Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 416 / April 2021

Volkspalast ohne Geschäftsgrundlage

18 Jahre vergingen zwischen der Schließung des Palastes der Republik und der Vollendung des Abrisses – Chronologie eines ideologisches Durchmarsches

Von Rainer Balcerowiak 

Manchmal sind es kleine bürokratische Akte, die in der Folge enorme politische Dimensionen entwickeln. Am 19. September 1990 verfügte die Bezirkshygieneinspektion Berlin, den Palast der Republik „mit sofortiger Wirkung aus Gründen der Gesundheitsgefährdung durch Asbest für die gesamte öffentliche Nutzung zu sperren“ . Noch am selben Tag bestätigte der Ministerrat der DDR diese Verfügung durch einen entsprechenden Erlass. Knapp 14½ Jahre nach seiner feierlichen Eröffnung wurde damit das endgültige Ende dieses politischen, kulturellen und architektonischen Leuchtturms der DDR-Hauptstadt eingeläutet.

Allen Beteiligten war bereits damals klar, dass eine einfache Wiederöffnung nach erfolgter Asbestsanierung keine realistische Option sein konnte. Denn der Palast mit seiner Doppelfunktion als politisches Zentrum und Volkshaus der sozialistischen Gesellschaft hatte mit der Überführung der DDR in die kapitalistische Bundesrepublik seine Geschäftsgrundlage verloren. Von nun an ging es um die künftige Gestaltung und Verwertung des Areals im Herzen der vereinten Hauptstadt. Lange Jahre ging es dabei vor allem darum, ob der Palast komplett abgerissen wird, oder nach Sanierung teilweise in ein neues Gebäudeensemble integriert werden sollte. Eine Auseinandersetzung, die weniger städtebaulich als ideologisch geführt wurde. Denn große Teile der herrschenden deutschen Eliten begriffen den Palast als verhasstes Symbol einer verhassten Gesellschaftsordnung, das verschwinden muss – um somit zu einem Symbol des Sieges im Kampf der Systeme zu werden. Bald tauchte auch die Idee des Aufbaus einer Replik des alten Hohernzollernschlosses auf, das sich auf dem Areal einst befand und dessen im Krieg weitgehend zerstörte Ruine 1950 gesprengt worden war.

Nutzlose Wettbewerbe und Gremien

Doch zunächst passierte wenig Konkretes. Im März 1993 beschlossen der Bund und das Land Berlin die Auslobung eines internationalen städtebaulichen Ideenwettbewerbes, der insgesamt 1100 Teilnehmer fand. Den ersten Preis errang 1994 der Architekt Bernd Niebuhr mit seiner Vorstellung eines modernen Baukörpers in den Dimensionen des Schlosses, wobei er sich dezidiert gegen eine Schloss-Attrappe positionierte. Deren Befürworter, allem voran der von dem Landmaschinenunternehmer Wilhelm von Boddien 1992 gegründete Förderverein für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, rührten derweil kräftig die Trommel und durften sich 1993 mit einer auf einem Gerüst vor dem gesperrten Palast platzierten Schlossfassade präsentierten.

Im Mai 1996 beschloss der gemeinsame Ausschuss von Bund und Land schließlich ein Konzept, das ein Konferenzzentrum mit Hotel, eine große Bibliothek, eine Ausstellungsfläche, sowie Läden und Geschäfte vorsah. Ein Jahr später begann ein entsprechendes Interessenbekundungsverfahren, 1998 wurden 14 Arbeiten ausgewählt. Das Verfahren wurde allerdings ohne Zuschlag beendet, da laut dem Ausschuss kein Vorschlag eine überzeugende Lösung bot. Im Oktober 1997, sieben Jahre nach der Schließung, begann schließlich die Asbestsanierung des allmählich verfallenden Gebäudes, wobei bereits einige Gebäudeteile abgerissen wurden. Im November entrollten Gregor Gysi und der Berliner PDS-Abgeordnete Freke Over vom Dach des Palastes ein Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Palast-Abriss“ – und trafen damit auch die Stimmung in der Stadt, deren Bewohner/innen sich laut Erhebungen mehrheitlich gegen einen Abriss aussprachen.

Der Bund-Länder-Ausschuss beschloss schließlich die Einrichtung einer Expertenkommission, die im Januar 2001 ihre Arbeit aufnahm. Ende Dezember 2001 entschied sich die Kommission mit einer Stimme Mehrheit für den Abriss des Palastes und einen Nachbau des Stadtschlosses mit seinen barocken Fassaden. In dem Schlossbau sollte das „Humboldt-Forum“, eine Kombination aus Museum, Bibliothek und Veranstaltungsbereich entstehen. Im Juli entschied der Deutsche Bundestag auf dieser Grundlage, dass auf dem Areal ein Gebäude in der Kubatur des Stadtschlosses errichtet werden soll. Ein erneuter Beschluss zum Abriss des Palastes folgte rund ein Jahr später.

