EU-Parlament wird ignoriert
Europäische Kommission will Wohnungsmärkte anheizen
Von Hermann Werle
Ende Januar stimmte eine Mehrheit des EU-Parlaments einer Entschließung zu, die vorsieht, dass nicht nur der soziale Wohnungsbau, sondern der gesamte Wohnungssektor in die „Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse“ aufgenommen wird. Ein durchaus positives Signal, doch seine Umsetzung bedürfte der Zustimmung der Kommission.
In der Parlamentsdebatte vom 21. Januar erklärte die Berichterstatterin des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, Kim van Sparrentak, dass die europäischen Vorschriften oft besser geeignet seien, „die auf dem Wohnungsmarkt erzielten Gewinne zu schützen als die Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen.“ Diesen deutlichen Worten fügte die niederländische Parlamentarierin der Grünen-Fraktion hinzu, dass der vorgelegte Bericht konkrete Lösungen biete und die europäische Wohnungskrise lösbar sei. Dafür sieht der Bericht u.a. vor – und dies ist ein entscheidender Punkt – dass der gesamte Wohnungssektor in den Bereich der „Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse“ aufgenommen wird. Damit könnte die staatliche Finanzierung eines sozialen Wohnungsbestandes über den Kreis von „sozial schwachen und benachteiligten Gruppen“ hinaus ausgeweitet werden. Diese Einschränkung sieht das bisherige Wettbewerbsrecht der EU vor und zielt damit auf „eine Verknappung des institutionellen sozialen Wohnungsangebots“, wie Michaela Kauer 2015 im MieterEcho darlegte.
Neoliberale Exekutive
Trotz der weitreichenden sozialen Dimension, die Beschlüsse des Parlaments haben können, wird die EU in der Öffentlichkeit vor allem wahrgenommen, wenn die Regierungsspitzen der Mitgliedsstaaten zusammenfinden oder wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor die Kamera tritt. Womit verdeutlicht wäre, welche Institutionen innerhalb der EU das Sagen haben. Zwar stellt das Parlament als einziges durch Wahlen legitimiertes Gremium den demokratischen Kern der EU dar, fristet in der öffentlichen Wahrnehmung indes ein Schattendasein. Verwunderlich ist das nicht, denn dieses Parlament wird erst seit 1979 gewählt, über zwanzig Jahre nach den Römischen Verträgen, die als Geburtsstunde der heutigen EU gelten. Es war die Exekutive, von der aus der europäische Staatenbund Anfang der 50er Jahre seinen Anfang nahm und es ist die Exekutive, die zunächst als „Hohe Behörde“, dann als Kommission firmierend, der EU-Politik ihren Stempel aufdrückt. Und dieser Stempel ist dem Wettbewerb verpflichtet, der von den Finanzmärkten getriebenen Politik.
Um die schlimmsten Folgen der Wohnungsmisere abzumildern, erleben wir auf nationaler Ebene „die große Flickschusterei“, die Heiner Flassbeck in diesem Heft beschreibt, während auf dem EU-Parkett Projekte wie die Kapitalmarktunion vorangetrieben wird und die Wohnungsmärkte weiter angeheizt werden (siehe Artikel von De Masi und Schuster). In der Konsequenz bedeutet das für die Wohnungspolitik, dass Subjektbeihilfen wie das Wohngeld mit EU-Recht im Einklang stehen, wogegen staatlicher oder kommunaler Wohnungsbau als Diskriminierung gegenüber der privaten Wohnungswirtschaft ausgelegt und beschränkt wird.
Parlamentarische Symbolpolitik
Die am 21. Januar dem Parlament vorgelegte Entschließung wurde mit einer deutlichen Mehrheit von 352 Stimmen bei 179 Gegenstimmen und 152 Enthaltungen angenommen, was jedoch keine zwangsläufigen rechtlichen Konsequenzen mit sich bringt. Denn nach Artikel 225 des Lissabonner Vertrags muss sich die Kommission mit Vorschlägen des Parlaments lediglich beschäftigen. Legt die Kommission nun keinen entsprechenden Gesetzesvorschlag vor, „so teilt sie dem Europäischen Parlament die Gründe dafür mit“, heißt es ganz lapidar in jenem Artikel 225. Wie beim europäischen Bürgerentscheid wird mit Entschließungen des Parlaments Demokratie simuliert, da sie keinerlei rechtliche Bindung entfalten. So funktioniert die Europäische Union: die Kommission schafft Fakten, das Parlament betreibt Symbolpolitik.
MieterEcho 415 / März 2021