Öffentlicher Geldsegen für Immobilienhaie
Die Rückkäufe ehemals städtischer Wohnungen durch die landeseigenen Gesellschaften sind ein schlechtes Geschäft
Von Carl Waßmuth
Anfang November wurde bekannt, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft Howoge in Kreuzberg 372 Wohnungen am Mehringplatz sowie am Südende der Friedrichstraße und der Wilhelmstraße aufgekauft hat. Die rund 50 Jahre alten Wohnungen liegen seit 2011 in einem Sanierungsgebiet und gehören seit 2017 zu einem Milieuschutzgebiet. Die Wohnanlage am Mehringplatz steht zudem seit 2014 unter Denkmalschutz. Allerdings gilt das Gebiet als sozialer Brennpunkt mit einer hohen Kriminalitätsrate, Drogenproblemen bis hin zur Prostitution.
Seit 2019 saniert die öffentliche Hand aufwendig den Platz und erweitert die Grünanlagen. In welchem baulichen Zustand sich die Gebäude befinden, ist offiziell nicht bekannt. Über den Preis wurde Stillschweigen vereinbart. Für einen möglichen „Sanierungsstau“ konnte womöglich ein Abschlag verhandelt werden. Vermutlich musste die Howoge aber die Wohnwertsteigerung durch die öffentlichen Investitionen in den Außenanlagen mitbezahlen.
Das ist der aktuellste Fall in einer ganzen Reihe von größeren Ankäufen durch die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften. 2018 erwarben sie zusammen knapp 4.000 Wohnungen, 2019 etwa 12.000. In diesem Jahr waren es bisher ca. 1.200. Die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land hat zudem angekündigt, 7.500 Bestandswohnungen bis 2025 kaufen zu wollen. In der Summe wären das etwa 25.000 Wohnungen. Was nach viel klingt, entspricht bezogen auf den Gesamtbestand der Wohnungen in Berlin allerdings nur 1,25% Erheblich ist demgegenüber allerdings die dafür aufgewendete Summe. Der durchschnittliche Preis der Rückkäufe liegt bei 2.800 Euro pro Quadratmeter. Die 372 Wohnungen am Mehringplatz haben also vielleicht 60 Millionen Euro gekostet – vielleicht aber auch mehr, bei einem Schnäppchen wäre Stillschweigen über den Preis ja kaum nötig gewesen.
Große Verluste bei Rückkäufen
Für die Immobilienwirtschaft und Finanzinvestoren ist diese kleine Rekommunalisierungswelle allemal ein gutes Geschäft. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wurden in ganz Deutschland seit 2000 rund 900.000 Wohnungen privatisiert, die zuvor dem Bund, den Ländern oder den Kommunen gehört hatten. Diese Wohnungsbestände bildeten später den Kern von Konzernen wie der Deutschen Wohnen und Vonovia. Die bei den damaligen Verkäufen erzielten Preise lagen deutlich unter dem damaligen Marktwert, man sprach ganz offiziell von Notverkäufen zur Haushaltssanierung. Die Einnahmen unterlagen dementsprechend auch keiner Zweck- oder Sozialbindung und wurden zur Schuldentilgung der öffentlichen Kassen oder für konsumptive Ausgaben verwendet – auch in Berlin.
Ein Großteil der in den vergangenen drei Jahren aufgekauften Wohnungen hatte Berlin zwischen 1993 und 2004 privatisiert. Für 10.519 solcherart zurückgekaufter Wohnungen sind die Kaufpreise bekannt, sie summieren sich auf 1,73 Milliarden Euro. Bei der Privatisierung hatte man (umgerechnet auf das Preisniveau von 2019) 381 Millionen Euro erzielt – nur ein Neuntel des Rückkaufpreises. Der Verlust der öffentlichen Haushalte liegt somit bisher bei 1,35 Milliarden Euro. Aber es könnte noch mehr werden: 2019 hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, den Rückkauf der 65.000 GSW-Wohnungen vorgeschlagen, die bei der Privatisierung von 2004 an Finanzinvestoren gingen. Dazu errechnete der Tagesspiegel: „Unter Zugrundelegung der Werte aus der Karl-Marx-Allee, bei der die Gewobag laut Deutsche Wohnen 3850 Euro pro Quadratmeter zahlen muss, läge der Kaufpreis für den von Müller vorgeschlagenen Deal bei 13,7 Milliarden Euro.“ Dazu eine Vergleichsgröße: Der reguläre öffentliche Haushalt für Berlin umfasst in 2020 insgesamt 31 Milliarden Euro. Ein GSW-Rückkauf würde davon 44% verschlingen.
