Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 411 /

Offensiver Antikapitalismus

Der Entwurf für ein wohnungspolitisches Kommunalprogramm der KPD von 1922

Von Karl-Heinz Schubert

„Den Proletariern fallen die Wohnungen über dem Kopf zusammen, die Tuberkulose fordert Woche um Woche größere Opfer und mehr und mehr gehen Obdachlose freiwillig ins Gefängnis.“ Mit solch eindringlichen Worten schilderte Iwan Katz in seinem wohnungspolitischen Entwurf für ein kommunistisches Kommunalprogramm die „Notlage der Mieter“. Zwei wesentliche Programmpunkte waren die Beschlagnahme vorhandener Wohnungen und die Überführung der Neubautätigkeit in Gemeinwirtschaft.

 

Iwan Katz wurde 1889 in Hannover geboren, studierte Jura und Ökonomie und trat 1907 der SPD bei. 1919 schloss er sich der USPD an und unterstützte 1920 den Zusammenschluss der USPD mit der KPD. Von 1922 bis 1923 leitete er die kommunalpolitische Abteilung der KPD.
Durch die Fusion mit der USPD wurde die KPD zur Massenpartei und erhielt durch die ehemaligen Sozialdemokrat/innen eine reichsweite soziale Verankerung. Nun kam es darauf an, diese Verankerung für eine Tagespolitik mit kommunistischer Zielsetzung zu nutzen. Auf der Grundlage von Beratungen der KPD-Bezirkskonferenzen entwarf Iwan Katz 1922 die Einleitung und den ersten, den wohnungspolitischen Teil für das kommunalpolitische Programm der KPD*. Seine Entwürfe waren eine Mischung aus Prinzipien- und Aktionsprogramm – geprägt von der Taktik der Einheitsfrontpolitik. Das Programm sollte, ergänzt durch noch fehlende Teile, auf dem 8. Parteitag der KPD 1923 beraten und beschlossen werden.

 

Ausschaltung der privatkapitalistischen Betriebe

Für das künftige Programm wurde vorgeschlagen, in den Städten und Gemeinden die Kommunalisierung mit dem Ziel der „völligen Ausschaltung der privatkapitalistischen Betriebe“ auf die Agenda zu setzen, um sie fortan „gemeinwirtschaftlich“ zu betreiben. Diese und weitere prinzipielle Aussagen zu Verfassung und Etat sowie zu Wahlen und Organisation bildeten die Plattform, von der aus die Tagespolitik der KPD bestimmt sein sollte. Allein der wohnungspolitische Programmteil umfasste 91 Punkte, gegliedert in sechs Abschnitte: Einleitung, Wohnungsstatistik, Beschlagnahme vorhandener Wohnungen, Beschaffung neuer Wohnungen, Mieterschutz und Mieterorganisation.
Geschuldet den politischen Kräfteverhältnissen und der massiven Wohnungsnot (vgl. MieterEcho 366/ April 2014) ist für Katz die „Beschlagnahme“ von Wohnraum zugunsten der Arbeiterklasse das aktuelle Kampfziel. Denn für ihn ist die Wohnungsnot eine der „Haupttriebkräfte zum Sturz der kapitalistischen und der Herbeiführung der sozialistisch-kommunistischen Wirtschaftsordnung“. Durch Konfiszierung soll das „Recht des Vermietens von Wohnungen, Eigenhäusern und möblierten Zimmern der Privatwirtschaft entzogen und der Gemeinwirtschaft überantwortet“ werden. Wohnungsämter, deren „Beamte von Mieterorganisationen gewählt werden“, sollen diese Aufgabe übernehmen.

 

Wohnungsämter mit umfassenden Befugnissen

Wohnungsämter für eine staatlich regulierte Wohnungsversorgung gab es im Land Preußen seit dem Wohnungsgesetz vom 28. März 1918, wodurch die Aufsicht über das gesamte Wohnungswesen den Gemeinden mit umfassenden Befugnissen übertragen wurde. Andere deutsche Länder hatten bereits vorher mit ähnlichen Kompetenzen ausgestattete Behörden eingerichtet. Nach der Novemberrevolution bestimmte 1919 die Weimarer Verfassung in Artikel 155 reichsweit als Staatsziel, „jedem Deutschen eine gesunde Wohnung“ zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist Katz‘ Fixierung auf die Wohnungsämter ein offensives Konzept, das die KPD politisch voranbringen kann. Seine zweite strategische Überlegung bildete die Überführung der „gesamten Neubautätigkeit“ in „Gemeinwirtschaft“. Dies wollte er den Gemeindebauämtern übertragen, die damals überwiegend baupolizeiliche Aufgaben erfüllten.

Die Beschlagnahme als staatliche Umverteilung vorhandener Wirtschaftsgüter zugunsten des Kapitals ist nicht nur in Krisenzeiten eine gängige Lösungsmethode. Hingegen ist die gemeinwirtschaftliche Enteignung von Grundstücken und Immobilien eine transformative Aktion, um mit ihr das Kapitalverhältnis außer Kraft zu setzen. Obgleich die Enteignung nach der Weimarer Verfassung (Artikel 153) rechtlich möglich war, ist Katz‘ Forderung unter den damaligen politischen Kräfteverhältnissen eher als eine agitatorische zu lesen, denn einschränkend heißt es dazu im Entwurf, dass vor der Enteignung zuerst der „Käuferhandel“ mit Immobilien und Grundstücken verboten werden müsste.
Der wohnungspolitische Entwurf befasst sich abschließend mit wichtigen rechtlichen Veränderungen und der Selbstorganisation der Klasse im Wohnungskampf. Zum Beispiel soll durch „Reichsgesetzgebung“ den Hausbesitzern die Verwaltung genommen und Mieterräten übertragen werden, welche sich in einer „Mieterorganisation“ zusammenschließen und damit in die „Kampffront des revolutionären Proletariats“ einreihen. Weder diese noch andere Entwürfe wurden jemals als KPD-Kommunalprogramm beschlossen. Dennoch könnten diese Entwürfe gerade heute wegen ihres offensiven Antikapitalismus für eine linke Wohnungspolitik von Nutzen sein. Schließlich sind sowohl Kampagnen wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ als auch die vielen kleinen Abwehrkämpfe eher von der Hoffnung, dass es irgendwie besser werden könnte, als von einer antikapitalistischen Programmatik geformt.

 

* Siehe: www.trend.infopartisan.net/trd0315/t010315.html


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