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MieterEcho 411 /

Sozialisierung des Wohnungsbaus in den 1920er Jahren

Die Berliner Wohnungspolitik kann aus der eigenen Geschichte lernen

Von Andrej Holm

In den aktuellen Diskussionen in Berlin wird auch in der Mietenbewegung darüber gestritten, ob radikaler Mietpreisschutz, die Sozialisierung von Wohnungsbeständen oder der öffentliche Neubau von preiswerten Wohnungen der richtige Weg sei. Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte, dass sich Mietschutz, Sozialisierung und Neubau nicht ausschließen.

 

Berlin stand in den 1920er Jahren vor wohnungs- und stadtpolitischen Herausforderungen, die mit den heutigen durchaus vergleichbar sind. Zu hohe Mietpreise, zu wenige bezahlbare Wohnungen, Grundstücksspekulation und eine zu geringe Bautätigkeit. Die veränderten politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik wurden von vielen als Chance für eine grundsätzliche Veränderung der Wohnungspolitik angesehen. Orientierungspunkt war damals das „Rote Wien“, in dem die sozialdemokratische Regierungsmehrheit auf eine umfassende Reform der Stadt- und Wohnungspolitik setzte und neben dem Mieterschutz und Wohnungszuweisungen auch eine „produktive Wohnungspolitik durch kommunale Eigenbautätigkeit und Bauförderung“ vorantrieb (Verwaltungsbericht Wien 1919 bis 1922). Mit mehr Mieterschutz, Wohnraumzwangsbewirtschaftung und öffentlichem und gemeinnützigem Wohnungsbau setzte auch die Berliner Politik der 1920er Jahre auf eine Einheit von prohibitiven, distributiven und produktiven Aspekten der Wohnungspolitik.

 

Neubau war eine linke Position

In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg fehlten in Berlin mindestens 40.000 Wohnungen, um die Heimkehrenden und ihre Familien zu versorgen und die von Überbelegungen geprägten Wohnverhältnisse aufzulösen. Selbst das statistische Amt forderte 1919 angesichts der vorliegenden Zahlen ein „Bauen um jeden Preis“. Um einen zügigen und preiswerten Neubau zu ermöglichen, beschloss das Berliner Stadtparlament im Mai 1921 mit den Stimmen von SPD, USPD und KPD eine „vorausschauende Bodenvorratswirtschaft“ unter Nutzung „aller gesetzlichen Enteignungsmöglichkeiten“ sowie den Bau „in größeren Siedlungskomplexen“ mit „Kleinwohnungen“ für die „minderbemittelte Bevölkerung“ (Stadtverordnetenversammlung vom 10.05.1921).Die linke Mehrheit setzte sich damit gegen die bürgerlichen und konservativen Stimmen durch, die die Wohnungsnot als „vorübergehende Erscheinung“ ansahen und verlangte „keinen Pfennig dafür aufzuwenden, um Wohnungen für einen Bevölkerungsteil herzustellen, der nicht an die Großstadt gefesselt werden darf, sondern planmäßig umgesiedelt werden muss…“. Gemeint waren unter anderem Beziehende von Arbeitslosenunterstützung. Die Vossische Zeitung schrieb: „Wir haben in Berlin nicht zu wenige Wohnungen, sondern zu viel Menschen.“ (Vossische Zeitung, 08.08.1919).

Im Kern ging es bei der Kritik an Wohnungsbauprogrammen und Mietenstopp vor allem um die Gewinne der Hauseigentümer/innen. Auch damals schon wurde die Auseinandersetzung auf das Feld der Personalbesetzung verlagert. Um die Besetzung der von der USPD nominierten Stadträte im Bezirksamt Wedding zu verhindern, intervenierte die Immobilienlobby bei den preußischen Behörden, die die Besetzung der Fachstadträte bestätigen musste. In einem Brief forderte beispielsweise der Haus- und Grundbesitzerverein Gesundbrunnen „den Gewählten die Bestätigung zu versagen“, da die designierten Stadträte ein „suspektes Interessenprofil“ hätten und nach ihrer Vorbildung, ihrer Erfahrung und ihren Vorkenntnissen in der Verwaltung „keinerlei Gewähr bieten, für eine gedeihliche Entwicklung des Stadtteils und seines Grundbesitzes. Zum Teil zeigen sie auch ausgesprochene Gegnerschaft desselben“ (zitiert nach Lehnert 1991: 34 f.). Trotz dieser Angriffe auf die neue Stadtpolitik setzte sich die Baufraktion von KPD, SPD und USPD durch und etablierte die ersten Wohnungsbauförderprogramme. Die neugebauten Siedlungen sollten von öffentlichen und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen verwaltet werden und „im gemeinwirtschaftlichen Besitz“ verbleiben.

