Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 419 / August 2021

Schöneberger Gasometer wird zum schwarzen Klotz

Bezirksverordnetenversammlung hat Innenbebauung mit einem Bürohochhaus beschlossen

Von Elisabeth Voß

Am 23. Juni hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Tempelhof-Schöneberg mehrheitlich die Planreife für die Errichtung eines Bürohochhauses im Inneren des denkmalgeschützten Gasometers auf dem Euref-Gelände beschlossen, gegen die Stimmen von einem Verordneten der Grünen und der gesamten Linksfraktion. Die Sitzung wurde diesmal nicht wie bisher per öffentlichem Live-Stream übertragen. Nur wenige kurzfristig angemeldete Gäste konnten in einem Nebenraum der Übertragung folgen – ob das dann eine öffentliche Sitzung war? Draußen vor dem Rathaus protestierten Nachbar/innen und Mitglieder der BI „Gasometer retten“ .    


Hintergrund der Proteste ist die Änderung des Bebauungsplanentwurfs, wonach der Gasometer im Inneren ursprünglich bis zum dritten Ring von oben bebaut werden sollte, so dass die beiden oberen Abschnitte des filigranen Stahlgerüsts sichtbar bleiben. Dem hatte das Landesdenkmalamt nur unter größten Bedenken zugestimmt. Dann beschloss das Bezirksamt jedoch im September 2020, auf Wunsch des Eigentümers Reinhard Müller (SPD), eine Höherbebauung bis zum vorletzten Ring mit einem Staffelgeschoss, das auch in den obersten Abschnitt hineinragt. Grundlage für den BVV-Beschluss war das Ergebnis der Abwägung aus dem öffentlichen Beteiligungsverfahren. Weggewogen wurden dabei die Bedenken aus der Nachbarschaft ebenso wie die Bedenken des Landesamtes für Denkmalschutz. Der politische Umgang mit der Gasometerbebauung erweckt den Eindruck, dass die Politik ausschließlich im Interesse des Vorhabenträgers Reinhard Müller handelt. Sie missachtet den Denkmalschutz und setzt sich über die Sorgen und Bedenken aus der Bevölkerung hinweg, was die ohnehin zunehmende Politikverdrossenheit vertieft.

Im Mai hatten sich sogar die Nichtregierungsorganisationen ICOMOS und TICCIH, die die UNESCO bei Weltkulturerbestätten beraten, in einem Offenen Brief an die Bezirksverordneten gewandt, mit einem dringenden Appell gegen das Bauvorhaben: „Sie vernichten damit die Authentizität dieses industriellen Denkmals, die wenigstens noch in wenigen Gerüstringen erkennbar wäre. Der Wert, den dieses Kulturerbe auch für künftige Generationen besitzen könnte, wird geschwächt, die Verbindung zwischen technologischer und künstlerischer Geschichte aufgehoben.“ Eindringlich baten sie die Politiker/innen: „Bedenken Sie bitte, welche historische Verantwortung Sie mit Ihrem Beschluss über den Bebauungsplan 7-29 tragen.“

Wer entscheidet im Bezirk?

Stadtrat Jörn Oltmann (Grüne) hatte im November 2020 auf die Frage, warum denn die Höherbebauung unbedingt sein müsse, geantwortet, der Bebauungsplanentwurf müsse geändert werden, weil der Eigentümer bereits einen Mietvertrag über ein Bürogebäude im Inneren des Gasometers abgeschlossen habe. Darin sei dem Mieter ausreichend Platz für 2.000 Arbeitsplätze zugesichert worden. Der private Vorhabenträger Reinhard Müller hat also ein Gebäude vermietet, das bisher weder gebaut noch genehmigt ist – und aus diesem Grund meint der Bezirk, die ursprünglichen Pläne verändern zu müssen.

Es war sicher kein Zufall, dass der Senat von Berlin seine Sitzung am 8. Juni 2021 im Rathaus Schöneberg abhielt, und dass der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) anschließend mit Senatsmitgliedern das Gasometer-Gelände seines Parteifreundes, des Projektentwicklers Reinhard Müller, besuchte. Denn am Tag darauf, dem 9. Juni, fand der bezirkliche Stadtentwicklungsausschuss online statt, auf dessen Tagesordnung die „Information über die Ergebnisse der Auswertung und Abwägung der Offenlegungen EUREF-Campus“ stand. Was lag da näher, als nochmal ein bisschen PR für das seit Jahren umstrittene Bauvorhaben zu machen?

