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MieterEcho 411 /

Klare Kante sieht anders aus

Enteignungen von Wohnungskonzernen finden innerhalb der rot-rot-grünen Koalition keine klare Unterstützung

Von Rainer Balcerowiak

Als die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ im April 2018 erstmals an die Öffentlichkeit trat, löste das in der Stadt ein mittleres politisches Beben aus und führte schnell zu einer deutlichen Polarisierung. Die bürgerlichen Oppositionsparteien CDU und FDP reagierten mit Empörung und der Rhetorik des Kalten Krieges. Von „DDR 2.0“ war die Rede, beschworen wurde die Rückkehr zu einer „sozialistischen Diktatur“ . Dem geplanten Volksbegehren wurde jegliche Legitimität abgesprochen, da es offensichtlich verfassungswidrig sei. Auch Wirtschaftsverbände stießen in dieses Horn und beschworen den drohenden Kollaps der gesamten Berliner Wirtschaft, wenn derartige „sozialistische Experimente“ auf die Tagesordnung kämen.

 

Doch angesichts rasant steigender Mieten und der ruppigen Verdrängungspraxis der großen Immobilienkonzerne hatte die Initiative einen Nerv getroffen. Erste Umfragen kamen unisono zu dem Ergebnis, dass die Forderung nach Enteignung von einer Mehrheit der Berliner Bevölkerung unterstützt wurde. Die größte Zustimmung kam dabei von Anhänger/innen der Regierungsparteien, doch auch in den Klientelen von CDU, FDP und AfD gab es Zustimmungswerte von über 30%. Die erste Stufe des Volksbegehrens wurde im Juni 2019 mit über 77.000 abgegebenen Unterschriften nahezu mühelos überwunden. 20.000 gültige Unterschriften waren notwendig.

In der rot-rot-grünen Koalition gab es von vornherein unterschiedliche Standpunkte zur geforderten Enteignung. Nur Die Linke teilte die Forderung vorbehaltlos und kündigte auch die unmittelbare Unterstützung des Volksbegehrens an. Die Grünen signalisierten verhaltene Zustimmung zu einer Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne als „letztes Mittel“. Doch der wirtschaftsliberale Flügel dieser Partei, allen voran Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, ging auf Distanz und warnte vor einem „leichtfertigen Umgang“ mit Begriffen wie Enteignung. In einem Gastbeitrag für Die Welt am 9. Juni 2019 betonte Pop den im Grundgesetz verbürgten Schutz des Eigentums: „Nur mit sicheren Eigentumsrechten kann sich ein florierender und fairer Handel entwickeln (...). Eigentum stärkt Motivation und Innovation: Wo Eigentum sicher ist, legen Menschen sich ins Zeug, entdecken Neues, wagen sich voran“.Wenn Vermögenskonzentrationen allerdings zu „Exzessen“ führten, „ist die soziale Marktwirtschaft mitsamt ihrer demokratischen Akzeptanz in Gefahr“. Deswegen seien Eigentumsrechte und soziale Verantwortung im Grundgesetz „gleichwertig“. Und deswegen „sollte man das Wort Enteignung nicht leichtfertig in den Mund nehmen“.
Zwar haben sich einige Grüne eindeutig zur Unterstützung der Enteignungsinitiative bekannt, doch die von Pop vorgezeichnete Linie prägt auch die entsprechenden Beschlüsse der Parteigremien. In einem auch von Pop unterzeichneten und im Mai 2019 von einem „Kleinen Parteitag“ verabschiedeten und nach wie vor gültigen Beschluss wird die Initiative als „Weckruf“ bezeichnet, der jetzt zu einem „fairen Dialog auf Augenhöhe“ mit den Immobilienkonzernen führen müsse. Die Grünen würden sich „wünschen, dass die Umstände uns nicht zwingen, die Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden“.

 

Kategorisches Nein der SPD

Erhebliche Bauchschmerzen mit der Initiative hatte auch die SPD. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hatte anfangs noch erklärt, dass eine Vergesellschaftung der Konzerne angesichts der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt „in einem dritten, vierten oder fünften Schritt nicht ausgeschlossen“ sein könne. Einzelne Kreisverbände und vor allem die Jungsozialisten (Jusos) erklärten sogar ihre direkte Unterstützung für das Volksbegehren. Doch unter dem Druck der Wirtschaft gingen Müller und mit ihm die gesamte Parteispitze schnell auf umfassende Distanz. Am 25. Oktober 2019 kam es schließlich zum Showdown auf einem Landesparteitag. In seiner Rede griff Müller die Initiative scharf an. Diese propagiere den „Klassenkampf“, und das sei nicht sein Weg. Finanzsenator Matthias Kollatz warnte vor den untragbaren Belastungen für den Haushalt, die eine Enteignung durch die fälligen Entschädigungen nach sich ziehen würde. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die nach derzeitigem Stand noch in diesem Jahr den Landesvorsitz der Partei von Müller übernehmen soll, bezeichnete die Debatte als verheerendes Signal. „Eine moderne zukunftsfähige Stadt kann nicht für Enteignungen stehen.“ Man müsse vielmehr „deutlich machen, dass Investoren willkommen sind“.
Bei der Abstimmung unterlagen die Unterstützer/innen des Volksbegehrens schließlich mit 97 zu 137 Stimmen.

