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MieterEcho 413 / Dezember 2020

„Verwertungsspirale im Namen der Smart City“

Interview mit Katalin Gennburg

Siemens plant in der Spandauer Siemensstadt ein neues „smartes“ Stadtquartier mit digital vernetzten Industrie- und Gewerbeflächen, 3.000 Wohnungen, sozialer Infrastruktur sowie Forschungs- und Bildungseinrichtungen auf mehr als 70 Hektar. Die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg fordert eine gemeinwohlorientierte Entwicklung des Siemenscampus sowie ein Digitalisierungsgesetz für Berlin.

MieterEcho: Entsteht mit dem Siemenscampus ein von der Planung bis zur Infrastruktur vollständig privates Stadtquartier, hofiert vom Berliner Senat?

Katalin Gennburg: Das Areal war bereits Eigentum von Siemens und ist insofern schon jetzt ein privates Quartier. Der Konzern plant die Öffnung seines Industriestandortes verbunden mit einer Immobilienentwicklung. Die Frage ist nun, ob man ihm die Immobilien zur freien Verwertung überlässt oder die Stadt planerisch regulierend dort reingeht. In dem Moment, wo Siemens das Industriequartier zu einem Wohnbauareal entwickeln will und das Land dafür Planungsrecht erteilt, entstehen wahnsinnige Bodenwertsteigerungen, die es sozialverträglich abzuschöpfen gilt. Statt der im Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung festgeschriebenen Quote von 30% sozialem Wohnungsbau brauchen wir 50% Sozialwohnungen. Die Stadt sollte bei Planrechtsschaffung kommunale Vorkaufsrechte verankern, um bei Weiterverkäufen die Möglichkeit zur Kommunalisierung der Flächen zu erhalten und Spekulation mit den Flächen zu unterbinden. Bei der sozialen Infrastruktur müssen wir nachverhandeln. Der Bezirk Spandau hat die Schaffung von Milieuschutz komplett verpennt, obwohl bei einem privaten Projekt in dieser Größenordnung im umliegenden Quartier massive Verdrängungswellen in Gang gesetzt werden.

Nun hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen die Kompetenz für den Entwicklungsprozess an sich gezogen, das heißt, die Linke könnte direkt Einfluss nehmen und ihre Forderungen umsetzen.

Das wird versucht, aber es ist auch kein Geheimnis, dass in der Berliner Regierung die Haltung vorherrscht: Siemens kommt zurück, das ist gut und wir wollen das auf keinen Fall kaputt machen. Die gigantischen Gewinne für den Konzern werden ausgeblendet. Es gibt keine Gründe für Siemens, diese Investition abzublasen, wenn die Stadt gemeinwohlorientierte Forderungen auf den Tisch legt. Wir brauchen eine kooperative Entwicklung des Quartiers. Dazu gehört auch die Frage, was die Stadt an sogenannten Zukunftstechnologien überhaupt zulassen will.

Sie forderten zuletzt gegenüber dem Neuen Deutschland, dass R2G sich „klar datenpolitisch positionieren“ müsse. Wie könnte das beim Siemens-Campus aussehen, wo der Konzern plant, die Daten der Bewohner/innen und Nutzer/innen des Quartiers über Sensoren privat abzugreifen und zu verwerten?

Wir brauchen eine Debatte über die Verwertungsspirale im Namen der Smart City. Alles was im öffentlichen Raum stattfindet, ist für Digitalkonzerne eine verwertbare Datenlandschaft. Trotzdem ist die Datengenerierung über digitale Infrastruktur durch private Konzerne eine offene Flanke im Land Berlin. Die Smart City-Strategie, die unter Rot-Schwarz auf den Weg gebracht wurde, gehört auf den Müll. Derzeit haben wir nur die Möglichkeit, mühsam im Einzelfall die Verhandlung anzutreten, ob an dieser oder jener Stelle die Technisierung im Stadtraum anders funktionieren soll. Das ist für den konkreten Fall ein Problem. Staatssekretär Frank Nägele hat vorgeschlagen, mit Siemens ein Modellprojekt ins Leben zu rufen, um über Kooperation deren Verwertungsinteressen ein Stück weit einzuhegen. Als Linke habe ich große Zweifel, dass das gut funktioniert, aber in puncto private Stadtverwertung im Namen der Smart City muss man es wenigstens versuchen. Es ist allerhöchste Eisenbahn, über ein Digitalisierungsgesetz zu diskutieren, dass wir nicht in jedem Einzelfall mit jedem Investor einzeln verhandeln müssen, wo er seine Sensoren baut und welche Daten er wie kapitalisieren darf. In einem Gesetz könnte man das umfassend für die Stadt regeln und klare Handlungsrichtlinien vereinbaren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Philipp Möller.

 

Katalin Gennburg ist Stadtforscherin und Sprecherin für Stadtentwicklungspolitik, Tourismus und Smart City der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Ihre parlamentarische Arbeit fokussiert auf das Recht auf Stadtbewegung, soziale Gerechtigkeit und Stadtentwicklungspolitik sowie Digitalisierung.


MieterEcho 413 / Dezember 2020