Große Ziele, kleine Erfolge
Frankfurt am Main: Lokale Initiativen und Bündnisse haben beträchtlichen Druck auf die neoliberal ausgerichtete Wohnungspolitik aufgebaut
Von der Initiative „Eine Stadt für Alle! Wem gehört die ABG?“
„Erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren 1927 und 1928 aus den Mitteln der Wohnbausteuer“ , steht in Rot auf der Fassade des Rabenhofs im 3. Bezirk. Nicht nur dort: Auf allen Fassaden von Gemeindebauten der Ära des Roten Wien (1919-1934) verkünden große Lettern stolz eine Aufbauleistung. An diesen Aufschriften, die keineswegs technischen Charakter haben, liest sich einiges für uns heute überraschend: Etwa der implizite Hinweis auf die rasche Erreichung hochgesteckter Planungsziele und der Stolz auf vorhandene Mittel (während Städte sich heute allzu oft als „mittellos“ präsentieren, weshalb dann für öffentliche Bauten die öffentlich-privaten Partnerschaften als alternativlos dastehen). Markant aus heutiger Sicht ist vor allem das öffentliche Anschreiben einer Steuer, und nicht irgendeiner: Die Wiener Wohnbausteuer war eine vom Bürgertum vehement bekämpfte progressive Umverteilungssteuer, die als Teil einer ganzen Palette Luxussteuern von oben nach unten verteilte. Stellen wir uns heute eine Regierung vor, die ähnliche Umverteilungsmaßnahmen in der nahen Zukunft entwickelt – ob Steuern oder Enteignungsstrategien – und diese stolz auf die neu genutzten Stadthäuser schreibt: Was würde auf dem vergesellschafteten Wohnbau der Zukunft stehen?
Angesichts der wachsenden sozialen Sprengkraft der Wohnungsfrage ist es städtischen sozialen Bewegungen in den letzten Jahren vielerorts gelungen, Einfluss auf die lokale Wohnungspolitik zu gewinnen. Im Kern wird von den Bewegungen ein Bruch mit der neoliberalen Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte gefordert. Sie versuchen, eine soziale Wohnungsversorgung für untere und mittlere Einkommensklassen auch gegen Renditeerwartungen durchzusetzen und Wohnraum Marktmechanismen zu entziehen: Mit Demonstrationen, Besetzungen, alternativen Formen der Wissensproduktion, Verhindern von Zwangsräumungen und mittels Bürger- oder Volksentscheiden in Quartieren und Kommunen.
Insgesamt haben diese Bewegungen in jüngerer Zeit vielerorts an Reichweite gewonnen, da sie die Gebrauchswerte der Stadt gegen immobilienwirtschaftliche Strategien der Inwertsetzung verteidigen. Indem sie an den lokalen Konfliktlinien neoliberaler Stadtentwicklung, wie beispielsweise an Kämpfen gegen Gentrifizierung und Verdrängung ansetzen, nehmen sie die zentralen Widersprüche eines finanzmarktdominierten globalen Kapitalismus ins Visier. Die Neoliberalisierung des Wohnens in Deutschland, also der Ausverkauf öffentlicher Bestände vor dem Hintergrund der Sparpolitik, die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit und fehlende effektive rechtliche Instrumente zur Mietpreisregulierung bieten hierfür beste Voraussetzungen.
In Frankfurt hat sich seit den 1980er Jahren eine „Wachstumsethik“ manifestiert, welche die profitorientierte Vermarktlichung des Stadtraums durch eine investorenfreundliche Planungspolitik gezielt fördert. Die Konstruktion der „urbanen Identität” als Zentrum der internationalen Wirtschafts- und Finanzökonomie bedeutet, dass sich die Stadt in einem globalen Wettbewerb um Unternehmen, Arbeitsplätze und einkommensstarke Haushalte zu behaupten versucht. Daher haben sich einflussreiche Entscheidungsträger/innen in den letzten Jahrzehnten primär auf hochpreisigen Wohnungsneubau fokussiert. Frankfurt gilt bei internationalen Kapitalanlegern als sicherer Anlagestandort. Hiervon zeugen auch 22 kürzlich fertiggestellte oder im Bau befindliche Luxuswohnhochhäuser und andere exklusive Bauprojekte, die von Investoren wie Instone Real Estate gebaut werden. Gleichzeitig ist die Stadt von einer wachsenden Spaltung des Arbeitsmarktes in gut bezahlte, hochqualifizierte Arbeitsplätze und einen großen Niedriglohnsektor geprägt.
