Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 413 / Dezember 2020

Smart City als Markt

Beratungsfirmen entdecken die Digitalisierung der Städte als Investitionschance

Von Anne Vogelpohl

Die private Beratungsgesellschaft EY (bis 2013 „Ernst & Young) organisiert derzeit den Prozess, an dessen Ende die ‚Berliner Digitalisierungsstrategie‘ stehen soll. Diese Inanspruchnahme von externer Beratung und Planung ist nur eine von zahlreichen zugekauften Beratungsdienstleistungen, die vom Berliner Senat, von den Berliner Senatsverwaltungen und den nachgelagerten Behörden in Anspruch genommen werden. EY, laut Selbstdarstellung im Internet „Prüfer, Berater, Gestalter“ , hat den Auftrag nach einer öffentlichen Ausschreibung erhalten und nimmt dafür knapp 300.000 Euro ein. Das wirft nicht nur unmittelbar Fragen nach den Kosten, sondern auch weitergehende Fragen auf: Wieso haben nicht die städtischen Behörden, sondern eine Beratungsfirma die Expertise für einen so wichtigen Strategieprozess? Und welchen Einfluss hat dies auf den Inhalt der Strategie? Oder allgemeiner gefragt: Wie beeinflussen private Beratungen die Zukunft der Stadt?

Private Politikberatung im Aufwind

Private Beratungsfirmen in Politikprozesse einzubinden hat seit etwa dem Jahr 2000 aus zwei Gründen zugenommen: Erstens scheint sich das Tempo von gesellschaftlichen Veränderungen und Krisen beschleunigt zu haben, was zügigere politische Antworten erfordert. Diese bieten die Firmen als ‚Expert/innen für Lösungen‘, als die sie sich selbst verstehen, an. Zweitens haben im Zuge von Sparpolitiken die Kapazitäten und Kompetenzen in Behörden abgenommen, größere Projekte zu steuern. Deswegen wurde zum Beispiel 2016 die Beratungsfirma McKinsey beauftragt, die Probleme des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) zu beheben; PricewaterhouseCoopers (PwC) hat 2017 an der Ausarbeitung einer bundesweiten Smart City Charta mitgewirkt – und nun plant EY, wie die Digitalisierung in verschiedenen Kontexten in Berlin realisiert werden könnte. 2019 sagte mir ein Berliner Berater in einem anderen Kontext und von einer anderen Beratungsfirma: „Grundsätzliches Problem ist im öffentlichen Sektor: zu wenig Mitarbeiter für zu viele Aufgaben, die zu neu, zu komplex und zu schwierig [sind].“

Gerade die großen, internationalen Beratungsfirmen wie die Big Four (PwC, KPMG, EY und Deloitte), Accenture, McKinsey & Co oder Roland Berger StrategyConsultants verstehen sich darauf, sich als fähig im Umgang mit Komplexität und schnellen Veränderungen darzustellen. Deswegen wird ihnen immer häufiger die allgemeine Strategieentwicklung überlassen, auch ohne konkrete fachliche Expertise für Stadtentwicklung, die eher Forscher/innen, Bundesinstitute oder Stadtplanungsagenturen hätten. Das zeigt sich auch bei der Berliner Digitalisierungsstrategie. EY hat hier nicht die Aufgabe, die Inhalte zu setzen oder konkrete Maßnahmen zu entwickeln, sondern den übergeordneten Prozess der Strategiefindung zu organisieren. Aber ist dies wirklich frei von inhaltlicher Beeinflussung?

Zwischen Wirtschaft und Gesellschaft

Wirtschaft und Gesellschaft, eigentlich untrennbar, scheinen in der Digitalisierungsstrategie zu zwei Polen zu werden: Zunächst in Hinblick auf die Frage, wessen Ideen eigentlich am Ende die Strategie prägen sollen – die des Unternehmens oder die der Stadtgesellschaft Berlins? Zwar wird die Rolle von Partizipation der Zivilgesellschaft neben der weiten Beteilung aller Senatsverwaltungen bereits in der Ausschreibung zentral gesetzt: „Der Auftragsgegenstand sind demnach die strategische, kommunikative und partizipative Beratung sowie die Projektbegleitung bei der Entwicklung der Berliner Digitalisierungsstrategie“. Allerdings, so steht es ebenfalls in der Ausschreibung, sollen ein zentrales Narrativ sowie Leitlinien und Hypothesen der Strategie schon in der ersten Phase und damit vor einer intensiven Partizipationsphase entwickelt werden. Damit ist der Korridor für inhaltliche und strategische Entscheidungen bereits verengt.

