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MieterEcho 412 / Oktober 2020

Ein Blick in die Bilanzen

Die Wohnungsbaugesellschaften in der Ära Wowereit und Müller

Von Marcel Schneider

Als Klaus Wowereit Mitte 2001 mit den Stimmen der SPD, der PDS und der Grünen zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt wurde, übernahm er eine bereits arg geschrumpfte städtische Wohnungswirtschaft. Von den insgesamt 482.000 kommunalen Wohnungen des Jahres 1990, davon 236.000 im Westen und 246.000 im Osten der Stadt, waren nur noch 357.000 im Eigenbestand übrig, davon 65.700 von der im Jahr 2004 dann veräußerten GSW.


Die massive Schrumpfung hatte mehrere Ursachen: Im Ostteil wurden Wohnungen an Alteigentümer/innen rückübertragen und sogar wegen Leerstands abgerissen. Die Wohnungsbaugesellschaft Gehag wurde an private Investoren, die Apartmentgesellschaft Arwobau an die Berliner Bankgesellschaft verkauft (die Bestände der Arwobau finden sich heute teilweise bei der städtischen Berlinovo). Zudem wurden im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes (ASHG) umfangreiche Bestände verkauft.

Das ASHG ist ein weiteres düsteres Detail des Einigungsvertrags, der den Kommunen die Schulden der VEB Kommunale Wohnungsbauverwaltung (KWV) übertrug, obwohl die Verbindlichkeiten bei der Staatsbank der DDR im planwirtschaftlichen System reine Buchungseinheiten waren. In Berlin wurden die Schulden der KWV an die im Osten neu gegründeten Wohnungsbaugesellschaften weitergereicht. Um trotz der Schuldenlast die nötigen Modernisierungen vornehmen zu können, ermöglichte das ASHG eine Teilentschuldung gegen die Auflage der Privatisierung von 15% des Bestands. Nach Möglichkeit sollte an die Mieter/innen verkauft werden. Diese von Bonn ausgeheckte Privatisierungsagenda überzeugte den damaligen Diepgen-Senat so sehr, dass diese Privatisierungsvorgabe auch für den Wohnungsbestand im Westteil übernommen wurde. Das Soll der vorgeblichen „Mieterprivatisierung“ betrug in beiden Stadthälften knapp 66.000 Wohnungen. Bis Ende 2000 wurden im Westteil auf Basis des 1994er-Senatsbeschlusses 10.642 Wohnungen verkauft; an Mieter/innen aber nur 21,6%. Im Ostteil wurden auf Basis des ASHG 35.792 Wohnungen verkauft, davon nur 20% an Mieter/innen.

Gewinnabführungen und Mieterhöhungen

Zwei weitere Maßnahmen der 1990er Jahre wirken bis heute nach. Zum einen begann der Senat, Gewinnabführungen von den Wohnungsbaugesellschaften mit Verweis auf die prekäre Haushaltslage einzufordern. Bis zur Abschaffung des Wohngemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) war nur eine geringe Abführung in Höhe von 4% der eingezahlten Kapitaleinlage (Grundkapital) möglich. Diese Sonderdividenden summierten sich auf 478 Millionen. Euro. Zudem wurde die Anzahl der Gesellschaften durch sogenannte In-sich-Geschäfte reduziert, bei denen eine Wohnungsbaugesellschaft eine andere kaufte. Der Erlös floss direkt in den Landeshaushalt. Aus den ursprünglich 17 (ohne die an Dritte verkauften Gehag und GSW) entstanden so die heutigen sechs Wohnungsbaugesellschaften. Durch diese Verkäufe erlöste das Land 622 Millionen Euro. Zusammen wurden den Gesellschaften so 1,1 Milliarden Euro Eigenkapital entzogen. Der Sozialwissenschaftler Andrej Holm schätzte Mitte der Nullerjahre den hieraus resultierenden Privatisierungsdruck zur Refinanzierung auf 35.000 Wohnungen.

Im Jahr 2001 starteten die sechs Gesellschaften mit 291.000 Wohnungen und bilanziellen Verbindlichkeiten von 9,4 Milliarden Euro. Bis 2009 reduzierte sich der Eigenbestand auf 258.000 Wohnungen und die Verbindlichkeiten fielen auf 7,2 Milliarden Euro. Pro Wohnung reduzierten sich die Verbindlichkeiten von 32.400 Euro auf 27.800 Euro. Im gesamten Zeitraum wurden – bei wieder langsam steigender Bevölkerung – nur knapp 38.000 Wohnungen fertiggestellt, davon 2.337 geförderte Wohnungen, die fast komplett auf das Jahr 2001 entfallen. Auch die rückläufigen Leerstandsquoten waren für die Entschuldung verantwortlich. So lag die Quote beispielsweise bei der Howoge 2009 nur noch bei 2%. 2001 waren es noch 8,4%.
Der wesentliche Treiber der Entschuldung liegt jedoch in den Mieterhöhungen im Bestand. Die Mieten für alle Wohnungen legten durchschnittlich zwischen 21% (Howoge) und 35% (Gewobag) zu. Damit stiegen die Bestandsmieten deutlich stärker als die Löhne und Gehälter der Mieter/innen. Die Bruttolöhne pro Arbeitnehmer/in stiegen um 9% und das mittlere Haushaltsnettoeinkommen nach dem Mikrozensus um nur 5%. Die schlechte Gehaltsentwicklung in diesen Jahren ist auch auf die vom SPD-PDS-Senat durchgesetzten Gehalts- und Besoldungskürzungen der Landesbeschäftigten zwischen 8% und 12% zurückzuführen. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Einführung der Grundsicherung (Hartz IV) schlägt sich im Haushaltsnettoeinkommen nieder.

