Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 417 / Mai 2021

Hochburg der Neubauverhinderer

In Pankow gehen Anwohner/innen gegen kommunale Wohnungsbauprojekte auf die Barrikaden – hofiert werden sie dabei durch die Bezirkspolitik

Von Philipp Möller

„Karow ist schön und soll es auch bleiben!“ , so titelt ein Bürgerantrag des neugegründeten Vereins „Wir für Karow e.V.“ , den die Pankower Bezirksverordnetenversammlung im November vergangenen Jahres mit den Stimmen von SPD, AfD und CDU beschloss. In dem Antrag werden drei Prämissen genannt, denen der Bezirk zukünftig bei Bauplanung des Stadtentwicklungsgebiets in Karow-Süd folgen soll. Dazu zählt neben einer „leistungsfähigen Erschließung des Berliner Nordostens für den öffentlichen Personennahverkehr und den Autoverkehr (...) vor dem Beginn jedweder Baumaßnahmen“ und der Eindämmung des „Schichtwassersystems“ vor allem die Begrenzung der Geschossflächen bei einer Bebauung von Karow Süd.

Ursprünglich sollten auf den drei Baufeldern bis zu 2.000 Wohnungen durch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in bis zu fünfgeschossigen Mehrfamilienhäusern gebaut werden. Auf Druck der Bürgerinitiative und im Rahmen eines zweijährigen Prozesses der Rahmenplanung sind diese Pläne immer weiter zusammengeschrumpft. „Die Dichte und Bauhöhen wurden bereits begrenzt, ein Randstreifen zur Bestandsbebauung sollte nur moderat bebaut werden“, berichtet Baustadtrat Vollrad Kuhn (B90/ Die Grünen) gegenüber MieterEcho. Der Projektbeirat hatte den angepassten Plänen bereits zugestimmt. Die Mehrzahl der vertretenden Anwohner/innen stellte sich jedoch dagegen und versucht den dringend notwendigen Wohnungsbau weiter einzuschränken. „Wir brauchen günstige Wohnungen – das ist nur mit kommunalem Geschosswohnungsbau möglich“, argumentiert Kuhn mit Hinblick auf Wohnraumknappheit im niedrigen und mittleren Preissegment. Laut Stadtentwicklungsplan Wohnen hat sich in Berlin durch jahrelange Untätigkeit ein Fehlbestand von mehr als 70.000 Wohnungen angehäuft. Bis 2030 sollen berlinweit fast 200.000 neue Wohnungen entstehen. Den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften kommt dabei eine besondere Rolle zu, da sie durch die Vorgaben der Kooperationsvereinbarung dazu verpflichtet sind, bis zu 50% ihrer Neubauten als geförderten Wohnungsbau zu errichten. Zwischen 2014 und 2020 entstanden laut IBB Wohnungsmarktbericht 2020 87% der knapp 4.500 fertiggestellten Sozialwohnungen durch kommunale Träger.

„Sozialverträgliches Karow“: Das Bürgertum will unter sich bleiben

Nach Willen des lokalen Bürgervereins soll Karow jedoch möglichst frei von kommunalem und sozialem Wohnungsbau bleiben. Laut Bürgerantrag ist die Bebauung auf lediglich zwei Geschosse zu begrenzen und eine viergeschossige Bebauung nur in Ausnahmen zuzulassen. „Unverhältnismäßige Bauhöhen und -dichten werden in der bestehenden Karower Anwohnerschaft keine Akzeptanz finden“, heißt es in der Begründung des Antrags. „Der dörfliche Charakter ist zu erhalten, da dieser für Karow identitätsstiftend ist. Eine hohe Qualität der Bebauung verhindert Fluktuation und fördert dadurch die gesellschaftliche Vernetzung von Alt- und Neu-Karowern“, führt die Bürgerinitiative aus. Mit der „hohen Qualität der Bebauung“ meinen die Initiator/innen schlicht Wohneigentum für die Bessergestellten statt kommunalen Wohnungsbau für breite Schichten der Bevölkerung. Hinter dem ausgelobten Ziel eines „sozialverträglichen“ Karows versteckt sich der Wunsch des Bürgertums, unter seinesgleichen zu bleiben. „Ich kann zwar die Ängste der Anwohner/innen – vielfach von Eigenheimbesitzern – verstehen, aber so nicht akzeptieren“, sagt Kuhn. Ganz anders geht es der parteienübergreifenden Mehrheit in der BVV, wobei sich die CDU wie die AfD und die SPD an anderer Stelle häufig als vermeintliche Vorkämpfer eines zügigen Neubaus gerieren. In diesen Genuss soll offenbar aber nur die Mittelschicht kommen.

Das Beispiel Karow-Süd ist symptomatisch für eine weitverbreitete Neubau-skepsis im Bezirk Pankow. Laut Informationen des Bezirksamts liegt rund 22% des aktuellen Berliner Wohnbaupotentials im Bezirk. Darunter fallen mit Buch, dem ehemaligen Rangierbahnhof, dem Blankenburger Süden und der Michelangelostraße auch vier der 16 Berliner Stadtentwicklungsgebiete. Gegen die zwei letztgenannten Neubauprojekte laufen Anwohner/innen Sturm und fordern ebenfalls, die geplanten Wohneinheiten stark zu reduzieren. In der Michelangelostraße führten die massiven Proteste zu einem Aufschub des Projektes bis auf das Jahr 2035. Von den ursprünglich geplanten 2.500 Wohnungen soll die landeseigene Gesobau nunmehr maximal 1.200 Wohneinheiten errichten. Der „Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße“ fordert gar eine Reduktion auf eine dreistellige Zahl an Wohnungen.

