattformen anfallende große Datenmengen, stellen den Rohstoff des Plattform-Modells dar. Um aus diesen wertvolle bzw. verwertbare Informationen zu generieren, wird Data-Mining betrieben, also die automatische Auswertung bestimmter Muster oder verborgener Zusammenhänge in den Daten. Die Plattformen dominieren in ihren informationszentrierten Branchen, sie sind jedoch bereits dabei, mit ihren datenextraktiven Geschäftsmodellen weitere Branchen in den Blick zu nehmen. So engagieren sich Google, IBM und auch Apple derzeit verstärkt im Gesundheitsbereich, Google und Uber wollen die Mobilität der Zukunft als Plattform organisieren und in der Industrie machen sich unter dem Schlagwort Industrie 4.0 Vernetzung und Datenauswertung in Echtzeit breit.
Der Siegeszug digitaler Geräte und Anwendungen hat die Art und Weise verändert, wie wir uns in unserem Alltag bewegen: Immer öfter sind digitale Geräte, Applikationen oder über das Internet vermittelte Transaktionen unmittelbar an unseren alltäglichen Tätigkeiten beteiligt. Vieles davon war vor wenigen Jahren entweder undenkbar, sündhaft teuer oder nur dem Militär vorbehalten, etwa GPS, Kartennavigation oder die Generierung und Erkennung natürlicher Sprache.
Diese neue technologische Bequemlichkeit, die Verfügbarkeit von Diensten und die Möglichkeit des Zugriffs auf Informationen führen dazu, dass fast jede Aktivität in unserer heutigen Gesellschaft Spuren hinterlässt. Diese Verquickung von Überwachung, Datensammlung und Aufbau von personalisierten Profilen gehören zum Kern des digitalen Kapitalismus und sind untrennbar mit diesem verknüpft.
Das iPhone von Apple bietet eine Funktion an, eine Person auf einem Foto durch Tippen und Halten auszuwählen und im Anschluss eine Diashow mit allen Fotos zu starten, auf denen diese Person ebenfalls zu sehen ist. Die Gesichtserkennung funktioniert erstaunlich gut und ist als Dienstleistung mittlerweile in unseren Hosentaschen angelangt.
Das ist nur ein Beispiel für Anwendungen, die auf lernenden Algorithmen beruhen und zur Alltagstechnologie geworden sind. Die digitalen Konzerne sind es, die allen voran diese Technologien beherrschen. Die Bilder liegen dabei in der Cloud, sprich auf den Servern der jeweiligen Firmen, die auf die Konsolidierung ihrer Marktmacht hoffen.                                   

Airbnb will hoch hinaus
Zurück zu Airbnb: Das Unternehmen hat im dritten Quartal 2019  einen Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar erzielt. Airbnb ist nicht nur eine erfolgreiche digitale Firma, die die Hotelbranche das Fürchten lehrt. Airbnb ist schnell in ein nicht reguliertes Feld vorgestoßen und will noch höher hinaus: Das ultimative Ziel sei, so Airbnb-Chef Brian Chesky, für jeden Reisenden überall auf der Welt ein passendes Angebot zu vermitteln.
Airbnb hat die Reisegewohnheiten von Millionen Menschen verändert, hat neue Einkommensquellen für Wohnungseigentümer/innen, aber auch für Mieter/innen erschlossen. Gleichzeitig sind die negativen Auswirkungen nicht mehr zu übersehen. Städte und Regierungen versuchen, mal mit Sanktionen und Gesetzen, mal mit Kooperationen und Verhandlungen, den schlimmsten Auswüchsen wie der Verdrängung von Mieter/innen aus attraktiven Wohnlagen und der Überbelastung von Wohnraum durch intensive Vermietung Einhalt zu gebieten.
Quasi als Nebeneffekt verfügt Airbnb mittlerweile über die umfangreichsten und detailliertesten Informationen über viele Aspekte urbaner Raumnutzung in allen großen Städten dieser Welt. Selbst die öffentlich zugänglichen Informationen von der Airbnb-Website, die das Projekt „insideAirbnb“ visuell aufbereitet zur Verfügung stellt, übersteigen in der Regel den Umfang derjenigen Kenntnisse, die die Städte und Gemeinden selbst ermitteln.

Timo Daum ist Hochschullehrer und Sachbuchautor. Sein Buch „Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie“ erhielt 2018 den Preis „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert Stiftung.


MieterEcho 407 / Januar 2020

Schlüsselbegriffe: digitale Platformen,Uber, Amazon,Airbnb

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