Vielfältige Protestlandschaft
Proteste gegen die Wohnungskrise in Frankfurt werden von vielen Gruppen getragen, unter anderem von der Gruppe „Solidarisches Gallus“, „Mieterinitiative Nordend-Bornheim-Ostend“, „Offenes Haus der Kulturen“, „Initiative Zukunft Bockenheim,Mieterverein „Mieter helfen Mieter“ und der Initiative „Eine Stadt für Alle! Wem gehört die ABG?”, die sich 2015 gegründet hat. Im Fokus dieser Initiative steht die Unternehmenspolitik der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding, die rund 20% aller städtischen Mietwohnungen besitzt. Anstatt sich auf ihren eigentlichen Auftrag zu konzentrieren – die langfristige Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums für alle Frankfurter/innen – agiert die ABG gewinnorientiert und erzielt jährlich hohe Überschüsse. 2019 waren es 68,7 Millionen Euro. Mit der Frage „Wem gehört die ABG?“ verbinden wir die Forderung, die städtische Wohnungsbaugesellschaft politisch stärker zu kontrollieren, zu demokratisieren und als wohnungspolitisches Instrument im Interesse unterer und mittlerer Einkommensgruppen zu nutzen. Sie soll deutlich mehr Sozialwohnungen bauen, bestehende Bindungen langfristig sichern, den eigenen Bestand vor weiteren Mietsteigerungen schützen und transparenter und demokratischer aufgestellt werden. Nur so kann es gelingen, Wohnraum vor Spekulation und Profitinteressen zu schützen.
Unser Anliegen ist es, der kapitalistischen Verwertungslogik am Frankfurter Wohnungsmarkt eine solidarische und kämpferische Perspektive für das Recht auf Wohnen für Alle entgegenzusetzen. Dieses Ziel eint uns mit vielen anderen Initiativen im ganzen Land, aber auch auf europäischer Ebene. Gemeinsam kämpfen wir vor Ort gegen eine Instrumentalisierung von Wohn- und Stadtraum zur Gewinnmaximierung, kämpfen gegen Verdrängung und für eine lebenswerte Stadt für alle – ungeachtet von Herkunft, Aufenthaltsstatus und finanziellen Ressourcen. Ausgehend von dem Politikfeld Wohnen setzen wir uns für die Aneignung des städtischen Raums ein, für nichtkommerzielle, kulturelle Freiräume, für soziale Zentren – kurzum für ein gutes, solidarisches Zusammenleben.
Durch den Handlungsdruck, der von den Initiativen aufgebaut wurde, konnte 2016 unter anderem ein fünfjähriger Mietenstopp bei der ABG durchgesetzt werden. Die Bestandsmieten können seitdem um nur noch 1% pro Jahr angehoben werden. 2018 wurde dieser Mietenstopp um weitere fünf Jahre verlängert. Das 2017 gegründete Bündnis „Mietentscheid Frankfurt“, an dem sich über 40 Initiativen sowie die Partei Die Linke beteiligen, versucht derzeit über ein kommunales Bürgerbegehren eine soziale und gemeinwohlorientierte Geschäftspolitik des städtischen Wohnungsunternehmens ABG Frankfurt Holding zu erzwingen. Die ABG soll im Wohnungsneubau zu 100% geförderten Wohnraum für geringe und mittlere Einkommensschichten schaffen. Dies könnte jährlich bis zu 1.000 neue preisgebundene Wohnungen schaffen. Für alle Bestandsmieter/innen, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, sollen die Mieten auf maximal 6,50 Euro/qm abgesenkt werden. Davon könnten ca. 10.000 Haushalte in Frankfurt profitieren. Ferner wird angestrebt, dass durch Fluktuation freiwerdende Wohnungen der ABG nicht wie bisher zu Marktbedingungen neu vergeben werden, sondern anhand der entsprechenden Preis- und Belegungsbindungen des geförderten Wohnungsbaus. Dies könnte zusätzlich nochmal bis zu 2.000 preisgebundene Wohnungen pro Jahr schaffen.
