Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 410 /

Unzählige Meinungen

Erste Erfahrungen mit dem Mietendeckel in der gerichtlichen Praxis

Von Rechtsanwältin Daniela Rohrlack                                     

In der Juristerei ist seit jeher die Floskel etabliert: „Zwei Jurist/innen, drei Meinungen. “ Im Hinblick auf das „Mietendeckelgesetz“ ist das jedoch anders. Hier muss es vielmehr heißen: Zwei Jurist/innen, unzählige Meinungen.
Seit nunmehr drei Monaten ist das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in Kraft  und hat bereits seit Bekanntwerden des Stichtags im Juni 2019 für ordentlich Diskussionen und Streit gesorgt. Dieser Streit ist mindestens seit dem Inkrafttreten des Gesetzes auch in die Gerichte gelangt, die nun mit dem Gesetz umgehen müssen. Dabei ist die Vielfalt an Ansichten keineswegs verloren gegangen.    

                
Um diese Vielfalt verstehen zu können, muss man wissen, dass nach Art. 97 Abs. 1
 Grundgesetz Richter/innen in ihrer Entscheidung unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Das bedeutet, dass sie das Mietendeckelgesetz nicht ignorieren dürfen, sondern ihrer Entscheidung zugrunde legen müssen. In Ausnahmefällen dürfen Richter/innen, wenn sie ein Gesetz für verfassungswidrig halten und es nicht anwenden möchten, ihr Verfahren aussetzen und die entsprechende Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen (Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz). Sie dürfen dann warten, bis das Bundesverfassungsgericht über das Gesetz entschieden hat und legen diese Entscheidung dann ihrer eigenen Entscheidung zugrunde.
Da der Mietendeckel nur in Wohnraummietfragen zur Anwendung kommt, befassen sich zunächst nur die Amtsgerichte in Berlin damit. Dort beginnen zwangsläufig alle Klagen, in denen es um Wohnraummiete in Berlin geht (§ 29 a Abs. 1 Zivilprozessordnung,  § 23 Nr. 2a Gerichtsverfassungsgesetz). So kommt es, dass nicht nur in den verschiedenen Amtsgerichten unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden, sondern auch in den einzelnen Abteilungen innerhalb eines Gerichts. Richterliche Unabhängigkeit heißt nämlich auch, dass Richter/innen nicht daran gebunden sind, was die Richterkolleg/innen in den Amtsgerichten entscheiden. Dadurch hat sich mittlerweile eine blühende Meinungslandschaft unter den Amtsrichter/innen gebildet, was zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führt.    
                
Aussetzen oder Aussitzen?        
Eine Vielzahl von Richter/innen hält das Gesetz offensichtlich für verfassungswidrig und will es nicht anwenden. Insbesondere am Amtsgericht Schöneberg und am Amtsgericht Wedding sind die Tendenzen, die Verfahren aussetzen zu wollen, außerordentlich hoch. Da jedoch eine Verfahrensaussetzung nur möglich ist, wenn auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht geschrieben wird, haben sich einige Richter/innen kreative Lösungsstrategien überlegt, um diese doch eher lästige Schreibarbeit zu vermeiden. So wird nicht selten angeregt, sich vor Gericht zu vergleichen und den Prozess damit zu beenden oder die Parteien werden dazu bewogen, das Verfahren ruhen zu lassen, bis irgendwann einmal eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (dann in anderer Sache) ergeht. Mancherorts wurde das Gesetz aber auch schon gänzlich ignoriert und in den Urteilsgründen kein einziges Wort darüber verloren – so geschehen am Amtsgericht Neukölln. Andere wiederum setzen ihre Verfahren einfach aus, ohne die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Hier wird sich darauf verlassen, dass das Gesetz ohnehin auf den Prüfstand gestellt wird. Rechtsfehlerfrei ist dies jedoch nicht.


Einen kleinen Aufwind hat die Fraktion der Aussetzer/innen zudem erhalten, als der erste Mietendeckel-Fall die 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin erreichte. Dort hat man in einem Berufungsverfahren zu entscheiden, ob das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Spandau im Rahmen eines Mieterhöhungsprozesses Bestand haben kann oder nicht. Die 67. Zivilkammer der Landgerichts Berlin hält das Mietendeckelgesetz für verfassungswidrig und hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und das Verfahren im März 2020 ausgesetzt.
Dies hat dafür gesorgt, dass die Amtsrichter/innen nun insgesamt mutiger zu sein scheinen, die Verfahren auszusetzen und das Ergebnis der Vorlage abzuwarten. Vielerorts machen sie es sich hierbei einfach und nehmen die Vorlage der Zivilkammer am Landgericht als Begründung dafür, keine eigene Vorlage schreiben zu müssen. Ob dies jedoch so einfach möglich ist, ist heftig umstritten. Das Grundgesetz und die Zivilprozessordnung sehen jedenfalls etwas anderes vor.