Die Auseinandersetzung in der SPD scheint damit beendet zu sein. Selbst bei den traditionell eher linken Jusos ist das Volksbegehren derzeit kein Thema, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Bei der SPD setzt man offenbar darauf, dass man dem Volksbegehren und der Debatte um Enteignungen durch den – ursprünglich von der SPD initiierten – Berliner Mietendeckel viel Wind aus den Segeln genommen hat. Dazu kam die letztendlich erfolgreiche Zermürbungstaktik gegen die Initiative bei der Prüfung der Zulassung der 2. Stufe des Volksbegehrens, für die sich die SPD-geführte Innenverwaltung über ein Jahr Zeit ließ.
Bei den Linken schien die Frage eigentlich abschließend geklärt zu sein. In mehreren Beschlüssen bekannte sich die Partei bereits seit Herbst 2018 eindeutig zu der angestrebten Vergesellschaftung größerer privater Wohnungsbestände. An der Unterschriftensammlung für die 1. Stufe des Volksbegehrens waren viele Parteimitglieder aktiv beteiligt. Selbst Parteigrößen wie Harald Wolf, der als Wirtschaftssenator der rot-roten Koalition (2002-2011) maßgeblich an der Privatisierung großer kommunaler Wohnungsbestände beteiligt war, was quasi den Grundstein für die Entstehung der „Deutsche Wohnen“ legte, sprach sich vehement für die Enteignung großer Immobilienkonzerne aus.

  

Vereinbarungen statt Enteignung?

Die inzwischen zurückgetretene linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher sorgte mit der Aussage für Irritationen, die von Deutsche Wohnen & Co enteignen geforderte Sozialisierung großer Wohnungsunternehmen in Berlin sei nicht der einzige Weg, um „große Wohnungsbestände mit sozialem Mehrwert zu bewirtschaften“. Wenn man das auf einem anderen Wege hinbekomme, zum Beispiel über ein Gesetz, „dann sind die betreffenden Unternehmen nicht mehr die Adressaten“, erklärte die Senatorin bei einer Online-Diskussion am 27. Mai. Und bereits vor einem Jahr sagte Lompscher dem Magazin Luxemburg in einem Interview: „Mit der Deutschen Wohnen haben wir vielfältige Konflikte.(...) Andererseits gibt es einige Beispiele, wo es im Zusammenwirken von Mieterinitiativen, Stadtöffentlichkeit, Bezirk und Senat zu Vereinbarungen kam, die eine sozialverträgliche Modernisierung sicherstellen sollen. Da stellt sich die Frage, ob die Deutsche Wohnen bereit wäre, so etwas auch auf Landesebene mit dem Senat zu verabreden“. Wie ein klares Bekenntnis zu dem politischen Ziel, Immobilienkonzerne auch aus prinzipiellen Gründen zu enteignen, hört sich das nicht an. Hier wird abzuwarten sein, wie sich Lompschers Nachfolger/in positionieren wird.

Wie sich die Parteien der rot-rot-grünen Koalition künftig positionieren, wird sich zeigen, wenn die 2. Stufe des Volksbegehrens, also die Sammlung von 177.000 Unterschriften unter den Abstimmungstext binnen vier Monaten, tatsächlich beginnt. Das wird nach Einschätzung der Initiative nicht vor Februar der Fall sein. Allerdings ist der vom Senat quasi diktierte neue Text, den Deutsche Wohnen & Co enteignen am 21. Juli nach längeren internen Diskussionen auf einem Aktivenplenum billigte, gründlich weichgespült. Die ursprüngliche Forderung an den Senat, ein Gesetz für die Enteignung auf den Weg zu bringen, wurde komplett gestrichen. Jetzt wird der Senat nur noch aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung erforderlich sind“. Für die „Maßnahmen“ gibt es weder eine Definition noch eine Frist. Das mit viel Budenzauber gestartete Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkonzerne ist nunmehr zu einer rechtlich unverbindlichen Aufforderung, der Senat möge irgendwann irgendetwas unternehmen, geschrumpft. Das können dann wohl nicht nur der neue Stadtentwicklungssenator, sondern auch Michael Müller und Ramona Pop vorbehaltlos unterschreiben.


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