 

Soziale Baubetriebe sorgen für Aufschwung

Doch das öffentliche Bauprogramm kam nur langsam in Schwung. In den Jahren 1921 bis 1924 wurden gerade einmal 8.000 Wohnungen errichtet – also nur etwa 2.000 pro Jahr. Da die Kartelle der privaten Bauunternehmen mit Verweigerungen und Preisabsprachen die Wohnungsbauprojekte der öffentlichen und gemeinnützigen Unternehmen auszubremsen versuchten, setzten insbesondere die Berliner Sozialdemokratie und die Gewerkschaft auf den Aufbau einer sozialen Bauwirtschaft. Schon 1921 hieß es im Beschluss für die soziale Wohnungsbaupolitik, dass die „Bauausführung in erster Linie Treuhändern nach Art der sozialen Baubetriebe und Bauhütten“ übertragen werden soll (Stadtverordnetenversammlung vom 10.05.1921).Auf Initiative des damaligen Stadtbaurats Martin Wagner hatten sich aus dem Kreise der Bauarbeitergewerkschaft als Form der Selbsthilfe „soziale Baubetriebe“ gegründet. Prominent unterstützt von Wagner, Bauarbeiterverbandsvorstand August Ellinger und dem preußischen Finanzminister Albert Südekum (alle SPD) wurde die Gründung der „Berliner Bauhütte“ als eine der ersten sozialen Baugesellschaften durch die öffentliche Wohnungsfürsorgegesellschaft Märkische Heimstätte GmbH, Siedlungsbank für Berlin und die Provinz Brandenburg, vorangetrieben. Ende 1922 gab es in Berlin sieben soziale Baubetriebe, darunter die „Berliner Bauhütte“ mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Zusammengeschlossen im Verband sozialer Baubetriebe (VsB) entwickelten sich die Bauhütten zu effektiven Baubetrieben, die ab Mitte der 1920er Jahre fast alle Gewerke abdecken konnten. Organisiert als gemeinwirtschaftliche Unternehmen ohne privates Gewinninteresse unter Belegschaftskontrolle entwickelten sich die sozialen Baubetriebe zu einer wichtigen Voraussetzung für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Die Idee, geförderte Wohnungen von öffentlichen und gemeinnützigen Trägern durch soziale Baubetriebe zu errichten, vergrößerte nicht nur die Unabhängigkeit von der privaten Bauwirtschaft, sondern erlaubte auch effektive Bauabläufe und eine Reihe von technischen Innovationen. Zur zügigen Abwicklung der Bauvorhaben setzte der Verband der sozialen Baubetriebe auch auf sozialisierte Betriebe im Bereich Baustoffproduktion und Baustoffhandel, erwarb eine Reihe von Sägewerken, Schlackenplattenfabriken und Ziegeleien und schloss langfristige Lieferverträge mit Zementwerken ab. Das Ziel des weitgehenden Ausschlusses privater Gewinninteressen aus der Planung, Produktion und Bewirtschaftung der Neubauten ging weitgehend auf. Die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Siedlungen des Neuen Bauens stehen bis heute für den Erfolg der damaligen Wohnungspolitik. Zwischen 1925 und 1930 wurden mehr als 160.000 Wohnungen errichtet. Das entsprach einem Jahresschnitt von fast 28.000 Neubauwohnungen, der weit über den heutigen Neubauzahlen liegt.

 

Wohnen als soziale Infrastruktur entwickeln

Die wohnungspolitischen Strategien der 1920er Jahre zielten auf eine Wohnungsversorgung in öffentlicher Verantwortung und die Ablösung der gewinnorientierten Wohnungswirtschaft. Die soziale Wohnungspolitik wurde als fester Bestandteil von allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen angesehen und war sowohl in den Formen (Bauhaus, Neues Bauen) als auch hinsichtlich der maßgeblichen Akteure eng mit den Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterbewegung verbunden. Ein Großteil der neuen Wohnungen wurde von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen errichtet, die ihre Strategien der Wohnungsbewirtschaftung am sozialen Bedarf und nicht an Gewinninteressen orientierten. Am Bau beteiligt waren die gemeinwirtschaftlichen Bauhütten, die in ihren Hochzeiten alle für den Neubau notwendigen Gewerke abdeckten. Beispiele wie die von Bruno Taut geplante Hufeisensiedlung in Berlin zeigen exemplarisch die Verbindung auf, die das moderne Bauen, gemeinwirtschaftliche Bauproduktion und gemeinnützige Wohnbauträger eingegangen sind. Stärker als heute wurde das Wohnen als öffentlich finanzierte soziale Infrastruktur angesehen.

 

Quellen:

Lehnert, Detlef 1991: Kommunale Politik. Parteiensystem und Interessenkonflikte in Berlin und Wien 1919 bis 1932. Berlin: Haude & Spener

Ellinger, August 1930: Zehn Jahre Bauhüttenbewegung, Eine kurze Geschichte des Verbandes sozialer Baubetriebe. Berlin: Verlagsgesellschaft des ADGB


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