Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 408 /

Virtuelles Neubauprogramm

Der rot-rot-grüne Senat hat die Neubaupläne des Vorgängersenats teilweise gründlich an die Wand gefahren

Von  Rainer Balcerowiak

Der nahezu pompös inszenierte Auftritt des damaligen Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD) war auch dem beginnenden Wahlkampf in der Hauptstadt geschuldet. Jedenfalls sorgte es für Furore, als Geisel am 15. April 2016 die Pläne für die Errichtung von zwölf neuen Stadtquartieren präsentierte. 45.000 Wohnungen für 100.000 Menschen sollten dort entstehen.   

                
„Die neuen Stadtquartiere sollen lebendige Kieze werden, in denen die Leute gerne wohnen, arbeiten und leben. Die städtebauliche und soziale Qualität sowie die Integration in die angrenzende Nachbarschaft sind hierbei entscheidend. Wir wollen aus dem Erbe des Siedlungsbaus der 1920er Jahre lernen und es mit dem Leitbild der gemischten Stadt verknüpfen, das wir gerade in den Gründerzeitquartieren finden", so Geisel bei der Präsentation.
Je nach infrastrukturellen Voraussetzungen und Planungsstand sollte der Beginn der Bauarbeiten so zügig wie möglich erfolgen, in allen Fällen aber innerhalb der kommenden fünf Jahre. Vor Baubeginn sei eine umfassende Bürgerbeteiligung selbstverständlich, betonte Geisel. Dabei könne es beispielsweise um die Dichte der Bebauung und auch um Qualitäten gehen. Aber „die Frage, ob gebaut wird, werden wir nicht mehr diskutieren“. Denn das sei angesichts des Wohnungsmangels und der Bevölkerungsentwicklung alternativlos. Deshalb forciere seine Verwaltung jetzt die Entwicklung neuer Großsiedlungen. Denn „kleine Bauprojekte sind wichtig, reichen aber nicht“.
Die Hälfte der Grundstücke an den zwölf Standorten befand sich im Landesbesitz. Anhand der vom SPD/CDU-Senat vereinbarten Richtlinien sollte der Anteil preisgebundener Sozialwohnungen dort mindestens 30% betragen. Bei den privaten Flächen wurde im Rahmen der kooperativen Baulandentwicklung eine Quote von 25% angestrebt. Eine wichtige Rolle sollten dabei auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften spielen. Etwa in der Elisabeth-Aue in Pankow, wo Howoge und Gesobau gemeinsam die Hälfte der geplanten 5.000 Wohnungen bauen sollten.
Aber bekanntlich kam alles anders. Nach der Wahl im September 2016 wurde eine rot-rot-grüne Landesregierung gebildet und Geisel musste seinen Posten als Stadtentwicklungssenator an Katrin Lompscher (Die Linke) abtreten. Und schon im Koalitionsvertrag wurde deutlich, dass sämtliche Planungsprozesse für Neubauprojekte künftig einer wesentlich umfassenderen und entsprechend zeitaufwändigen Bürgerbeteiligung unterliegen sollten.        