Außerdem deutet sich eine Polarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in den Inhalten der Strategie an. Die erste Phase des Strategieprozesses ist bereits abgeschlossen und das sogenannte „Grünbuch“ zeigt den Status Quo sowie Entwicklungsbedarfe auf. Die zentralen Themen sind vorgezeichnet und das zentrale Ziel benannt: „Dabei ist die Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern hat die Aufgabe, Gesellschaft und Wirtschaft zu dienen“, so ist es im Grünbuch zu lesen. Die starke Betonung von Wirtschaft fällt ins Auge. Das mag neben der steuernden Rolle von EY auch daran liegen, dass die Gesamtkoordination der Strategie bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft liegt.

Dass der Fokus auf Wirtschaft nicht nur Rhetorik ist, zeigen die „Zahlen, Daten und Fakten“, entlang derer die Digitalisierung Berlins vermessen wird. Die Informationen stammen aus fünf Bereichen: Infrastruktur, Umgang mit Daten, Forschung, Start-ups und Digitalwirtschaft sowie dem „Digitaldiskurs“. In letzterem sei Berlin Hauptstadt. Allerdings werden hier keine Themen oder Kontroversen des Diskurses aufgegriffen, sondern vielmehr aufgelistet, welche publikumswirksamen Kongresse in Berlin ausgerichtet wurden. Inhaltliche Forderungen und Ideen, wie sie etwa vom „Bündnis digitale Stadt Berlin“ formuliert werden, werden im Grünbuch nicht thematisiert. Dieses fordert „eine inklusive Digitalisierungspolitik, die Mensch, Natur und Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt“, und entwickelt Ideen dazu.

Die erste Phase der Strategiefindung ist noch sehr stark von den Impulsen der Berater/innen geprägt und stellt Digitalisierung als Motor für ein ökonomisches Wachstum ins Zentrum; wie die vorgesehene ausgeweitete Partizipation der folgenden Phase den Blickwinkel auf Soziales und Ökologie erweitern kann, bleibt abzuwarten.

Digitale Städte im Fokus von EY & Co

Berlin ist kein Einzelfall, was den Einkauf von Beratung zu Digitalisierung von Stadt und Region betrifft. Auf der ganzen Welt – von Australien über Asien (insbesondere Indien) und Afrika bis Amerika – entwickeln Teams der großen Beratungsfirmen Konzepte für Smart Cities. Warum scheinen diese Firmen in der Lage dazu, wenn zugleich deren praktische Erfahrung in diesem Feld ebenfalls sehr begrenzt ist? Sie sind es tatsächlich kaum. Sie haben nur Mittel und Wege, sich schnell Wissen zu verschaffen. Sie kooperieren mit IT-Firmen, kaufen sich Wissen von Forschungsinstituten ein und knüpfen globale firmeninterne Netzwerke. Sie haben so in den letzten Jahren einen Pool an Kontakten und theoretischem Wissen aufgebaut, den sie nun nutzen, um sich als die Expert/innen für digitale Städte darstellen zu können. Sie haben die Debatte um Smart Cities selbst zu einem Markt gemacht, auf dem sie nun ihre Dienstleistungen anbieten.

Ein Einwand könnte nun sein: es geht bei der Aufgabe von EY in Berlin ja nicht um den Inhalt der Digitalisierungsstrategie, sondern lediglich um die Organisation des Prozesses. Gerade weil Partizipation der städtischen Behörden und schließlich auch der Bevölkerung dabei von großer Bedeutung sein soll, ist jedoch auch hier fraglich, ob eine hauptsächlich als Wirtschaftsprüfungsunternehmen und Unternehmensberatung tätige Firma dafür am besten geeignet ist. In einer Studie über den Einfluss solcher Firmen auf Stadt- und Regionalpolitiken habe ich gezeigt, dass städtische Behörden oftmals von den Qualitäten dieser Expert/innen in einem komplexen Akteursumfeld enttäuscht waren – zumindest wenn „Kommunikation“ mehr als Werbung und „Partizipation“ mehr als „Wünsch-dir-was“ sein soll. Für die Organisation von Partizipation, zumal unter Berücksichtigung von ungleichen Beteiligungsmöglichkeiten in einer heterogenen Stadtgesellschaft, sind diese global agierenden Prüfungs- und Beratungsunternehmen kaum geeignet. Schnelligkeit hingegen ist ihr großes Plus. Schnelligkeit und demokratische beziehungsweise partizipative Entscheidungsfindung lassen sich jedoch oftmals nicht gut vereinen. Dem Berliner Senat war in diesem Fall offenbar eine schnelle Politik wichtiger.

 

Dr. Anne Vogelpohl ist Geographin und vertritt eine Professur für Sozialwissenschaften in der Sozialen Arbeit an der HAW Hamburg. Sie beschäftigt sich mit dem politischen Einfluss von privaten Expertisen, mit feministischen Perspektiven auf Arbeit und Auseinandersetzungen um soziale Wohnungspolitiken.

Weitere Informationen:
www.berlin.de/sen/wirtschaft/digitalisierung/digitalstrategie/
digitalesberlin.info/eine-digitalisierungsstrategie-fuer-berlin/


MieterEcho 413 / Dezember 2020

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