Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 412 / Oktober 2020

Steuerungsinstrumente konsequenter einsetzen

Trotz Vorgaben zur Wohnraumversorgung folgen die landeseigenen Wohnungsunternehmen einer betriebswirtschaftlichen Logik

Von Andrej Holm

Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen mit mehr als 320.000 Wohnungen sind die wichtigste Ressource zur Sicherung einer sozialen Wohnversorgung in Berlin. Im Gegensatz zu den knapp 100.000 Sozialwohnungen, deren Bindungen in den nächsten Jahren verloren gehen, könnten die landeseigenen Wohnungen dauerhaft mit Auflagen zu Mietpreis- und Belegungsbindungen angeboten werden. Zudem steht die öffentliche Wohnungswirtschaft in der Verantwortung, den Neubau von preiswerten Wohnungen zu forcieren, um das selbstgesteckte Ziel von 100.000 gemeinwohlorientierten Wohnungen bis 2030 zu erreichen.


Ein Beitrag zur sozialen Wohnversorgung und zum bezahlbaren Neubau sollte für die öffentliche Wohnungswirtschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die sechs Gesellschaften sind als Aktiengesellschaften und GmbHs in privaten Rechtsform organisiert und unterliegen den entsprechenden Spielregeln für Kapitalgesellschaften. Diese Konstruktion bringt es mit sich, dass die Interessen der Unternehmen und des Landes als Gesellschafter nicht immer deckungsgleich sind. Zurzeit gibt es drei zentrale Instrumente, die landeseigene Wohnungswirtschaft zu steuern.    
                        

Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG)    
Eine zentrale Rahmensetzung für die landeseigenen Wohnungsunternehmen ist das 2015 beschlossene „Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“, kurz „Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG)“. Das Gesetz war eine direkte Reaktion des damaligen Senats auf den Mietenvolksentscheid, der mit einem sogenannten Artikelgesetz eine Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung durchsetzen wollte und unter anderem die Umwandlung der sechs landeseigenen Gesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) forderte. Mit dem eigenen Gesetzentwurf der Regierung wurde der beantragte Volksentscheid der Initiativen verhindert – auch wenn nicht alle Forderungen übernommen wurden. Insbesondere die Vorschläge zu strukturellen Veränderungen der landeseigenen Wohnungswirtschaft wurden ausgespart. Dennoch ist das Wohnraumversorgungsgesetz ein bundesweit einmaliger politischer Erfolg der Mieterbewegung, weil es die soziale Ausrichtung der öffentlichen Wohnungswirtschaft Berlins per Gesetz vorschreibt. Im Artikel 2 des WoVG werden die Aufgaben der landeseigenen Wohnungsunternehmen definiert: Neben der „Sicherung und Erweiterung preisgünstigen Mietwohnraumes“ und der „Versorgung benachteiligter Haushalte“ werden auch der Ankauf und Neubau von Wohnungen sowie die Einrichtung von Mieterräten mit Sitzen in den Aufsichtsräten im Gesetz benannt. Darüber hinaus werden konkrete Vorgaben zur Vermietung und Mietpreisgestaltung gemacht. Unter anderem müssen 55% aller freiwerdenden Wohnungen an WBS-berechtigte Haushalte vergeben werden, 20% davon an Wohnungssuchende mit besonderen Bedarfen.

Das WoVG legt Regeln für Vermietung und Bewirtschaftung fest, der mangelnde Durchgriff des Gesellschafters (Land Berlin) in die investiven und strategischen Entscheidungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen wird mit dem Gesetz allerdings nicht behoben. Weiterhin kann der Einfluss des Landes darauf nur im Rahmen von Aufsichtsratsentscheidungen geltend gemacht werden.

Kooperationsvereinbarung (KoopV)

Der von Rot-Rot-Grün abgeschlossene Vertrag zwischen Wohnungsunternehmen und dem Land, genannt Kooperationsvereinbarung (KoopV), konkretisiert verschiedene Vorgaben zum Neubau und zum Ankauf und verschärft die sozialen Vermietungsauflagen. Dem Koalitionsvertrag entsprechend wurde in der Kooperationsvereinbarung das Ziel von 30.000 kommunalen Neubauwohnungen bis 2021 sowie der Ankauf von 10.000 Wohnungen durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen vereinbart. Insgesamt soll deren Bestand bis zum Ende der Wahlperiode auf 360.000 Wohnungen anwachsen. Für alle Neubauprojekte mit einem Baubeginn ab dem 1. Juli 2017 gilt eine Quote von 50% an mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen. Der freifinanzierte Neubauanteil darf durchschnittlich eine Nettokaltmiete von 10 Euro/qm nicht überschreiten. Für die Wiedervermietung von Wohnungen im Bestand wurde der Anteil der gebundenen Vergabe an Haushalte mit WBS-Berechtigung auf 60% erhöht. Die Wohnraumversorgung Berlin soll die Kooperationsvereinbarung regelmäßig in öffentlichen Berichten evaluieren, eine Sanktion bei Nichterfüllung der Zielvorgaben ist aber nicht vorgesehen.