                                             
Viel Schall und Rauch
Dementsprechend wenig ist von den Ankündigungen übrig geblieben. Das größte geplante Quartier, die Elisabeth-Aue in Pankow, wurde komplett und ersatzlos gestrichen. Das Schumacher Quartier als Teil der Nachnutzung des Flughafens Tegel und seines Umfeldes liegt seit Jahren auf Eis, da der Flugbetrieb immer noch nicht eingestellt werden konnte. Auch das ein Glanzstück Berliner Bau- und Planungskultur, denn die für eine Schließung von Tegel notwendige Eröffnung des neuen Großflughafens in Schönefeld  sollte ursprünglich im November 2011 stattfinden.
In der Wasserstadt Spandau wird zwar gebaut, doch eigentlich sollte das Quartier schon längst fertig sein. Dort zog das Bezirksamt alle Register, um den Bau zu behindern. Die Spandauer CDU sorgte sich vor allem um die „gewachsene Sozialstruktur“, die durch den hohen Anteil an Sozialwohnungen gefährdet sei. Obwohl Teile des neuen Quartiers inzwischen fertiggestellt und auch bezogen sind, ist nach wie vor unklar, wann und wie die schon jetzt vollkommen überlastete Verkehrsinfrastruktur ausgebaut werden soll.
Dabei dämmerte dem Senat bereits im Juli 2018, dass es bei den geplanten Stadtquartieren große Verzögerungen geben könnte. Es kam zu einem handfesten Krach zwischen dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und seiner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher. Im Juli wurde dann das „Handlungsprogramm zur Beschleunigung des Wohnungsbaus“ beschlossen. Als Aufgaben wurden unter anderem benannt:
- Behutsame Ergänzungsbebauung in bestehenden Wohn-
   gebieten ermöglichen,
- Bauüberhang verringern,
- Vorkaufsrechte nutzen,
- Landeseigene und mittelbar landeseigene Flächen voll-
  ständig analysieren.
Auch der Diskrepanz zwischen Bauvorhaben und Umfeldentwicklung wollte man zu Leibe rücken. Es gelte „die verkehrliche, soziale und grüne Infrastruktur bedarfs- und zeitgerecht sicherstellen“. Dafür müsse man „die sektoralen Fachplanungen und die Planungen für den Wohnungsbau zügig und regelmäßig synchronisieren“, um eine „zeitgleiche Realisierung“ zu gewährleisten. Der Senat warnte: „Einzelne Bezirke haben bereits darauf hingewiesen, dass sie größere Wohnungsbauvorhaben künftig nur noch genehmigen können, wenn die erforderliche zusätzliche Infrastruktur gleichzeitig nachgewiesen wird. Die rechtzeitige Bereitstellung von verkehrlicher Erschließung und Wohnfolgeinfrastruktur ist erforderlich, um die notwendige Beschleunigung des Wohnungsbaus zu erreichen“. Das sollten eigentlich Selbstverständlichkeiten sein. Doch der Fortgang zeigt, dass Berliner Senatspapiere sehr geduldig sind.                                
Protest auch von rechts
Zu einem nahezu prototypischen Musterbeispiel rot-rot-grüner Wohnungsbaupolitik hat sich das Quartier Blankenburger Süden entwickelt. Eigentlich sollte das Abgeordnetenhaus schon 2018 entscheiden, welche Variante des umstrittenen Bauprojekts zustande kommen soll. Nach massiven Protesten wurde die Entscheidung mehrfach verschoben. Mittlerweile hofft man, dass es 2021 so weit sein könnte – Zweifel sind allerdings angebracht. Für das geplante Stadtquartier läge „noch kein städtebaulicher Rahmenplan vor“, heißt es im aktuellen Exposé der Senatsbauverwaltung. Und „die geplante städtebauliche Einordnung des Stadtquartiers in den Kontext der Umgebung ist erst in den kommenden Planungsstufen partizipativ zu entwickeln“. Als frühester Termin für den Baubeginn wird nunmehr 2027 angegeben.
