Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 412 / Oktober 2020

Von wegen „Gemeinwohlorientierung“

Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sind an zahlreichen privatwirtschaftlichen Unternehmen beteiligt

Von Rainer Balcerowiak

Die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften gelten im allgemeinen Sprachgebrauch als „gemeinwohlorientiert“. Begründet wird dies mit der Eigentümerschaft des Landes, durch die der Abfluss von Gewinnen an private Anteilseigner ausgeschlossen ist. Ins Feld geführt werden ferner die Kooperationsvereinbarungen des Landes mit den sechs rechtlich privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Doch außerhalb ihres Kerngeschäfts, also der Vermietung von in öffentlichem Besitz befindlichen Wohnungen und dem Ankauf und Neubau von Wohnungen zur Erweiterung der öffentlichen Bestände, tummeln sich die Gesellschaften in Form von Beteiligungen an Unternehmen in diversen Wirtschaftssparten, die man schwerlich als „gemeinwohlorientiert“ bezeichnen kann.

Beginnen wir mit der Degewo. Zu den 100%igen Tochterunternehmen der größten kommunalen Gesellschaft gehört die „gewobe Wohnungswirtschaftliche Beteiligungsgesellschaft mbH“ die sich auf Verwaltung und Verkauf von Eigentumsimmobilien spezialisiert hat. „Ob Privatanleger, Unternehmer oder Immobilien: Wir kümmern uns engagiert und kompetent um Ihre Belange“ heißt es in der Unternehmensdarstellung. Angeboten wird auch Hilfe bei der „Suche nach einem repräsentativen Kaufobjekt“, denn „mit uns an Ihrer Seite können Sie gewiss sein, dass Ihre Immobilie eine lukrative Kapitalanlage bleibt“.

Mit 47,45% ist die Degewo an der „GEDE Immobilienverwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH“ beteiligt, als deren Geschäftszweck die „Beteiligung an Immobiliengesellschaften aller Art, die Verwaltung und Verwertung von Immobilien sowie das Halten und Verwalten von Immobilien“ angegeben wird. Als Geschäftsführer agiert dort Björn Franke, der auch vertretungsberechtigt für ein ganzes Konglomerat von Beteiligungsgesellschaften unter der Dachmarke „SCP Retail Properties“ ist. Weitere Beteiligungen in dieser Größenordnung gibt es an privaten Immobilienverwertungsgesellschaften, wie etwa der „Mertensstraße 16 GmbH“ und der „Paulsternstraße 31 Immobiliengesellschaft mbH“.

Zweifelhafte Tochterunternehmen

Auch die Gesobau ist auf dem privaten Immobiliensektor aktiv, unter anderem mit der 100%igen Tochter „aktiva Haus- und Wohnungseigentumsverwaltung GmbH“, die auch Mitglied im Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BfW) ist. Der BfW gehört zu den wichtigsten Lobbyverbänden der Branche und läuft laut Selbstdarstellung „als kraftvolle Stimme der privaten Immobilienunternehmen gegenüber der Politik“ gegen Mietregulierungen Sturm.

Die Gewobag verfügt ebenfalls über ein sehr großes Beteiligungsportfolio im Immobiliensektor. Dabei geht es teilweise noch um Altlasten, wie etwa Immobilienfonds des alten sozialen Wohnungsbaus, die nach der Kappung der Anschlussförderung ins Trudeln gerieten. Neben Mehrheitsbeteiligungen an zahlreichen privaten Immobilienverwertungsgesellschaften ist die Gewobag besonders im Bereich der Projektentwicklung engagiert, mit Beteiligungen in Höhe von 40% an diversen Kapital- und Personengesellschaften.

Für die Howoge listet der Bericht nur wenige Beteiligungen auf. Allerdings steht die Gesellschaft im Mittelpunkt eines umstrittenen Finanzierungsmodells für die Sanierung und den Neubau von Schulen bis zum Jahr 2025. Das Modell sieht die Überlassung der Grundstücke in Erbbaupacht an die Howoge vor. Diese soll dann kreditfinanziert die Schulbauten errichten und wiederum an die bezirklichen Schulträger vermieten. Kritiker/innen sehen darin einen Einstieg in die Privatisierung der öffentlichen Schulen.

Die Stadt und Land hält unter anderem eine 50%ige Beteiligung an der „Siedlungsplanung und Wohnbauten GmbH“ (SIWOGE), die andere Hälfte gehört der GSW Immobilien AG, die zur Deutsche-Wohnen-Gruppe gehört. Zum Geschäft der SIWOGE gehört die Bauträgerschaft für Neubauten, die Erschließung von Grundstücken sowie der An- und Verkauf von Gewerbe- und Wohngrundstücken, Wohn- und Nichtwohngebäuden und Wohnungen. Im Mittelpunkt stehen hochpreisige Projekte im Berliner Umland, in den Gemeinden Neuenhagen und Rehfelde.

