Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 412 / Oktober 2020

Die skandinavische Investitionsoffensive

Die umstrittene Skjerven Group kauft Wohnungen in Berlin − trotz Mietendeckel

Von Joachim Maiworm

Die Ankündigung im Sommer 2019, in Berlin einen Mietendeckel einzuführen, rührte die Immobilienlobby fast zu Tränen. Es hieІ, Investoren würden sich aus der Hauptstadt zurückziehen, das Gesetz verstärke die Wohnungsknappheit, führe zu einem Modernisierungsstau und gefährde Arbeitsplätze in der Baubranche. Einar Skjerven, Gründer und Geschäftsführer der in Berlin ansässigen Skjerven Group GmbH und unverdächtig, gemeinwohlorientierte Ansichten zu hegen, kann den seit 23. Februar 2020 geltenden Regelungen dagegen eine positive Seite abgewinnen.

Zumindest für die Geschäftspolitik seines Unternehmens. Denn seine Devise lautet: „Kaufen in Krisenzeiten!“. Bei einer Online-Pressekonferenz Mitte Juni 2020 betonte er, dass er eine langfristige Investitionsstrategie verfolge. Mit Blick auf die allgemein wahrnehmbare „Unsicherheit“ potenzieller Investoren in Zeiten des Mietendeckels würden kurzfristige Investments nicht mehr funktionieren. Er erwarte für die nächsten zwei bis drei Jahre – bis rechtlich geklärt sei, ob der Mietendeckel verfassungskonform ist oder nicht – eine Reduzierung der Preise für Immobilien von 15 bis 20%. Dieses Zeitfenster wolle er für verstärkte Einkäufe nutzen. Nachdem die Skjerven Group im Jahr 2019 rund 150 Millionen Euro für 25 Objekte in Berlin investiert habe, sei im laufenden Jahr der Ankauf von mindestens doppelt so vielen Wohnungen geplant.

Der Norweger Skjerven setzt damit auf „opportunistische“ Investments in „Core“-Lagen. Der Branchenjargon bezieht sich auf die in der Immobilienwirtschaft gängigen unterschiedlichen Risikoklassen, die jeweils ein bestimmtes Verhältnis von Rendite und Risiko kennzeichnen. Mit steigendem Risiko gehen auch höhere mögliche Renditen einher. Opportunistisch ist danach eine Investition mit höherem Risiko und großen Renditechancen – oder schlicht eine „günstige Gelegenheit“. Skjerven erwartet auf seine Investitionen in ausgewählten Bezirken („Core-Locations“) wie dem Prenzlauer Berg und Friedrichshain, aber auch in den noch als Geheimtipps gehandelten Ortsteilen Moabit und Wedding dauerhaft hohe Renditen, wenn in zwei, drei Jahren – so seine Hoffnung – der Mietendeckel als verfassungswidrig gilt und passé ist.

Befürchtete Verdrängung

Bereits im Sommer 2018 kündigte die Skjerven Group den Auftakt einer langfristigen Investitionsoffensive an, nachdem sie in Spandau für die schwedische Wohnungsgesellschaft Heimstaden Bostad AB zehn Wohnobjekte mit 484 Wohnungen für insgesamt 66 Millionen Euro erworben hatte. Seitdem hat Skjerven in Berlin mehr als 265 Millionen Euro in rund 1.500 Wohnungen investiert. Dazu gehört auch das Haus in der Waldenserstraße 9 im Bezirk Mitte, das als Teil eines größeren Portfolios für 2.700 Euro/qm gekauft wurde. Auf Druck einer Mieterinitiative nahm das Bezirksamt Anfang Juli das Vorkaufsrecht gegenüber dem Investor zugunsten der landeseigenen Degewo AG wahr. Skjerven hatte es abgelehnt, die vom Bezirksamt vorgelegte Abwendungsvereinbarung zu akzeptieren. Auf die Beteuerungen des Käufers, die Mietwohnungen im Falle, dass der Bezirk auf sein Vorkaufsrecht verzichten würde, zu erhalten und lediglich Instandsetzungsarbeiten durchzuführen, gaben die in der Initiative „Waldenser 9“ organisierten Mieter/innen nichts. Denn wer so viel Geld pro qm Wohnfläche bezahle, wie es in dem Blog moabitonline heißt, habe etwas mit den Häusern vor, „was Rendite bringt: Umwandlung in Eigentumswohnungen, Modernisierung, Dachausbau oder ähnliches“. Die Skjerven Group sei bereits für Verdrängungsstrategien bekannt. Die koordinierte Arbeit der verschiedenen Mieter/inneninitiativen machte sich auch zuletzt für die Bewohner/innen in der Luxemburger Straße 31 im Wedding bezahlt. Am 18. August wurde bekannt, dass der Bezirk erneut das Vorkaufsrecht gegen die Skjerven Group ausüben konnte – dieses Mal gemeinsam mit der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM). 31 Wohnungen und elf Gewerbeeinheiten sind betroffen.