Erfolge auf kommunaler Ebene
Die von 2016 bis 2021 aus CDU, SPD und Grünen bestehende Koalition im Frankfurter Römer hat auf die wachsenden Proteste reagiert und unter anderem die Einführung von Milieuschutzsatzungen in einigen Gebieten sowie die Aufstockung der Fördermittel für den Ankauf von Belegungsrechten beschlossen. Bei Neubauprojekten wird genossenschaftlichen und gemeinwohlorientierten Akteuren mehr Handlungsspielraum gegeben. Doch diese Ansätze, die Krise in Zaum zu halten, bleiben letztendlich Symbolpolitik, da Konflikte zwischen den Dezernaten und Verwaltungsstellen sowie politische Widersprüche innerhalb der Koalition umfassendere Vorhaben blockieren. Und die schwarz-grüne hessische Landesregierung verfolgt eine rein neoliberale Politik, bei der progressivere Gesetzgebungsverfahren ins Leere laufen.
Auch in anderen deutschen Kommunen führten mietenpolitische Proteste beispielsweise zur Einführung von sozialen Bodenordnungen, Erbbaurechtsvergaben, Milieuschutzsatzungen und Konzeptvergabeverfahren oder auch veränderten Geschäftspraktiken bei kommunalen Wohnungsunternehmen. Diese Veränderungen zeigen, dass der neoliberale Konsens in der Wohnungspolitik bei den politischen Eliten bröckelt und kleinere Anpassungen vorgenommen werden. Zugleich setzt sich aber die Privilegierung marktkonformer Wirtschaftsformen oft ungebrochen fort und blockiert bislang grundlegende wohnungspolitische Veränderungen. Lediglich temporäre Krisenmilderungsmaßnahmen und konsensfähige Kompromisse werden umgesetzt, wie das Beispiel Frankfurt zeigt. Ein tiefgreifender Paradigmenwechsel, wie ihn soziale Bewegungen fordern, ist in der kommunalen Wohnungspolitik ausgeblieben.
An Ideen und Strategien für eine der Marktlogik entzogene und umfassend demokratisierte Wohnraumversorgung mangelt es nicht. In der Realität scheitert es an der Umsetzung und der langfristigen, demokratischen Kontrolle erkämpfter Maßnahmen „von unten”. Dabei müssen unseres Erachtens nach auch Kompromisse eingegangen und kleinere Reformschritte angestrebt werden, wenn gleichzeitig die Radikalität und Kraft außerparlamentarischer Kämpfe gestärkt werden kann: Reformorientierte und radikale Strategien als zwei Seiten derselben Medaille. Neben sozialen Bewegungen sind auch tendenziell antineoliberale wohnungswirtschaftliche Praktiker/innen, kritische Wissenschaftler/innen sowie Akteur/innen in Politik und Ämtern relevant, um gemeinsam Ressourcen und Wissensbestände für die Demokratisierung des Wohnens aufzubauen.
„Eine Stadt für alle! – Wem gehört die ABG?“ ist eine stadtpolitische Initiative, die sich 2015 gegründet hat. Zentrales Anliegen ist es, der kapitalistischen Verwertungslogik am Frankfurter Wohnungsmarkt eine solidarische und kämpferische Perspektive für das Recht auf Wohnen für alle entgegenzusetzen.
MieterEcho 418 / Juni 2021