Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 408 /

Neubauten auf den Uferhallen

Künstler/innen fürchten Verdrängung durch die Samwers

Von Philipp Möller                                   

Ende Januar stellte die Uferhallen AG ihre Pläne für den Kunst- und Kulturstandort Uferhallen im Wedding vor. Neubauten mit einer Gesamtfläche von 16.000 qm planen die Investoren auf dem Gelände. Der Entwurf des Architektenbüros Ortner und Ortner Baukunst, das auch den Wettbewerb für den Neubau des Siemenscampus in Spandau gewann und das Wohnhochhaus Alexander Capital Tower am Alexanderplatz entwarf, sieht einen bis zu 45 Meter hohen Turm, sechs mehrgeschossige Neubauten und einige Geschossaufstockungen vor.                                 

Größere Abrisse sind auf dem weitgehend denkmalgeschützten Gelände nicht vorgesehen. Die Ateliers und Kulturstätten auf dem Areal sollen erhalten bleiben, aber umfassend instandgesetzt und modernisiert werden. Die mehr als 150 auf dem Areal arbeitenden und wohnenden Kulturschaffenden fürchten eine Verdrängung durch steigende Mieten. Sie fordern eine langfristige Sicherung der kulturellen Nutzung durch einen Erbpachtvertrag mit mindestens 60 Jahren Laufzeit und eine Teilung des Geländes. Die Eigentümer lehnen diese Vorschläge ab. Das Bezirksamt stellte die Aufstellung eines Bebauungsplans und den Abschluss eines städtebaulichen Vertrags in Aussicht.         
Die Uferhallen befanden sich bis 2006 in der Hand der BVG. Nach der Privatisierung entwickelte sich das Areal zu einem kunstaffinen Standort mit niedrigen Mieten. 2017 übernahm die Augustus Capital GmbH, ein Firmengeflecht mit mehrheitlicher Beteiligung der Samwer-Brüder, das Gelände in einem Bieterverfahren zum Höchstgebot von 30 Millionen Euro.
                         