Skurrile Siegesfeier in Ruine

Damit waren die Würfel eigentlich gefallen. Da sich die Asbestsanierung als schwierig erwies und entsprechend lange hinzog, vor einem Abriss komplizierte geologische Untersuchungen des sumpfigen Areals und seines Umfeldes notwendig waren und das Planungs- und Vergabeverfahren sich ebenfalls sehr zeitaufwendig gestaltete, war an einen schnellen Baubeginn nicht zu denken. Es folgte die Phase der Zwischennutzungen mit Ausstellungen, Performances, Konzerten, Workshops, Sportwettkämpfen und politischen und anderen Veranstaltungen.

Skurrilstes Event war sicherlich die Großveranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) am 15. Juni 2004. Dafür wurde extra neuer Estrich in die skelettierte Ruine gegossen, fast 8.000 Quadratmeter Teppichboden verlegt und neues Licht installiert. Hier wurde vor allem der Sieg über den Sozialismus gefeiert, die 1.200 Gäste ließen sich von Sterneköchen verköstigen und konnten unter anderem Reden von Gerhard Schröder, Angela Merkel, Guido Westerwelle und dem polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski lauschen. 

Diese Phase gab den Befürwortern einer irgendwie gearteten Bewahrung des Palastes oder wenigstens seiner Funktion als offener Kultur- und Begegnungsstätte kurzzeitig Aufwind. Auch viele bekannte Künstler und Intellektuelle wie Günter Grass, Dario Fo, Christoph Schlingensief und Daniel Brühl setzten sich für ein Moratorium ein. Doch Versuche der Linken und Grünen im Bundestag, den Abriss zu stoppen und neue Konzeptverfahren zu starten, wurden im Januar 2006 mit der Mehrheit der anderen Parteien abgeschmettert. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Börnsen machte in der Debatte deutlich, worum es geht: Die DDR habe mit der Sprengung des Schlosses ein „geschlossenes Ensemble“ zerstört, um im Zentrum der Republik ein Symbol für sich zu sichern. Dafür könne es keinen Bestandsschutz geben. Wenige Wochen später begann der Abriss, am 1. Dezember 2008 vollendete ein Bagger das Zerstörungswerk.Da auch die künftige bauliche Gestaltung und Nutzung der Schlossattrappe bereits weitgehend geregelt war, ging es anschließend vor allem um die Finanzierung des Vorhabens, dessen Gesamtkosten seinerzeit auf 480 Millionen Euro taxiert wurden. Der Bund bestand auf einer Kostenbeteiligung des Landes Berlin als Bedingung für die Nutzung von großen Teilen des Gebäudes durch das „Humboldt-Forum“, was in der damals regierenden „rot-roten“ Koalition kurzzeitig für Krach sorgte. Am 12. April 2007 erklärte Berlins Kulturstaatsekretär André Schmitz (SPD) im Tagesspiegel: „Die Gespräche mit dem Bund sind auf gutem Weg. Berlin wird zu seiner politischen und finanziellen Verantwortung stehen“. Berlins heutiger Kultursenator Klaus Lederer (Linke), damals Landesvorsitzender der PDS, hielt dagegen: „Wir bringen die landeseigenen Grundstücke mit ein. Eine weitere Finanzierung lehnen wir ab“, sagte Lederer, auch unter Verweis auf den geltenden Koalitionsvertrag.

Knapp zwei Wochen später gab es Entwarnung, die PDS knickte ein. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (beide SPD) ließen es sich nicht nehmen, das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bund und Land im Skelett des ehemaligen Volkskammersaals im Palast der Republik bekannt zu geben.  

Die Tageszeitung junge Welt kommentierte Lederers Rolle rückwärts damals mit bissigen Worten: „Wenn eine Allianz aus DDR-Hassern, preußentümelnden Dumpfbacken, obskuren Geschäftemachern und stadtplanerischen Geisterfahrern einen der zentralen Plätze der Hauptstadt mit einer Stadtschloß-Attrappe verunstalten will, darf die Hauptstadt-Linkspartei.PDS natürlich nicht abseits stehen. Und nachdem Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) vor einigen Tagen einen finanziellen Beitrag Berlins eingefordert hatte, drängelte sich PDS-Landeschef Klaus Lederer (...) pflichtschuldigst in die erste Reihe der Schloßfinanzierer.“ Anscheinend habe Lederer - wie viele seiner Parteifreunde – „noch eine große historische und persönliche Schuld abzutragen. Wer, wie Lederer, 1987 in der jungen Welt als Jung-FDJler in der Rubrik ‚Ich bin vierzehn‘ verkündet hat: ‚Wenn ich groß bin, werde ich ein Kommunist‘, hat einiges gutzumachen“.


MieterEcho 416 / April 2021

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