Die ausgeprägte Neubaukritik trifft im Bezirk auf eine ohnehin stark ausgedünnte Verwaltung. „Die Anzahl der Projekte für Wohngebiete, Gewerbegebiete, Infrastrukturstandorte und insbesondere Schulen in städtebaulichen Fördergebieten wird stetig mehr und die Anzahl der Stellen für diese Themen hält leider nicht Schritt“, berichtet Kuhn. Besonders groß seien die Engpässe bei den Beschäftigten, die die Bebauungspläne aufstellen. Aber auch im Bereich der Verkehrsplanung, bei der Gestaltung des öffentlichen Raums und beim Umwelt- und Naturschutz herrscht Personalmangel. Die Engpässe haben laut Kuhn „erhebliche Auswirkungen auf die Planungsfortschritte im Bezirk“. Die protestierenden Anwohner/innen, die mal mit dem Erhalt einer Frischluftschneise oder Grünfläche, mal mit dem Schutz einer seltenen Tierart und ein anderes Mal mit der Verschattung ihrer Wohnungen argumentieren, binden zusätzlich personelle Kapazitäten.

Doch es sind nicht nur Mammutprojekte, gegen die die Pankower Bürgerschaft revoltiert. Auch gegen ein Nachverdichtungsprojekt der Gesobau auf einer Grünfläche in dem Karree  Ossietzkystraße/ Am Schlosspark/ Kavalierstraße/ Wolfshagener Straße gibt es laute Proteste. Laut Stadtentwicklungsplan Wohnen sollte die Gesobau hier 170 Wohnungen bauen, wogegen sich Ende 2019 die Initiative „Grüner Kiez Pankow“ gründete. Die Initiative fordert „gesellschaftliche Teilhabe mit echter Bürgerbeteiligung“ und meint damit eine Verlagerung des Bauprojektes „auf geeignetere Flächen“. Trotz akuter Wohnungsnot beschwört sie, wie so viele Neubauskeptiker/innen, die „Nutzung des bestehenden Leerstands“, obwohl die Leerstandsquote weit unter der kritischen Marke von 3% liegt, was die Wohnungssuche massiv erschwert.

Auch prominente linke Politiker gegen Wohnungsbau im Bezirk

Die um ihr Grün fürchtenden Anwohner/innen haben mittlerweile prominente Unterstützer/innen aus der Linken gewinnen können, die hier offenbar ihr Wählerklientel vermuten. So sind die Politiker der Linken Gregor Gysi und Michael Nelken zu Baumpaten geworden und der Bundestagskandidat Udo Wolf bekundete bei einem kürzlichen Besuch seine Unterstützung bei der Verhinderung des Bauprojektes in seinem Wahlkreis. Trotz der Tatsache, dass die Gesobau auf Druck der Anwohner/innen ihre Neubaupläne bereits um 70 Wohneinheiten reduzierte, beschloss die BVV im November 2020 über Parteigrenzen hinweg einen Dringlichkeitsbeschluss, der die Zukunft des gesamten Bauprojektes in Frage stellt. Darin fordern die Verordneten vom Bezirksamt zunächst für das gesamte Viertel, einen Bebauungsplan aufzustellen und bis dahin die weiteren Planungs- und Vorbauplanungsaktivitäten seitens der Gesobau auszusetzen.

Um den drohenden Bau- und Planungsstopp abzuwenden, schaltete sich im Februar schließlich Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Die Linke) in die Debatte ein. Er kritisierte gegenüber dem Tagesspiegel den „Verhinderungs-Bebauungsplan“ und forderte das Bezirksamt auf, das Projekt schnellstmöglich umzusetzen. Die Forderung nach einem B-Plan sende das falsche Signal für den dringend notwendigen Wohnungsbau in der Stadt. Auch Baustadtrat Kuhn sieht das Votum der BVV kritisch. Zwar sollten auch die Belange von Anwohner/innen berücksichtigt werden, jedoch müsse „die Politik Entscheidungen im Interesse des öffentlichen Gemeinwohls – nicht nur auf einen Kiez bezogen – treffen. Ob die BVV das in ihrer Mehrheit auch so sieht, bleibt bei manchen Entscheidungen zu hinterfragen.“ Nachdem es zeitweilig so aussah, als könnten Senatsverwaltung und Bezirksamt im Zusammenspiel die Aufstellung eines Bebauungsplans für das Areal verhindern, kam es Ende April zu einer überraschenden Wendung: Mit Bezugnahme auf den von der BVV ausgerufenen „Klimanotstand“ in Pankow stoppte der Bezirk das Bauprojekt und kündigte die Aufstellung eines Bebauungsplans an. Bäume und Sträucher im Blockinnenbereich sollten geschützt und dauerhaft erhalten werden. Die Pläne der Gesobau sind damit wohl Makulatur.


MieterEcho 417 / Mai 2021

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