Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 413 / Dezember 2020

Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals

Auch in Schöneberg kommen Profitinteressen im grünen Mäntelchen daher

Von Elisabeth Voß

Der Schöneberger Gasometer, ein Wahrzeichen des Bezirks auf der „Roten Insel“ an der Torgauer Straße, wurde 1995 stillgelegt. Das luftige Gerüst ist von weit her zu sehen – doch mit dem Anblick wird es bald vorbei sein. Die GASAG verkaufte den Gasometer 2007 an den privaten Vorhabenträger Reinhard Müller. Dieser ließ rings um das denkmalgeschützte Metallgerippe Gewerbegebäude errichten und betreibt dort den 5,5 Hektar großen EUREF-Campus, ein selbsternanntes „Reallabor der Energiewende“ . In den ansässigen Unternehmen arbeiten etwa 3.500 Menschen. Nun möchte Müller auch im Inneren des Gasometer Büroräume für weitere 2.000 Arbeitsplätze bauen. Der Campus gehört zu den elf vom Land Berlin geförderten „Zukunftsorten“. 

In seinem 2011 erschienenen Buch „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“ hat der Journalist Mathew Rose dem EUREF und Reinhard Müller ein 32-seitiges Kapitel unter der Überschrift „Das erste Privatenergie-Universitäts-Partyzelt der deutschen Hauptstadt“ gewidmet. EUREF steht für „Europäisches Energie Forum“ und Rose beschreibt, wie es dem „Baulöwen“ und SPD-Mitglied Müller gelang, mit daherfabulierten Geschichten einer vermeintlich geplanten Energie-Universität nicht nur SPD-Politiker wie beispielsweise Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel als Unterstützer zu gewinnen, sondern auch den ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer und den Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Mit ins Boot holte er zeitweilig Immobilienentwickler wie Klaus Groth (Berlin) oder Andrej Ogirenko (Moskau) sowie die ZEIT-Stiftung. Die Universitäts-Pläne zerschlugen sich, stattdessen entwickelte Müller ein Innovationszentrum auf dem Gelände. Es war ihm gelungen, einen Großteil der früheren Brache für eine Million Euro, etwa 25 Euro pro Quadratmeter zu erwerben. Unter dem damaligen Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) wurde die vorläufige Planreife für die ersten Gebäude festgestellt, womit der Grundstückswert sich vervielfachte. Die Ausweisung als Kerngebiet im Bebauungsplan wird die geschaffenen Fakten besiegeln.

Von einem „exklusiven EUREF-Golfcup in Wannsee“ mit anschließendem Barbecue von Spitzenköchen berichtete die Berliner Morgenpost am 1. September 2020. Reinhard Müller hatte „unter anderem Altkanzler Gerhard Schröder, den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und die beiden Ex-Senatoren Peter Strieder (SPD) und Jürgen Klemann (CDU)“ eingeladen. Der frühere Berliner Bausenator Peter Strieder sitzt heute im Aufsichtsrat der EUREF AG.

Der Tagesspiegel mutmaßte im Sommer, auch Tesla könne mit seiner Europa-Filiale in den Gasometer ziehen. Der US-amerikanische Konzern des Paypal-Gründers Elon Musk hat im Juni im brandenburgischen Grünheide – gegen vielfältige Proteste – mit dem Bau einer Fabrik begonnen, in der pro Jahr eine halbe Million Elektroautos produziert werden sollen. Für diese wurden bereits 90 Hektar Wald abgeholzt, weitere 100 Hektar sollen folgen. Der Wasserverband fürchtet Engpässe aufgrund des enormen Wasserverbrauchs der Fabrik.

Am 24. September stellte der Tagesspiegel klar, Tesla wolle zwar nach Berlin kommen, aber nicht ins EUREF. Immerhin zwei Tesla-Manager eröffneten am 10. September gemeinsam mit Reinhard Müller und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf dem EUREF-Gelände ein Schnellladegerät für Elektroautos – allerdings nur für Teslas, nicht für andere Marken, wie die Berliner Morgenpost mitteilte. Begleitet wurde Altmaier von der Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die in einem begeisterten Tweet Tesla als „Pionier der Energiewende“ lobte.

Große Sprüche oder politische Verantwortung?

Seine Neubauten lässt Müller mit dem US-amerikanischen LEED-Ökosiegel auszeichnen (MieterEcho 381/Juni 2016). Der Bauzaun an der Torgauer Straße ist großflächig mit Parolen der neuen Stadtmarketing-Kampagne #wirsindeinberlin gepflastert. Für die Senatsverwaltung für Wirtschaft ist das EUREF ein „Referenzort für die SmartCity-Strategie des Landes“ (MieterEcho 398/Oktober 2018). Dort würde „tagtäglich der Beweis erbracht, dass die Energiewende machbar und finanzierbar ist“. Der Campus erfülle „bereits seit 2014 die CO2-Klimaziele der Bundesregierung für das Jahr 2050“. Aber wie kann das EUREF-Gelände ein Beispiel für zukünftig klimagerechtes städtisches Leben sein? Es ist kein Wohnort, keine Nachbarschaft, sondern ein Technologiezentrum mit überwiegender Büronutzung. Spricht nicht der ausgeprägte Fokus auf Digitaltechnologien eher für unüberschaubare Folgekosten hinsichtlich Ressourcen- und Energieverbrauch?

