Pressefreiheit in Gefahr
Interview mit Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck
Am 4. Januar 2021 soll vor dem britischen Strafgerichtshof über die Auslieferung von Julian Assange an die US-Behörden entschieden werden. Mit dem Vorwurf der Spionage droht Assange in den USA lebenslange Haft. Beobachter/innen kritisieren die scharfen Isolationsbedingungen, die Voreingenommenheit des britischen Gerichts und die dahinter stehende Bedrohung der Pressefreiheit.
MieterEcho: Die Enthüllungen zu Kriegsverbrechen und Geheimdienstaktivitäten durch Assanges Wikileaks und Edward Snowden haben der internationalen Öffentlichkeit brisante Einblicke in die Praktiken der USA und ihrer NATO-Verbündeten verschafft. Ist das nach hiesigem Rechtsverständnis ein Geheimnisverrat oder durch die Pressefreiheit gedeckter Journalismus?
Wolfgang Kaleck: Die Rechtslage für Whistleblower wie Edward Snowden und solche Menschen, die mit den Informationen von Whistleblowern arbeiten, wie Julian Assange, ist alles andere als klar. Dies kann dazu führen, dass in dem einen Land eine bestimmte Verhaltensweise legal ist und in einem anderen, das entweder direkt oder unmittelbar auch betroffen ist, hohe Strafen drohen. Letzteres ist bei Snowden und bei Assange in den USA der Fall. Die Strafjustiz in den USA ist ja grundsätzlich sehr hart. Insbesondere für Menschen, die unter dem Espionage Act von 1904 angeklagt werden, drohen exorbitante Strafen. Diese wären nach europäischem Rechtsverständnis in jedem Fall unverhältnismäßig hoch und damit rechtswidrig. Für Assange gilt zudem, dass er als Journalist und Herausgeber von Informationen gehandelt hat und das zu einem glatten Freispruch führen müsste.
Der UN-Sonderberichterstatter über Folter spricht im Kontext des Verfahrens von einem „rechtsfreien Raum“, in dem Journalismus zu Spionage umgedeutet würde. Soll mit dem Verfahren ein Präzedenzfall gegen investigativen Journalismus geschaffen werden?
Es steht zu befürchten, dass mit einer Auslieferung von Assange in die USA und dem anschließenden Verfahren dort ein sehr negativer Präzedenzfall geschaffen wird. Die Auslieferung müsste unter anderem deswegen abgelehnt werden, weil der Espionage Act die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten beschneidet. Es ist nach US-Recht egal, ob ich ein Geheimnis für 100.000 oder für 10 Millionen Dollar nach Nordkorea verkaufe oder aus hehren Motiven handle. Den Angeklagten ist selbst die Möglichkeit genommen, dies vor Gericht vorzubringen. Das ist mit unseren Vorstellungen von einem fairen Verfahren, wo es ja auch um die Bemessung von „Schuld” geht, überhaupt nicht zu vereinbaren. Deswegen haben ja auch Journalist/innen in den USA trotz einiger Kritik an Assange das Verfahren und die drohende Auslieferung kritisiert. Aber auch die Öffentlichkeit insgesamt ist gefragt, weil natürlich offene demokratische Gesellschaften darauf angewiesen sind, dass Menschen über Missstände berichten. Man mag über Wikileaks denken und sagen, was man will, aber das haben sie getan und deswegen müssen sie auch zur Wahrung der Pressefreiheit geschützt werden.
Wie kann Assange unterstützt werden und was unternimmt die Bundesregierung?
Die Bundesregierung muss jetzt nicht unbedingt in den aktuellen Fall eingreifen, es stünde ihr aber gut an. Sie sollte aber insbesondere darauf drängen, dass sowohl innerhalb der EU als auch im Europarat bestimmte Standards bei der Behandlung von Whistleblowern zu beachten sind. Da ist sowohl im europäischen als auch im nationalen Recht ein großer Nachbesserungsbedarf. Je mehr die Öffentlichkeit sich in diesem Fall einsetzt und ihn eben nicht nur als einen Fall gegen das Individuum und den Bürger Julian Assange begreift, sondern als exemplarisch, desto besser stehen die Chancen, dass vernünftig entschieden wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Hermann Werle.
Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt für europäisches und internationales Strafrecht sowie Mitbegründer des European Center for Constitutional and Human Rights (www.ecchr.eu). Er vertritt unter anderem den Whistleblower Edward Snowden.
MieterEcho 413 / Dezember 2020