Michael Müller wurde begleitet von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Auch Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) und der grüne Stadtrat Oltmann nahmen an der Besichtigung mit Medienvertreter/innen teil. Stolz präsentierte Reinhard Müller sein Projekt, bedankte sich bei Oltmann und betonte, die Zusammenarbeit habe immer Spaß gemacht und man habe stets ein Ergebnis gefunden. Schöttler drückte Ihre Freude darüber aus, dass an diesem Standort im Bezirk Schöneberg bald 7.000 Leute arbeiten würden. Währenddessen protestierten draußen an der Einfahrt zum Gelände Mitglieder der Bürgerinitiative, darunter auch die ehemalige grüne Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer.

Im Inneren des Gasometers, wo bereits mit den Ausschachtungen für die Tiefgarage begonnen wurde, sprach der Mieter des zukünftigen Bürohochhauses, Deutsche-Bahn-Vorstand Ronald Pofalla (CDU), von den Plänen, das Bahn-Netz bis Mitte der 30er Jahre zu digitalisieren. Ins Gasometerhochhaus soll die „Digitale Schiene Deutschland“ der Bahn einziehen, „die eine völlig neue Steuerung des Bahnbetriebs durch Vernetzung von Daten von Infrastruktur und Fahrzeug ermöglichen wird, wie auch Entwicklungen in den Bereichen KI (Künstliche Intelligenz, d. Red.), Blockchain und Data Lakes für den Bahnsektor.“ Pofalla bedankte sich bei Reinhard Müller und lud die Anwesenden ein, demnächst zu einer kleinen Feier außerhalb offizieller Termine hier zusammenzukommen.

Politprominenz feiert Euref-Pläne

Der Regierende Bürgermeister Müller zeigte sich ganz begeistert vom Euref als Smart-City-Referenzprojekt. Er lobte Reinhard Müller für seinen unternehmerischen Mut und sein unternehmerisches Know-how, und dass es ihm so gut gelänge, Themen sichtbar zu machen und zu emotionalisieren. Denn es sei wichtig, für solche zukünftigen Entwicklungen auch emotionale Bilder zu schaffen. Strahlend sicherte er zu, gerne zu kommen und zu feiern, wenn er eingeladen würde.

Reinhard Müller war schon immer gut im Lobbyieren. Das beschrieb bereits 2011 Mathew Rose in seinem Buch „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“ in einem 32-seitigen Kapitel über den Euref. Im Juni 2021 drängelte sich die Politprominenz dort geradezu, wie der Euref-Website zu entnehmen ist: Am 20./21. Juni waren Kanzlerin Merkel, Laschet und Söder dort, am 22. Juni die SPD und am 25. Juni die Grünen.

Gleich am Tag nach dem BVV-Beschluss lud das Edelrestaurant The Cord auf dem Euref-Gelände zur Eröffnungsfeier „in Anwesenheit zahlreicher Promis“ ein, wie dessen Website stolz vermeldet. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) waren da, beide dem Euref schon lange verbunden. Ferner der Ex-Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), die SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey, der Bezirksverordnete und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende  Kevin Kühnert, sowie die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast. Außerdem Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und Baustadtrat Jörn Oltmann. Während dieser auf Nachfrage versicherte, er habe sein Essen selbst bezahlt, teilte Schöttler mit, sie habe vorher bei der Senatskanzlei abgeklärt, dass sie die Einladung des Restaurantbetreibers annehmen dürfe. 

Auf die Frage des MieterEchos, auf welcher Grundlage diese Zustimmung erteilt wurde, und ob Erwägungen über den zeitlichen und personellen Zusammenhang zwischen BVV-Beschluss und Essenseinladung dabei eine Rolle gespielt hätten, antwortete die Senatskanzlei lediglich mit einem allgemeinen Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen für die Annahme von Belohnungen und Geschenken. Es bleibt der Nachgeschmack einer Siegesfeier.

Die strahlenden, selbstzufriedenen Gesichter bei der Euref-Feier stehen im grotesken Gegensatz zu den Sorgen der Leute in der Nachbarschaft. Es ist nicht nur der lieb gewordene Anblick des filigranen Stahlgerüstes, der mit dem Bürohochhaus im Inneren verloren gehen wird. Der Gasometer als „Wahrzeichen des Kapitals“ trägt zur Gentrifizierung der Roten Insel bei, die traditionell ein Wohngebiet mit hohem Anteil wenig zahlungskräftiger Mieter/innen ist. Die Ansiedlung von weiteren 2.000 gut bezahlten Arbeitsplätzen wird nicht ohne Auswirkungen auf die Nachbarschaft bleiben. Mit jedem Hochhaus und jedem Edelstandort mehr ist diese zunehmend von Verschattung, klimatischen Belastungen und vor allem von Mietpreissteigerungen und Verdrängung betroffen.

 

Elisabeth Voß arbeitet als parteilose Bürgerdeputierte/sachkundige Bürgerin im Stadtentwicklungsausschuss Tempelhof-Schöneberg mit der Partei Die Linke zusammen.


MieterEcho 419 / August 2021

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.