Sehr breit gefächert sind die Beteiligungen und die wirtschaftlichen Aktivitäten der Tochterunternehmen der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). So ist die 100%ige Tochter

„Berlin-Anlagen-Agentur Mitte GmbH“ (B.A.A.M.) unter anderem im Bereich der Vermittlung und Betreuung von Vermögensanlagen sowie der Vermittlung von Darlehen und Finanzierungen tätig. Eine weitere Tochter, die „MMB Multi-Media-Berlin Gesellschaft mbH“, betreibt unter anderem multimediale Kabel- und Telefonnetze. Beteiligt ist die WBM an einem weiteren Unternehmen in dieser Branche, der „Berlin-Brandenburgische Communikationsgesellschaft mbH“ (BBcom). Anteile werden auch an der „Berliner Wohn- und Geschäftshaus GmbH“ (BEWOGE), an der „Partner für Berlin Holding Gesellschaft für Hauptstadt-Marketing mbH“ sowie an kleineren Projektgesellschaften gehalten.

Sonderfall Berlinovo

Ein Sonderfall unter den landeseigenen Gesellschaften ist die Berlinovo, die offiziell auch nicht als kommunale Wohnungsbaugesellschaft aufgeführt wird. Sie entstand 2012 als Nachfolgerin der „Berliner Immobilien Holding“ (BIH), die 2006 als eine Art „Bad Bank“ infolge des Berliner Bankenskandals den Bestand und die Risiken aus den zahlreichen Immobilienfonds übernahm, die aufgrund von Wertabschreibungen und irrwitzigen Garantierenditen zu einem Milliardengrab zu werden drohten. Noch heute managt Berlinovo das Portfolio von Immobilienfonds, die sich mehrheitlich im Eigentum des Landes befinden. Zum Bestand gehören neben Gewerbeobjekten und regulären Wohneinheiten auch möblierte Apartments und Suiten, oftmals im hochpreisigen Bereich. Für letztere wurde eine Tochtergesellschaft gegründet, die „Berlinovo Apartment GmbH“.

Die Bestände der Berlinovo unterliegen größtenteils nicht der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Berliner Senat und den städtischen Gesellschaften für „leistbare Mieten und soziale Wohnraumversorgung“, da sie sich größtenteils formal im Besitz der alten Immobilienfonds befinden, an denen private Anteilseigner nach wie vor beteiligt sind. So gehört es bei der Berlinovo bei Vermietungen aktuell auch zur gängigen Praxis, sogenannte Schattenmieten zu vereinbaren, die für den Fall gelten, dass der Mietendeckel durch das Bundesverfassungsgericht außer Kraft gesetzt wird, möglicherweise auch rückwirkend.

Indirekte Beteiligungen nicht aufgelistet

Die hier aufgeführten privatwirtschaftlichen Engagements der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften bilden mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs ab. Denn der jährliche Beteiligungsbericht der Senatsverwaltung für Finanzen berücksichtigt nur die direkten Beteiligungen der im Landesbesitz befindlichen Betriebe. Doch die diversen Tochterfirmen bzw. Unternehmen, an denen die landeseigenen Betriebe beteiligt sind, sind oftmals eigenständig an weiteren Unternehmen beteiligt, was aber in dem Bericht nicht aufgelistet wird. Bei weiteren Recherchen stößt man oftmals auf große Geflechte zwischen den Wohnungsbaugesellschaften und Privatunternehmen, nicht nur aus der Wohnungsbranche. Dazu kommen zahlreiche Kooperationen mit gewinnorientierten Firmen unterhalb der Ebene von Beteiligungen, etwa bei Mobilitäts- und Infrastrukturprojekten. Und während der Senat gegenüber den städtischen Wohnungsbaugesellschaften noch gewisse Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten hat, sind die Tochter- und Beteiligungsunternehmen diesen Mechanismen weitgehend entzogen.

Jedenfalls ist es relativ abwegig, die zwar im Landesbesitz befindlichen, aber als Aktiengesellschaften und GmbHs firmierenden sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften pauschal als „gemeinwohlorientiert“ einzustufen. Daran ändert auch die Errichtung einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) für die soziale Wohnraumversorgung nichts, die 2016 als vermeintliches Zugeständnis an die Initiatoren des abgebrochenen Mietenvolksentscheids gegründet wurde. Denn diese AöR ist wenig mehr als eine leere Hülle, ohne Kompetenzen in Bezug auf die Geschäftspolitik der Gesellschaften. Wenn man die Strukturen des kommunalen Sektors auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich nachhaltig verändern will, müssten sowohl der Bestand als auch die Neubauaktivitäten in unmittelbarer städtischer Verantwortung gebündelt werden, als Eigenbetrieb des Landes oder auch als AöR.


MieterEcho 412 / Oktober 2020

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