Zwischen 2009 und 2018 stiegen die Bestände der sechs Wohnungsbaugesellschaften erneut an; von 258.000 auf 308.000 Wohnungen. Parallel zur Bestandserhöhung durch Ankauf erhöhten sich die Verbindlichkeiten von 7,2 Milliarden auf 11 Milliarden Euro, davon 10 Milliarden Euro Kreditverbindlichkeiten. Die Ankaufpolitik spiegelt sich auch in einer leicht gestiegenen Verschuldung pro Wohnung, die nunmehr bei 35.600 Euro liegt. Die gestiegene absolute Verschuldung ist jedoch kein Indiz für eine Überschuldung. Dies zeigen die Eigenkapitalquoten, die bereits von 2001 bis 2009 anstiegen. Dieser Trend hält trotz der kreditfinanzierten Ankaufpolitik an, da die zugekauften Wohnungen zu Anschaffungskosten bilanziert werden. Im gewichteten Durchschnitt liegt die Eigenkapitalquote aller Gesellschaften im Jahr 2018 mit knapp 30% über der Quote von 2009 mit 24%. Die Spannbreite ist jedoch gewaltig. Bei der Gewobag sind es 4% und bei der Howoge 49%. Die Gewobag kann als Sonderfall betrachtet werden. Es ist anzunehmen, dass der hohe abgeschriebene Altbaubestand die Quote drückt. Nur Neubauten, Ankäufe und vorgenommene Modernisierungen werden im bilanziellen Sachanlagevermögen berücksichtigt. So war das Eigenkapital der Gewobag zwischen 2010 und 2015 negativ. Im Beteiligungsbericht 2010 des Landes heißt es hierzu: „Die bei bilanzieller Überschuldung gebotene Bewertung der Aktiva hat ergeben, dass die GEWOBAG im Anlagevermögen über ausreichend stille Aktiva verfügt.“

Private Rechtsform als Hemmschuh

Wenig überraschend hielt die Dynamik bei den Mieterhöhungen unverändert an. Im Jahr 2018 liegen die Bestandsmieten der Gesellschaften zwischen 148% (Howoge) und 170% (Degewo) des Niveaus von 2001. Die Bruttogehälter (140%) und die mittleren Haushaltsnettoeinkommen (142%) wurden so weit abgehängt. Die Mieter/innen finanzieren demnach beispielsweise die Ankaufpolitik von ehemaligen GSW-Wohnungen, die der Senat 2004 zum Spottpreis an Heuschrecken-Investoren verscherbelte.

Bei einem Kreditvolumen von 10 Milliarden Euro stellt sich jedoch die Frage, ob die Kreditaufnahme durch Gesellschaften in privater Rechtsform wirtschaftlich ist. So beträgt der Zinsunterschied zwischen zehnjährigen deutschen Staatsanleihen und Anleihen der Bahn AG ca. 0,85%. Allerdings können sich die kleineren Wohnungsbaugesellschaften nicht über Anleihen verschulden, sondern nur bei Geschäfts- oder Förderbanken. Der Zinsunterschied zu Berliner Landesanleihen dürfte daher ca. bei 1,5% liegen. Dies sind 150 Millionen Euro unnötige Zinskosten pro Jahr. Eine Alternative zur Kreditaufnahme der Gesellschaften wären Eigenkapitalzuführungen aus dem Landeshaushalt, die bei der Landesschuldenbremse unberücksichtigt bleiben. Das Mietenvolksbegehren hatte Eigenkapitalzuführungen bereits 2015 in seinem Gesetzentwurf gefordert. Pro Wohnung sollten 1.800 Euro Kapital zugeführt werden, um den Wohnungsbestand durch Ankauf oder Neubau zu erhöhen. Sofern nicht der laufende Geschäftsbetrieb subventioniert wird, wäre eine solche Kapitalzuführung vermutlich auch konform mit dem Beihilferecht der EU. Eine weitere Forderung des Mietenvolksbegehrens bestand in der Umwandlung der Gesellschaften, die bisher als GmbH oder AG verfasst sind, in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR). Die Initiative versprach sich so eine bessere Durchsetzung des Rechts auf angemessenen Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen (Artikel 28 Landesverfassung) durch eine öffentlich-rechtliche Unternehmensverfassung. Den Hauptvorteil einer AöR nannten sie aber nicht. Dieser besteht darin, dass das Land in Form der Gewährträgerhaftung für die Anstalt einsteht und diese sich so deutlich günstiger refinanzieren kann.


MieterEcho 412 / Oktober 2020