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MieterEcho 410 /

Sozialarbeit als PR-Gag

Karuna versteht sich besser auf die mediale Inszenierung der Wohnungslosenhilfe als auf die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit

Von Philipp Möller

                                               

Unter Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) stieg Karuna zum führenden Träger der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe auf. Der Verein richtete im letzten Jahr eine „Buslinie für Obdachlose“ ein und seine Mitarbeiter/innen verteilen im Rahmen der „Hitzehilfe“ Wasser an Menschen auf der Straße. Nachdem Karuna während der Corona-Krise eine Reihe von Projekten startete, wurde in einem Anfang Mai erschienenen Artikel auf der linken Plattform Indymedia scharfe Kritik an der Arbeit von Karuna formuliert, die sich in Interviews mit verschiedenen Akteur/innen aus der Wohnungslosenhilfe teilweise erhärteten. Diese zeichnen das Bild eines  Trägers, der die Wohnungslosenpolitik des Senats zu vermarkten versteht. Die Nachhaltigkeit und fachliche Eignung vieler Karuna-Projekte stellen jedoch viele in der Wohnungslosenhilfe Beschäftigte in Frage.       

                                               
Der Beitrag auf Indymedia listet eine Reihe von Vorhaben seitens Karuna auf, bei denen es in der Umsetzung hake. Eines davon ist der im Frühjahr 2019 gestartete „SUB-Bus“, der mobilitätseingeschränkte und obdachlose Menschen befördern soll und laut dem Artikel mittlerweile keine Menschen mehr transportiere. Karunas Leuchtturmprojekt finanzierte die Senatsverwaltung für Soziales im vergangenen Jahr mit 200.000 und im laufenden Jahr mit 205.000 Euro. Bereits vor der Inbetriebnahme äußerte der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg „Zweifel an der Sinnhaftigkeit, wie hier Landesmittel eingesetzt werden“. Bereits bestehende Projekte zur niedrigschwelligen Versorgung von obdachlosen Menschen seien nicht auskömmlich finanziert und medizinische Hilfe nur auf Basis privater Spenden und ehrenamtlicher Hilfe möglich. Anstelle einer neuen Buslinie forderte der Verband, kostenlose BVG-Tickets auszugeben und die vorhandenen Einrichtungen besser zu finanzieren. Statt einer „nachhaltigen Lösung struktureller Missstände“ setze die Politik auf „Einzelinitiativen, die zwar mediale Aufmerksamkeit produzieren, an deren Erfolgsaussichten die Expert/innen jedoch ihre Zweifel haben“. Karuna bezifferte die Zahl von „Begleitungen“ durch den SUB-Bus seit der Inbetriebnahme gegenüber dem MieterEcho auf 76. Während der Kontaktbeschränkungen führen demnach beide Busse Menschen aus den Einrichtungen Kuckhoffstraße und Storkower Straße zum Arzt oder zur Wohnhilfe. Über 10.000 Mahlzeiten seien bisher im Rahmen des Projekts verteilt worden. Es hätten mehr als 3.000 Beratungsgespräche stattgefunden. 163 Menschen wurden langfristig begleitet. Eine Einstellung der Fahrdienste konnten auch die bei Gangway tätigen Sozialarbeiter/innen laut der dortigen Fachsteuerung Juri Schaffranek nicht bestätigen. Jedoch kritisierte Schaffranek, dass der Linienbetrieb für andere Träger aus der Wohnungslosenhilfe oft „völlig undurchsichtig“ sei und außer Karuna selbst niemand wisse, wann und wo der Bus abfahre. Karuna sei „abspracheresistent“ und interessiere sich kaum für die Arbeit in den bewährten Gremien, in denen die verschiedenen auf der Straße tätigen Träger die Standortzeiten für Hilfsangebote aufeinander abstimmen. Das führte dazu, dass Mitarbeiter/innen von Karuna in der Vergangenheit zur gleichen Zeit an Orten aufkreuzten, in der andere Einrichtungen gerade Essen ausgaben, um sich bei ihrer Arbeit offensichtlich für einen Tross von Presseleuten medial in Szene zu setzen.            

