Störfeuer bis zur letzten Sekunde
Nach weiteren Anhörungen wird das Abgeordnetenhaus spätestens Anfang Februar über den Mietendeckel abstimmen
Von Rainer Balcerowiak
Der Fahrplan für den Mietendeckel steht. Nach einer Expertenanhörung im Plenum des Berliner Abgeordnetenhauses am 11. Dezember stehen noch Beratungen in den Ausschüssen an, bevor das Landesparlament Ende Januar oder Anfang Februar über das Gesetz abstimmen soll. Der Mietendeckel könnte dann Anfang März in Kraft treten.
Die wesentlichen Bestimmungen des Mietendeckels sollen aber rückwirkend zum 18. Juni 2019 wirksam werden, dem Tag des ersten Eckpunktebeschlusses des Senats. Das betrifft vor allem Mieterhöhungen, die erst nach diesem Stichtag ausgesprochen wurden oder wirksam werden sollten. Auch nach diesem Stichtag abgeschlossene Neuvertragsmieten, die oberhalb der Bestandsmieten beziehungsweise der Deckelwerte liegen, wären demnach unzulässig, die Differenzbeträge könnten zurückgefordert werden.
Obwohl sich der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und Linken im Oktober auf einen Kompromiss verständigt hatte, der im November auch formell vom Senat beschlossen wurde, gibt es im Regierungslager weiterhin Störfeuer. So beschlossen die Grünen auf ihrem Landesparteitag im Dezember, dass Genossenschaften und andere vermeintlich „gemeinwohlorientierte Träger“ komplett vom Mietendeckel ausgenommen werden sollen. Bei den Koalitionspartnern stieß dies auf schroffe Ablehnung, woraufhin die Grünen-Spitze beteuerte, dass man die erzielte Einigung nicht torpedieren wolle. Vielmehr hätten die Grünen ihre eigene Position nochmals deutlich gemacht und mögliche „Nachbesserungen“ des Deckels zu einem späteren Zeitpunkt skizziert, erklärte die Fraktionsvorsitzende Antje Kappek. Widerstand gab es auch im Rat der Bezirksbürgermeister. Einige Bezirke lehnen es ab, die Verantwortung für die Kontrolle und Umsetzung des Gesetzes zu tragen. Der Senat bewilligte daraufhin weitere Stellen für die entsprechenden Fachabteilungen der Bezirke.
Querschüsse aus der SPD
Auch aus den Reihen der SPD gibt es weiterhin Querschüsse. Der frühere stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Heiko Kretschmer – heute Präsidiumsmitglied des zum rechten Parteiflügel gehörenden SPD-Wirtschaftsforums und Mitinhaber einer großen PR-Agentur – ist Sprecher einer von großen Immobilienverbänden initiierten und finanzierten „Bürgerinitiative“ namens „Neue Wege für Berlin“, die unter anderem mit einer Unterschriftensammlung gegen den Mietendeckel Stimmung machen will. Auch in der Initiative „Berlin kann mehr“ spielt mit Tim Kauermann ein SPD-Mitglied eine führende Rolle. Hinter der Gruppe steht der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BfW), zu dessen prominenten Mitgliedern die Momper Projektentwicklungs GmbH des früheren Regierenden Bürgermeisters Walter Momper (SPD) gehört. Für Aufsehen sorgte ferner Frank Nägele, SPD-Staatssekretär in der Senatskanzlei, der demonstrativ den Schulterschluss mit dem Lobbydachverband Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) suchte und von diesem mit den Worten zitiert wurde: „Sie haben es beim Mietendeckel-Gesetz mit Linken zu tun, deren Staat untergegangen ist und die noch kein Vertrauen zu einem neuen Staat gefunden haben“.
Die Oppositionsparteien haben sich ebenfalls gegen den Mietendeckel formiert. Die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat angekündigt, unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eine Klage beim Berliner Landesverfassungsgericht einzureichen, mit Unterstützung der FDP, deren Abgeordnete für das notwendige Quorum einer derartigen Klage benötigt werden. Rückendeckung kommt von der Bundesebene. Der CDU-Bundesparteitag hat am 23. November die Bundestagsfraktion aufgefordert, eine Normenkontrollklage gegen das Mietendeckelgesetz beim Bundesverfassungsgericht einzureichen.