Aus der Nachbarschaft gibt es Proteste, und angesichts der drohenden Baumaßnahmen hat sich eine Initiative von Anwohner/innen zusammen gefunden. Schon nach der Privatisierung des Gasometers hatte sich eine Bürgerinitiative gegründet, die das Vorhaben kritisierte (MieterEcho 330/Oktober 2008). Die neue BI „Gasometer retten“ hat einen Offenen Brief mit etwa 60 Unterschriften an Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) und Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne), an die Denkmalbehörden auf Landes- und Bezirksebene geschrieben. Sie bitten dringend darum, keinen Änderungen an dem bisher vorliegenden Bebauungsplanentwurf zuzustimmen. Dieser sieht vor, dass der Gasometer so ausgebaut werden darf, dass die obersten drei Ringe, und damit die beiden oberen Felder frei bleiben.

Gegen die wirtschaftliche Verwertung eines Denkmals

Anlass des Briefes ist ein Beschluss des Bezirksamts vom 8. September 2020, eine Innenbebauung bis zum vorletzten Ring zuzulassen, auf die eine flache Kuppel als Staffelgeschoss aufgesetzt werden soll, die bis ins oberste Feld hineinragt. Die Anwohner/innen kritisieren, dass dadurch die herausragende stadtbildprägende Wirkung des Gasometers massiv beeinträchtigt würde. Das Landesdenkmalamt hatte 2010 schon der niedrigeren Bebauung nur „unter Zurückstellung erheblicher denkmalpflegerischer Bedenken zugestimmt“. Der Landesdenkmalrat, ein vom Senat berufenes Beratungsgremium, hat die neuen Überlegungen zur Bebauung im März 2020 „mit Befremden zur Kenntnis“ genommen und befürchtet, „dass das filigrane Gerüst des Gasometers bei der projektierten Bebauung nicht mehr angemessen wahrzunehmen sein wird“.

Manche Anwohner/innen fürchten gar um den Bestand des Gasometergerüsts insgesamt, das seit Jahren an mehreren Stellen rostet. Sie fordern die Angeschriebenen auf, „sicherzustellen, dass Herr Müller vor einem Ausbau des Gasometers erst alle denkmalpflegerischen Verpflichtungen erfüllt“. Ihm müsse klar gemacht werden, dass der Denkmalschutz „ein höherwertiges Rechtsgut darstellt, als das Investoreninteresse an einer möglichst renditestarken wirtschaftlichen Verwertung des ehemaligen GASAG-Geländes.“ Den Brief an das Landesdenkmalamt hat auch Stadträtin Christiane Heiß (Grüne) unterzeichnet, die schon die erste Bürgerinitiative mitgegründet hatte.

Ein langjähriger Konfliktpunkt zwischen Bezirk und Müller war dessen vertragliche Zusicherung, eine Straße zur Erschließung des Geländes zu bauen. Bisher gibt es nur eine Zufahrt über die Torgauer Straße. Baustadtrat Jörn Oltmann vertrat bislang den Standpunkt, keine weiteren Gebäude auf dem Gelände zu genehmigen, solange der Vorhabenträger seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Doch dann schwenkte er um. Im Juni wurden dem Stadtentwicklungsausschuss die Ergebnisse einer verkehrstechnischen Untersuchung präsentiert, wonach selbst bei weiteren 2.000 Arbeitsplätzen die Zufahrt über die Torgauer Straße ausreichend sei. Reinhard Müller stellte seine Ausbaupläne für den Gasometer vor. Anstelle des millionenschweren Straßenbaus soll er nun lediglich den Umbau der Torgauer Straße zur Fahrradstraße, wenn möglich verbunden mit einer Brücke vom S-Bahnhof, sowie Verbesserungen am Cheruskerpark finanzieren.

In den letzten Jahren konnte der Eindruck entstehen, der Bezirk würde die Verantwortung für die Genehmigung von Maßnahmen auf dem EUREF-Campus der Senatsverwaltung überlassen. Zuständig ist jedoch nach wie vor der Bezirk und der nächste Schritt im Bebauungsplanverfahren ist die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange. Es bleibt abzuwarten, ob die Einwendungen – wie leider oft geschehen – auch hier wieder im Investoreninteresse ab- und weggewogen werden, oder ob im beginnenden Wahlkampf den Anliegen aus der Bevölkerung mehr Gewicht beigemessen wird.

 

Elisabeth Voß arbeitet als parteilose Bürgerdeputierte / sachkundige Bürgerin im Stadtentwicklungsausschuss Tempelhof-Schöneberg mit der Partei Die Linke zusammen.


MieterEcho 413 / Dezember 2020

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