Nachfolgend zwei weitere Beispiele von bisherigen Rückkäufen. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag kaufte im September 2019 insgesamt 5.964 Wohnungen in den Bezirken Spandau und Reinickendorf. Der Kaufpreis soll 920 Millionen Euro betragen haben, das entspricht 2.850 Euro pro m². Die Wohnungen stammen aus den Beständen der GSW. Für die Rückkäufe legte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag eigens einen gestückelten Schuldschein im Gesamtwert von 1,35 Milliarden Euro auf. Die Verzinsung der lang laufenden Verschuldung ist unbekannt, sie dürfte nicht unter 1,5% gelegen haben. Demnach kostet die Auslagerung der Schulden aus Berlins offiziellen Haushalt allein bei der Gewobag eine halbe Milliarde Euro. Derweil lässt sich das Landesunternehmen feiern: Im Zuge der Verleihung der GlobalCapital Loan Awards bekam sie den Preis für den „Best Schuldschein Deal of the Year“.
Für Furore sorgte auch der Rückkauf einiger Blöcke an der Karl-Marx-Allee. Prestigeträchtige Objekte, denn diese Straße ist nicht nur Europas größtes Baudenkmal, sondern auch eine beliebte Kulisse für Filmaufnahmen wie zuletzt für die Streamingserie „Das Damengambit“. 1993 waren die Wohnungen privatisiert worden. Das damalige Verfahren war extrem komplex und intransparent. Es wurden zahlreiche Einzelgesellschaften gegründet und in Steuersparmodelle eingebracht. Dem anfänglichen Erbbauvertrag folgte der Komplettverkauf. Die Einnahmen pro Quadratmeter betrugen etwa 700 Mark, in heutigen Preisen 531 Euro. Nachdem die Steuersparmodelle nach 25 Jahren ausgelaufen waren, setzte eine Welle von Weiterverkäufen ein, die Deutsche Wohnen zeigte sich interessiert und begann zu kaufen. Einzelne Mieter übten ein Vorkaufsrecht aus. Für 670 Wohnungen sprang die Gewobag ein, es sollen in der Spitze „unter 4.500 Euro pro Quadratmeter“ bezahlt worden sein, bei einem Mittelwert von 3.850 Euro pro Quadratmeter. Damit war der Rückkauf mehr als sieben Mal so teuer wie der ursprüngliche Erlös, ein gesellschaftlich inakzeptables Geschäft. Dennoch stellte sich der Berliner Senat in ein strahlendes Licht: Hier drohe der gefährliche Hedge-Fonds die Mieten ins unermessliche zu treiben. Aber dann springe die gute öffentliche Hand ein und rette durch Vorkauf die Mieter/innen vor den Spekulanten.
Gekauft wird die „Katze im Sack“
Die Selbstdarstellung der Howoge zu ihren Wohnungskäufen verrät eine andere Eigenschaft von Vorkäufen: „Anders als in einem zu erwartenden Vorkaufrechtsverfahren bietet der gezielte Ankauf die Möglichkeit (…) den notwendigen Instandsetzungsbedarf bereits in unsere Wirtschaftlichkeitsberechnung einzupreisen.“ Mit anderen Worten: Beim Kauf erwerben die Wohnungsbaugesellschaften weitgehend eine Katze im Sack. Sie müssen die angebotenen viel zu hohen Preise akzeptieren und in den meisten Fällen hinterher dennoch teuer sanieren.Ein weiterer Grund für hohe Preise ist die bestehende privatrechtliche Struktur der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Im Management sitzen nicht immer die besten Treuhänder öffentlichen Vermögens. Man findet dort auch Vertreter aus Beratergesellschaften und Immobilienfirmen. Bei der Howoge kam Stefanie Frensch von Ernst und Young und ging zu Becker & Kries, sie wurde abgelöst von Ulrich Schiller, der vom größten deutschen Immobilienkonzern Vonovia kommt.
Für die Immobilienwirtschaft sind trojanische Pferde bei den städtischen Gesellschaften enorm wertvoll. Auf diesem Wege gelangten im Zuge des Übergangs von Bundesbahn und Reichsbahn zur DB AG wertvolle innerstädtische Immobilien günstig an die Vivico und von dort später weiter zum Beispiel an die Groth-Gruppe. Ähnlich war es, als Teile der Bundespost zur Telekom wurden und viele Grundstücke für wenig Geld von der Telekom-Tochter DeTe Immobilien an die Strabag gingen. Im Falle der Howoge kommt hinzu: Im Zuge der Betrauung mit Aufgaben im Schulbau fließen der Wohnungsbaugesellschaft Steuergelder in Milliardenhöhe zu, denen nur mäßig teure Leistungen gegenüberstehen. Als dies im Abgeordnetenhaus kritisiert wurde, wurde abgewiegelt: Würde tatsächlich zu viel bezahlt, käme das eben den Mieter/innen zugute. Es ist allerdings gut möglich, dass die Steuergelder auch für kostspielige Bauverträge oder für irrwitzig überteuerte Rückkäufe verwendet werden. Als zentraler Anker für eine soziale Wende in der Wohnungspolitik taugt die in Berlin praktizierte Vorkaufspolitik jedenfalls nicht.
Carl Waßmuth ist Bauingenieur und Vorstandsmitglied des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Der Verein tritt für die Bewahrung und umfassende Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen ein, insbesondere der Daseinsvorsorge.
MieterEcho 414 / Februar 2021