Die großen Lobbyverbände der Immobilienbranche und der Bauwirtschaft machen weiterhin mobil, darunter auch der Dachverband der Genossenschaften. Mit millionenschweren Plakat- und Anzeigenkampagnen soll die Stimmung in der Stadt gedreht werden, denn bislang spricht sich eine große Mehrheit der Bevölkerung für den Mietendeckel aus. Selbst bei Anhänger/innen der CDU und der AfD überwiegt die Zustimmung, nur in der FDP-Klientel überwiegt die Ablehnung. In der Kampagne werden regelrechte Horrorszenarien beschworen: Insolvenzen von Vermieter/innen und Handwerksbetrieben mit entsprechenden Folgen für die Beschäftigten, Verfall von Wohnhäusern durch ausbleibende Sanierungen, Verfehlen der Klimaziele durch aufgeschobene energetische Modernisierungen, weitgehende Einstellung des Neubaus und der Rückzug von Investoren auch aus anderen Branchen gehören zu den gängigen Schreckensbildern. Ein erster Versuch, diese Kampagne nicht nur virtuell, sondern auch öffentlich zu präsentieren, verlief am 9. Dezember allerdings eher kläglich. Statt der angekündigten 2.000 Teilnehmer/innen versammelten sich lediglich einige hundert größtenteils dafür von der Arbeit freigestellte Mitarbeiter/innen von Branchenunternehmen vor dem Brandenburger Tor und ernteten für ihren eher schrägen Auftritt mit gelben Westen (von Haus&Grund gesponsert) und vorgefertigten, einheitlichen Protestplakaten selbst in der bürgerlichen Presse eher Spott als Unterstützung.
BBU spuckt Gift und Galle
Eine besondere Rolle in der Kampagne gegen den Mietendeckel spielt der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), dessen Mitgliedsunternehmen in Berlin 715.000 Wohnungen, das entspricht 43% des Gesamtbestands, bewirtschaften. Zwar ist der Verband bemüht, eine gewisse Distanz zu den plumpen Scharfmachern von ZIA, Haus&Grund und Fachgemeinschaft Bau zu wahren, doch inhaltlich bewegt man sich auf ähnlichen Pfaden. So erklärte die BBU-Vorstandsvorsitzende Maren Kern auf dem BBU-Verbandstag, dass in der Auseinandersetzung über die Wohnungspolitik „Kräfte dominieren, die systematisch polarisieren und die Gesellschaft spalten“. Es erinnere an „Biedermann und die Brandstifter“, wenn in Berlin die Enteignung hunderttausender Wohnungen gefordert werde und ein Mietendeckel nicht nur Mieten einfrieren, sondern in bestehende Mietverträge eingreifen wolle, um so „schwarze Schafe“ in der Wohnungswirtschaft zu treffen. Der Mietendeckel „trifft aber vor allem die vielen sozialen Vermieter in der Stadt“, so Kern. Die Linke reagierte auf die Ausfälle Kerns mit einem Beschluss des Landesparteitags am 23. November, in dem gefordert wird, dass die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die über 40% der BBU-Bestände repräsentieren, den Verband verlassen sollen (vgl. S.18). Das wies der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) allerdings postwendend zurück. Eher ermüdend wirkt inzwischen die um den Mietendeckel entbrannte „Gutachterschlacht“, da die zahlreichen „wissenschaftlichen Expertisen“ allzu offensichtlich den politischen Erwartungen der jeweiligen Auftraggeber entsprechen. Dabei geht es sowohl um grundsätzliche Fragen wie die Gesetzgebungskompetenzen der Berliner Landesregierung in Fragen der Wohnungsbewirtschaftung und die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Eigentumsrecht als auch um die Abschätzung der möglichen sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Folgen des geplanten Gesetzes. Es erscheint derzeit sicher, dass eine endgültige Entscheidung über den Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht gefällt werden wird. Da es sich um ein sogenanntes Artikelgesetz handelt, ist auch möglich, dass das Gesetz nicht komplett gekippt wird, sondern einzelne Bestimmungen, wie etwa die Rückwirkung der „eingefrorenen“ Mietobergrenzen, als nicht mit der Verfassung vereinbar klassifiziert werden. Wann ein entsprechendes Urteil fallen wird, steht allerdings in den Sternen.
Nach der Anhörung am 11. Dezember kündigte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher an, dass man das Gesetz vor der Abstimmung nochmals intensiv überprüfen werde. Möglicherweise werde man „einige Formulierungen ändern“, um den Mietendeckel „gerichtsfest zu machen“. In der Tat haben auch Jurist/innen, die den Mietendeckel im Prinzip unterstützen, davor gewarnt, dass einzelne Festlegungen als unzulässige konkurrierende Gesetzgebung zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) aufgefasst werden könnten, in dem die zivilrechtlichern Aspekte des Mietpreisrechts für die gesamte Bundesrepublik geregelt werden. Beim Berliner Mietendeckel geht es dagegen um öffentliches Recht in Fragen des Wohnungswesens, was in die Kompetenz der Bundesländer fällt.
MieterEcho 407 / Januar 2020