Im Vergleich zum Wohnraumversorgungsgesetz ist die Kooperationsvereinbarung viel konkreter und definiert auch Zielzahlen für die einzelnen Wohnungsunternehmen. Die Lücke der strategischen Steuerung kann aber auch die KoopV bisher nicht schließen. Zurzeit wird die Aktualisierung der Kooperationsvereinbarung zwischen den Senatsverwaltungen für Wohnen und für Finanzen, den Wohnungsbaugesellschaften und der Wohnraumversorgung Berlin ausgehandelt. Ein Eingriff in die Strukturen der landeseigenen Wohnungsunternehmen ist nicht zu erwarten und bereits die Vorschläge für eine Anhebung der Belegungsquoten führte zum Widerspruch der Gesellschaften.

Wohnraumversorgung Berlin (WVB)

Als öffentliche Einrichtung ohne eigenes Vermögen und ohne operative Rechte für wirtschaftliche Tätigkeiten soll die WVB „politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrages durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen (…) entwickeln, evaluieren und fortschreiben“. Zu den Aufgaben gehören auch „Vorschläge zur Struktur der Unternehmen“.                 

In Folge der gesetzlich festgelegten Trägerschaft durch die Senatsverwaltung für Finanzen und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen agiert die Anstalt nur begrenzt unabhängig und unterliegt trotz des weitgehenden Auftrags letztendlich der Regierungspolitik. Zu den Aufgaben der WVB gehören unter anderem der Aufbau eines Monitoringsystems zur Senkung von Baukosten, die Unterstützung der Zusammenarbeit der Wohnungsunternehmen, die Evaluation der Modernisierungsstrategien (gemeinsam mit den Mieterräten), die Beratung der Mieterräte und -beiräte, die Evaluation der rechtlichen Vorgaben (Wohnraumversorgungsgesetz, Kooperationsvereinbarung u.ä.) und die Unterbreitung von Vorschlägen zur Weiterentwicklung der politischen Leitlinien für die Arbeit der landeseigenen Wohnungsunternehmen.

Statt die Chance einer übergreifenden Steuerungseinrichtung zu nutzen, wurde die Anstalt aber bisher vor allem als Dienstleister der Wohnungsbaugesellschaften eingesetzt. Hier wäre mehr Mut des Gesellschafters Land Berlin notwendig, um der WVB tatsächliche Befugnisse für das Fachcontrolling und für die Umsetzung von Leitlinien zur Geschäftspolitik der Unternehmen einzuräumen.

Politische Steuerung


Die sechs Gesellschaften sind privatrechtlich als GmbH und AG organisiert und werden im Sinne  unternehmerischer Effizienz geleitet. Bis auf mietenpolitische Vorgaben folgt die Praxis der Gesellschaften der traditionellen Betriebswirtschaftslogik. Dadurch werden die sozialen Anforderungen (von Mietbegrenzung bis zu Förderquoten) eher als Störung und Belastung und nicht als das eigentliche Ziel der öffentlichen Unternehmen wahrgenommen. Die sechs Gesellschaften agieren zudem unabhängig voneinander, was übergreifende Kooperationen und damit eine einheitliche strategische Steuerung erschwert. Auch wenn es vertrauliche Berichte und Kennzahlen für alle Unternehmen gibt, stehen der Öffentlichkeit nicht genügend Informationen über das konkrete wirtschaftliche Handeln der Unternehmen zur Verfügung.

Mit der aktuellen Bauleistung von etwa 4.000 Wohnungen im Jahr scheinen die landeseigenen Gesellschaften derzeit ihre Kapazitätsgrenze erreicht zu haben, obwohl jährlich ca. 6.000 Wohnen gebaut werden sollten. Jede neue Auflage für mehr Sozialwohnungen und weitere Mietbegrenzungen im Bestand werden von den Unternehmensleitungen als Zumutung empfunden, die wegen begrenzter Einnahmen die Neubauziele gefährden würden. Im Umkehrschluss bedeutet dieses Lamento der Geschäftsführungen, dass eine Steigerung der Bauleistung für bezahlbare Wohnungen unter den aktuellen Konstellationen nicht zu erwarten ist.

Eine Landespolitik, die auf mehr kommunalen Neubau setzt, müsste die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. In aktuellen Diskussionen werden unter anderem eine langfristige Investitionsgarantie durch den Landeshaushalt, die Einrichtung von gesellschaftsübergreifenden Finanzierungs- und Planungsstrukturen und der Aufbau von kommunalen Baukapazitäten als zentrale Bausteine für den Umbau der öffentlichen Wohnungswirtschaft in Berlin benannt. 


MieterEcho 412 / Oktober 2020

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