Die im März 2018 vorgestellten Entwürfe, die teilweise bis zu 10.000 statt der ursprünglich avisierten 5 bis 6.000 Wohnungen vorsahen, sind mittlerweile fast komplett vom Tisch. Im Sommer 2019 – also mehr als drei Jahre nach der offiziellen Vorstellung des neuen Stadtquartiers – suchte die Senatsverwaltung in einer EU-weiten Ausschreibung nach „erfahrenen und kreativen Teams aus Stadtplanern, Architekten sowie Landschaftsarchitekten“. Aus dem Bewerberpool wurden mit Unterstützung des Projektbeirats „Stadt behutsam weiterbauen im Blankenburger Süden“ vier Teams ausgewählt. In einem nun gestarteten „kooperativen Werkstattverfahren“ sollen diese Teams je einen „städtebaulichen Testentwurf“ erstellen. Aus diesen Testentwürfen wird dann ein Rahmenplan entwickelt, der wiederum die Basis für einen städtebaulichen Entwurf bilden soll.
Auch die Verkehrsplanung entwickelte sich zu einer Art Hornberger Schießen. Die Verlängerung einer Tramlinie stieß auf entschiedenen Widerstand, da die Trasse durch eine Siedlung verlaufen sollte. Munter wird daher seit Jahren über alternative Trassenführungen diskutiert, passiert ist allerdings nichts. Die CDU wirbt nunmehr für eine ganz andere Variante: Den Bau einer neuen U-Bahn-Linie vom Alexanderplatz über Weißensee bis Buch und Bernau. Und der Pankower Bürgermeister Sören Benn (Die Linke) brachte im Januar 2020 den Bau von Seilbahnen zur Anbindung der verschiedenen Teile des Neubaugebiets ins Gespräch. Daraufhin forderten mehrere Politiker/innen, darunter der Pankower SPD-Abgeordnete Dennis Buchner, die städtebaulichen Planungen zu bremsen, „damit der Bereich Verkehr aufholen kann“. Schließlich hätten „Entscheidungsträger aller Parteien als Voraussetzung für den Blankenburger Süden den gleichen Punkt genannt: Eine effektive Verkehrsanbindung muss bereits da sein, bevor der Wohnungsbau beginnt“. Die Fortsetzung dieser Planungsposse folgt mit Sicherheit.
Gerade im Entwicklungsgebiet Blankenburger Süden zeigt sich eine neue Qualität des Protests gegen Neubauvorhaben. Denn anders als in den meisten innerstädtischen Quartieren sind in diesem nördlichen Randgebiet nicht nur die üblichen Vertreter/innen der „alternativen Stadtgesellschaft“ aktiv. Die kleinteilige Siedlungsstruktur mit oftmals verpachteten Erholungs- und Wohnnutzungsgrundstücken erwies sich als idealer Nährboden für rechtspopulistische „Neubaukritik“. Mit Losungen wie „unsere Heimat verteidigen“ gewann die AfD schnell an Einfluss in einigen Initiativen. In einem Positionspapier der AfD Pankow wurde der Bau von Großsiedlungen als „gescheitertes Konzept des vergangenen Jahrhunderts“ abgelehnt. Denn diese entwickelten sich stets „zu sozialen Brennpunkten und Schwerpunkten der Kriminalität“. Der heute im Nordosten von Pankow vorhandene „vorstädtisch-dörfliche Charakter würde verloren gehen, die Sozialstruktur sich erheblich verändern, insbesondere wenn man die Aussagen des Senats berücksichtigt, bis zu 50 Prozent für Sozialwohnungen vorhalten zu wollen“.
Schnell wird der Bogen zu rassistischer und auf falschen Behauptungen fußender Propaganda gespannt. Schließlich sei das Problem des mangelnden Wohnraums hausgemacht, denn „der Zuwachs an Einwohnern in den vergangenen fünf Jahren ist zu über 90 Prozent auf den Zuzug von Nicht-Deutschen zurückzuführen“. Bei einem  „nicht unerheblichen Teil handelt es sich um Asylbewerber und Armutsmigranten aus Afrika, Asien und Südosteuropa“. Die müsse man in ihre Herkunftsländer zurückbringen und den weiteren Zuzug stoppen.
AfD-Anhänger/innen waren aktiv an der Organisation mehrerer Demonstrationen gegen die Neubaupläne beteiligt, deren Erscheinungsbild dann auch stark an Pegida-Versammlungen erinnerte. Ähnliches gilt für viele Transparente, die in Blankenburg und anderen Ortsteilen an Grundstückszäunen zu sehen waren und teilweise noch sind. Zwar sind die diversen neubaukritischen Initiativen äußerst heterogen und bemühen sich teilweise auch um die Abgrenzung von „wildgewordenen Kleingärtnern“, doch der Einfluss der Rechtspopulist/innen ist unverkennbar. Das kann kaum verwundern, denn der Nordosten Pankows gehört zu den Hochburgen der AfD. Bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen erreichte die Partei in dem gesamten Wahlkreis ein Direktmandat und in einzelnen Stimmbezirken sogar über 30%.             