Anlageimmobilien gesucht         
Es ist die bereits vielfach erzählte Geschichte, in der die kreative Nutzung eines ehemaligen Industriegeländes zum Vehikel der Inwertsetzung und schließlich zur bloßen Kulisse der Kapitalverwertung wird. Seither führen der Bezirk, Investoren und Künstler/innen Verhandlungen über ein zukünftiges Nutzungskonzept. Die Samwer-Brüder kauften sich in den vergangen Jahren verstärkt auf dem Berliner Immobilienmarkt ein. Firmen mit Beteiligungen der Internetmilliardäre sollen laut einer Recherche von Spiegel und Frontal21 Häuser im Wert von über 150 Millionen Euro besitzen. Die 2007 von den Brüdern gegründete Risikokapitalgesellschaft Rocket Internet, das Unternehmen wie Zalando und Delivery Hero mit Geld ausstattete, steckt derzeit in einer Krise. Oliver Samwer sagte auf der Aktionärsversammlung 2019: „Unser Modell hat so gut funktioniert, dass wir im Augenblick mehr Kapital als Ideen haben.“ Die Samwers sitzen auf rund 2,6 Milliarden Euro, für die sie neue Anlagemöglichkeiten suchen. Analysten bescheinigen dem Unternehmen keine rosige Zukunft in ihrem bisherigen Betätigungsfeld. Derzeit sind keine neuen Börsengänge von Start-ups zu erwarten. Von den vorangegangen sieben Erstausgaben von Aktien (IPOs) notieren lediglich drei über dem Ausgabepreis. Nahezu alle von Rocket Internet hochgepäppelten Unternehmen schreiben rote Zahlen. Investitionen in die gebaute Umwelt scheinen angesichts der risikobehafteten Geschäfte mit der Digitalwirtschaft als sicherer Hafen. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel erklärte gegenüber Spiegel und Frontal21, dass die Verlagerung von Kapital aus der New Economy in Immobilien ein Trend sei. Nicht nur die Ansiedlung der Digitalwirtschaft führt also zu Aufwertung von Stadtteilen, auch deren überschüssiges Kapital auf der Suche nach Verwertungsmodellen treibt die Spekulation an.        
Die Entwicklung von Gewerbestandorten wie den Uferhallen scheint ein lukratives Geschäftsfeld. Der Vorstand der Uferhallen AG Felix Fessard stellte zu Beginn seines Vortrags in der BVV Mitte klar: „Wir sind Eigentümer, die nicht verkaufen.“ Ziel der Investoren sei es, den Kulturstandort weiter zu befördern und durch Sanierungsmaßnahmen sowie einen Innenausbau eine langfristige Nutzbarkeit der bestehenden Flächen als Ateliers sicherzustellen. Fessard machte klar, dass es während der Bauphase notwendig sei, die Werkstätten mehrfach umzusetzen. Die Künstler/innen sollten aber während der gesamten Bauphase auf dem Areal bleiben können. Ob die angesichts der Beschwerlichkeiten mehrfacher Umzüge bleiben können, wird sich zeigen. Als Betreiberin soll eine gemeinnützige Gesellschaft eingesetzt werden, die Einzelmietverträge mit Laufzeiten zwischen einem und 20 Jahren abschließen soll. Zu den angestrebten Miethöhen machte der Eigentümer keine genauen Angaben. Ein erstes Angebot in Höhe von 8 Euro/qm, das weitere Aufschläge von 4,50 Euro/qm sowie eine jährliche Staffelung vorsah, hatten die Kreativen als nicht leistbar abgelehnt. Derzeit beläuft sich die mittlere Miete auf 4,20 Euro nettokalt bei einer durchschnittlichen Ateliergröße von 75qm. Über die Nutzung der Neubauten ist derzeit noch nichts bekannt. Fessard äußerte aber Sympathie gegenüber dem Vorschlag, das als „allgemeines Wohngebiet“ deklarierte Gelände in einem B-Plan-Verfahren zu einem Gewerbestandort umzuwidmen. Einen Hinweis darauf, was auf den Uferhallen entsteht, könnte das auf der Aktionärsversammlung angedeutete Interesse der Samwers an Co-Working-Spaces liefern. Eine Nutzung der Neubauten als Arbeitsplatz für die von Rocket Internet finanzierten Start-ups wäre denkbar. Das Areal würde damit einem bezirklichen Trend folgen. Fünf Gehminuten entfernt werden am S-Bahnhof Wedding an der Ecke Müller- und Lindowerstraße und in der Gerichtsstraße 48-51 zwei Gewerbekomplexe mit Co-Working-Spaces und Boarding-Houses auf jeweils 20.000 qm hochgezogen. Die angepeilte Miethöhe liegt bei 23 Euro/qm.                                     

Vernetzung von Samwer-Häusern    
Über die Zukunft der Uferhallen wird in weiteren Gesprächsrunden zwischen Bezirk, Eigentümer und Nutzer/innen entschieden. Wie weit der Investor dabei den Kreativen noch entgegenkommt, ist unklar. Angesichts der Höchstsummen, die er seinerzeit auf den Tisch legte, dürfte der Spielraum begrenzt sein. Zudem wirft das rücksichtslose Agieren von Unternehmen mit Samwer-Beteiligung dunkle Schatten voraus. Im letzten Jahr sorgte die Kündigung der Ärzt/innen im Haus der Gesundheit am Alexanderplatz und die Umwandlungswelle in Samwer-Häusern in Neukölln für Aufsehen. Zuletzt erhielten viele Samwer-Mieter/innen, darunter Nutzer/innen der Uferhallen, exorbitante Betriebskostennachforderungen, teils in mittlerer vierstelliger Summe. Mittlerweile gibt es jedoch auch einen Austausch von Samwer-Häusern, die den Internet-Unternehmern den Kampf angesagt haben. Kreative Aktionen wie Proteste vor der nächsten Aktionärskonferenz von Rocket Internet Mitte Mai sind bereits in Planung.  


MieterEcho 408 /

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.