Vielleicht aus diesem Grund umschiffen einige Richter/innen die Problematik aber auch ganz, indem sie die Ansicht vertreten, das Gesetz sei zwar wirksam, auf Mieterhöhungsverfahren jedoch nicht anwendbar. Das Gesetz solle dabei nur öffentlich-rechtlich wirken, aber keinen Einfluss auf den zivilrechtlichen Mietvertrag haben. Es finde damit keine Berücksichtigung in Mieterhöhungsverfahren. Das Amtsgericht Charlottenburg beispielsweise hat es mit dieser Ansicht auch in die Schlagzeilen der Tageszeitungen geschafft.
      

             
Abweisung und Auslegung        
Aber auch, wenn in der öffentlichen Medienberichterstattung der Eindruck entstanden ist, die Gerichte hielten allesamt das Gesetz für verfassungswidrig, ergehen derzeit auch etliche Urteile, die die Regelungen des Mietendeckels berücksichtigen.
So wurden beispielsweise am Amtsgericht Mitte und am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg bereits Urteile gefällt, die den Mieter/innen vollumfänglich Recht gaben. Dort sah man in den begehrten Mieterhöhungsverlangen einen Verstoß gegen das Mietendeckelgesetz und wies die Klagen der Vermieter ab. Auch etliche Richter/innen an den Amtsgerichten Köpenick, Pankow-Weißensee und Lichtenberg erteilten entsprechende Hinweise an die Parteien in ihren jeweiligen Verfahren, dass sie dazu neigen, die Klagen abzuweisen und den Mietendeckel ohne Ausnahme anzuwenden. Von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes sei man dort schlicht nicht überzeugt.


Seit der Vorlage der 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin ist jedoch – gerade am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg, aber auch am Amtsgericht Lichtenberg – ein kleines Umschwenken zu beobachten. Hielten viele Richter/innen dort den Mietendeckel vorerst noch uneingeschränkt für anwendbar, ergehen derzeit nicht wenige Hinweise an die Prozessparteien, man sehe das nun anders. Neuerdings stößt man dort nun häufiger auf die Ansicht, dass eine Mieterhöhung nur bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vereinbart werden könne – darüber hinaus nicht mehr. Danach hätten die Klagen der Vermieter nun teilweise Erfolg – die Zustimmung der Mieterhöhung sei nur bis zum 23.02.2020 geschuldet.
Dass Ansichten sich auch während eines laufenden Verfahrens mehrfach ändern können, zeigt das Amtsgericht Lichtenberg: In einem dortigen Mieterhöhungsverfahren hat eine Richterin binnen weniger Monate zwei Mal ihre bislang vertretene Auffassung aufgegeben.


Die Möglichkeit der Gerichte, Gesetze auf verschiedene Art und Weise auszulegen, bringt aber auch eher exotische Ansichten hervor. So vertritt eine Richterin am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg die Auffassung, dass  Mieterhöhungen, die bis zum 30.11.2019 ausgesprochen wurden und deren Zustimmungsfrist bis zum 31.01.2020 abläuft, verlangt werden dürfen und nicht unter das Gesetz fallen. Mieterhöhungen, die ab Dezember 2019 ausgesprochen wurden, sollen dagegen darunter fallen. Mindestens ein Richterkollege am Amtsgericht Neukölln dagegen hält das Gesetz erst für Mieterhöhungen anwendbar,  die nach dem 23.02.2020 ausgesprochen werden. Fast schon skurril wirkt es daneben, wenn sich nun die bereits erwähnte 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin mit der Frage beschäftigen muss, ob die Zustimmung zu einer im März 2019 ausgesprochenen Mieterhöhung, die zum 1.06.2019 wirksam werden sollte, auch noch nach dem Stichtag vom 18.06.2019 durchgesetzt werden kann.    


Diese Beispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich die Amtsgerichte derzeit das Gesetz behandeln und wie schwierig es unter diesen Voraussetzungen ist, einen Verfahrensausgang zu prognostizieren, was für Mieter/innen wie für Vermieter gleichermaßen gilt. Und auch das Landgericht Berlin kann mit seinen unterschiedlichen Zivilkammern diverse Entscheidungen treffen. So hat die Auffassung der 67. Zivilkammer keinen Einfluss auf die Ansichten der Kolleg/innen, die in den 63. - 66. Zivilkammern zu entscheiden haben. Man darf also gespannt sein, wie die dortigen Richter/innen mit dem Gesetz umgehen werden.                    

Das MietenWoG Bln, der sogenannte Mietendeckel, ist seit dem 23. Februar 2020 in Kraft. Seitdem ist eine Miete verboten, die die am Stichtag vom 18. Juni 2019 wirksam verein-barte Miete überschreitet. Das bedeutet, die Miete der Mieter/innen, die zum 18. Juni 2019 in einer Wohnung wohnten und diese nach dem Inkrafttreten weiterhin bewohnen, wird auf dem Stand des 18. Juni 2019 eingefroren. (MieterEcho 408/März 2020)


MieterEcho 410 /

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.