                               
Rolle rückwärts im Prenzlauer Berg
Ein Stück aus dem Tollhaus ist auch das neue Quartier Michelangelostraße in Prenzlauer Berg, für das es bereits ab 2014 einen „städtebaulichen Ideenwettbewerb“ und diverse Prüfaufträge gab. Laut der Präsentation von Senator Geisel im April 2016 sollten in dem neuen Quartier auf 30 Hektar bis zu 2.500 Wohnungen entstehen, sowohl durch Nachverdichtungen als auch durch neue Blöcke. Auch hier gab es erheblichen Widerstand der Anwohner/innen, die um ihre „Lebensqualität“ fürchteten. Es folgte die Einleitung eines mehrstufigen Dialog- und Beteiligungsprozesses. Schnell wurde klar, dass es nur noch um maximal 1.200 Wohnungen gehen soll. Und bald zeigte sich, dass es auch ungelöste infrastrukturelle Probleme im Bereich der notwendigen Straßenverlegung und der Wasser- und Fernwärmeleitungen gibt. Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) verwies 2019 darauf, dass das alles „sehr lange dauert“ und zählte auf: „Einplanung der Investitionsmittel, Beteiligungsschritte, Planfeststellungsbeschluss, Beauftragung der Firmen und Bau. Also, wir rechnen mit zirka acht Jahren mindestens. Kann natürlich auch etwas länger werden." Die Senatsverwaltung  nannte für einen möglichen Baubeginn dann das Jahr 2035, allerdings auch das nur unter Vorbehalt und „abhängig vom laufenden Dialogprozess“.
In den verbleibenden neuen Stadtquartieren geht es immerhin voran, wenn auch meistens mit erheblichen Verzögerungen im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen. Und die sind teilweise äußerst skurriler Natur. So sollen auf den Buckower Feldern rund 900 Wohnungen unter der Federführung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land entstehen. 200 davon sollen von „gemeinwohlorientierten Dritten“ errichtet werden, womit laut Senatsdefinition vor allem Genossenschaften, Stiftungen oder Baugruppen gemeint sind. Dafür wurde ein eigenes Konzept- und Bewerbungsverfahren gestartet, das noch nicht beendet ist. Im November 2019 zogen sich zwei Genossenschaften aus dem Verfahren zurück – unter Verweis auf den „Mietendeckel“ für den eigenen Bestand, der zu Mindereinnahmen führe und Investitionen verhindere. Auch das ein Beispiel für die Merkwürdigkeiten der rot-rot-grünen Wohnungspolitik. Denn der Senat bezeichnet forcierten und vor allem schnelleren Neubau als zentralen Hebel für die „Atempause“, die der auf fünf Jahre befristete Mietendeckel für Bestandswohnungen schaffen soll. Doch ohne eine radikale Wende in der Planungs- und Baupolitik droht diese weitgehend ungenutzt zu verstreichen.
           

Die im April 2016 vom Berliner Senat vorgestellten neuen Stadtquartiere (Anzahl geplanter Wohnungen)
• Elisabeth-Aue in Pankow-Blankenfelde: 5.000
• Blankenburger Pflasterweg/Heinersdorf in Pankow: 5.000 - 6.000
• Cluster Buch in Pankow: 2.000 - 2.500
• Michelangelostraße in Prenzlauer Berg: 1.500 - 2.500
• Johannisthal/Adlershof in Treptow. 2.000 - 2.500
• Cluster Köpenick in Köpenick: 3.500 - 4.500
• Buckower Felder in Neukölln: 500
• Lichterfelde-Süd in Steglitz: 2.500 - 3.000
• Wasserstadt Oberhavel in Spandau: 4.500 - 5.500
• Gartenfeld in Spandau-Siemensstadt: 3.000 - 4.000
• Schumacher Quartier in Reinickendorf-Tegel: 5.000
• Europacity/Lehrter Straße in Mitte-Moabit: 4.000


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