                                        
Social Washing und Marketingmaschine       
Die Medienaffinität des Vereins, allen voran seines Geschäftsführers Jörg Richert, erwähnten alle Gesprächspartner/innen gegenüber dem MieterEcho. Betrachtet man Karunas Internetpräsenz und Auftritte in den sozialen Netzwerken, fällt eine hohe Professionalität der Öffentlichkeitsarbeit auf. Von vielen Aktionen und Projekten finden sich Videoaufnahmen im Netz. Prominente werben in kurzen Clips um Spenden. Richert ist ein häufig zitierter Ansprechpartner beim Thema Wohnungslosigkeit, dem es so gelingt, die Projekte des Vereins im Gespräch zu halten. Karuna ist dabei ein Paradebeispiel für die neoliberale Transformation von öffentlich finanzierter Sozialarbeit in spendenbasierte private Wohltätigkeit. Für eine möglichst perfekte mediale Inszenierung, ergo hohes Spendenaufkommen, arbeitet Karuna mit der Werbeagentur „Dojo“ und dem Social Start-Up „One Warm Winter“ eng zusammen. Zuletzt verhalf das Dreiergespann dem Edeka-Konzern, der BVG und der Spardabank zu einem sozialen Image, indem es medienwirksam in einem von der BVG gesponserten Bus Lebensmitteltüten verteilte. Auf der Suche nach Spenden und Aufmerksamkeit lässt sich Karuna immer wieder vor den Karren stadtpolitisch umstrittener Konzerne spannen. 2018 zog der Verein in einen kleinen Raum im ehemaligen Google-Campus. Im Oktober 2019 trat Jörg Richert bei einer PR-Aktion zum Start des „Dialog Hermannplatz“ auf, einer Mitmachmachfalle, mit der die Signa Holding um mehr Akzeptanz für den geplanten Karstadtneubau wirbt. Die Initiative Hermannplatz kritisierte den Auftritt von Karuna gegenüber dem MieterEcho als „Social Washing vom Feinsten“.                    
Bei der presseaffinen Inszenierung gerät die sozialarbeiterische Zielstellung zeitweilig unter die Räder. Eine mit Karuna zusammenarbeitende Sozialarbeiterin kritisierte, dass der Verein Klient/innen zu Aushängeschildern aufbaue, diese aber teilweise fallenlasse, wenn sie sich aus der Öffentlichkeit oder aus den Projekten zurückziehen wollten. Viele, gerade junge Menschen genössen die mediale Aufmerksamkeit. Jedoch müsse Sozialarbeit sehr vorsichtig beim Umgang mit Medien sein und ihre Klient/innen sorgsam über dessen Tücken aufklären. Statt kurzzeitiger Resonanz setze soziale Arbeit darauf, langfristig Vertrauen aufzubauen und so nachhaltige Strukturen zu schaffen. Zwar gelinge es Karuna immer wieder, schnell Gelder für Projekte zu mobilisieren, an die sich andere soziale Träger nicht herantrauten, und stelle notwendige Infrastruktur bereit. Die Spendenakquise dürfe jedoch nicht auf Kosten der Schutzbefohlenen passieren.                                

                     
Kritik aus der Szene                   
In Teilen der Obdachlosenszene wächst die Kritik an Karuna. Die während der Ausgangsbeschränkungen angefangene Verteilung von Bargeld hat der Verein nach eigenen Angaben mittlerweile eingestellt. Er verteile stattdessen nun Einkaufsgutscheine und Lebensmitteltüten. Laut Szenekenner/innen werden diese aber oftmals nur unzureichend ausgegeben. Am Ostbahnhof verteilten Karuna-Mitarbeiter/innen lediglich 2 Lebensmitteltüten, obwohl die dortige Szene erfahrungsgemäß mehr als 30 Menschen umfasst. Viele Gesprächspartner/innen berichten, der Verein mache immer wieder Versprechungen, die sich kaum halten ließen. Vielen von Karuna zunächst betreuten und mittlerweile geräumten Wohnungslosen an der Rummelsburger Bucht sei eine schnelle Unterbringung zugesichert worden, obwohl den Mitarbeiter/innen die fehlende Leistungsberechtigung und der damit verbundene Ausschluss aus dem Hilfesystem der vielfach aus Rumänien stammenden Menschen bekannt gewesen sei. Ein anonymer Hinweisgeber vermutet, dass das Vorgehen in die Strategie des rot-rot-grünen Senats eingebunden sei, die offen repressive Räumungen durch eine behutsamere Vorgehensweise ersetzt. Karuna bietet sich als mediales Aushängeschild der Senatspolitik und Träger an, der sozialarbeiterische Angebote macht und alternative Unterkünfte anbietet, um die obdachlosen Menschen zum Verlassen der öffentlichen Flächen zu bewegen. Wer nicht mitzieht, wird schlussendlich geräumt. Sozialarbeit und Ordnungspolitik vermischen sich zusehends miteinander.            
Karunas Spendenfokus und seine Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von privaten Stiftungen verweist auf die neoliberal ausgeplünderte Sozialpolitik, in deren Folge sich die Städte aus ihrer Verantwortung für eine öffentliche Finanzierung von Sozialarbeit zurückgezogen und dem privaten Engagement das Feld überlassen haben. Damit hat auch der rot-rot-grüne Senat nicht grundsätzlich gebrochen. Das wird auch bei den „Obdachlosen-Lotsen“, dem neusten Karuna-Projekt, deutlich, das der Senat mit 67 Stellen im Rahmen des „solidarischen Grundeinkommens“ fördert. Dabei sollen Menschen mit eigener Erfahrung auf der Straße, aber ohne sozialarbeiterische Ausbildung einen ersten Kontakt herstellen und Obdachlose an die bestehenden Hilfs- und Unterstützungsstrukturen vermitteln. Statt die Finanzierung des Hilfesystems grundsätzlich zu reformieren, suggeriert die Senatsverwaltung mit dem Projekt ihre Handlungsbereitschaft. Expert/innen aus der Wohnungslosenhilfe bemängeln derweil erneut eine fehlende Bedarfsanalyse.


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