Die Angst vor einem Austausch der Bewohner/innen zugunsten zahlungskräftigerer Eigentümer/innen oder Neumieter/innen war wohlbegründet. In Charlottenburg etwa hatte der Investor zuvor Mietwohnungen aus einem Wohnblock aus den 1970er Jahren in 280 luxuriöse „Micro-Apartments“ umgebaut – eine großzügige Lobby mit Concierge, eine hotelartige Lounge, ein privater Fitnessclub und Büros für Start-up-Unternehmen inklusive. Laut Bericht der Immobilien Zeitung vom 20. Dezember 2018 sollten die zum Verkauf stehenden knapp 30 qm großen Kleinwohnungen unter dem Namen „Beautique Apartments“ im Schnitt 8.500 Euro/qm kosten. Fertig möblierte Wohnungen seien inklusive Conciergeservice für 25 Euro/qm zur Miete angeboten worden. Die Apartments sollten nach Auskunft von Skjerven von Kapitalanlegern gekauft und von „digitalen Nomaden“ oder Beschäftigten von Firmen und Institutionen, die zeitweise in Berlin arbeiten und hohe Mieten stemmen können, angemietet werden.

Vom Ankauf bis zum Exit

Einar Skjerven lockt bereits seit 2006 internationale Investoren vor allem in die Hauptstadt, um dort im großen Stil Wohnungen zu kaufen. Damals agierte er noch als Chef der Industrifinans Holding GmbH, die seit 2012 unter dem Namen Skjerven Group aktiv ist. Der Finanzdienstleister verspricht seinen Kunden auf der eigenen Webseite eine renditemaximierende Rundumversorgung: „Als Investmentboutique begleiten wir unsere Investoren vom Ankauf in geeignete Immobilien bis zum erfolgreichen Exit“. Das Unternehmen kauft und verkauft Immobilien, verwaltet Vermögen sowie Fonds und berät sowohl internationale institutionelle Investoren als auch vermögende Privatpersonen. Drei Tochtergesellschaften bilden dabei die gesamte Wertschöpfungskette des Immobiliengeschäfts ab.

Die Skjerven Invest GmbH analysiert potenzielle Immobilien und kümmert sich um die Finanzierung. Die Skjerven Asset Management GmbH verwaltet und betreut die Wohnimmobilien in Berlin –allerdings nur zum Vorteil der Investoren. „Um eine optimale Rendite für Ihre Assets zu erzielen, steuern wir Ihr Anlageportfolio aktiv“, heißt es dazu auf einer Webseite der Gruppe. „Aktives Management“ aber bedeutet, dass die Spielräume für Mietsteigerungen konsequent genutzt werden. Die ebenfalls durch Einar Skjerven vertretene A-State Immobilien GmbH verkauft als „Vertriebsplattform“ Eigentumswohnungen an private Kapitalanleger oder selbst nutzende Personen. Für den Wertzuwachs dieser „Assetklasse“ spricht laut Skjerven nach wie vor das sehr hohe „Nachholpotenzial“ des Berliner Immobilienmarkts gegenüber anderen europäischen Hauptstädten und die in Berlin besonders ausgeprägte Wohnungsknappheit.

Die Skjerven Group versteht sich als lokaler Partner des Unternehmens Heimstaden, für die seit etwa zwei Jahren Wohnungsbestände hauptsächlich in Berlin angekauft und auch verwaltet werden. Heimstaden bezeichnet sich selbst als die größte privat geführte Wohnungsgesellschaft Skandinaviens und freut sich über steigende Immobilienpreise als „Basis für rentable Investments“ in der deutschen Metropole. Nicht verwunderlich, dass Heimstaden in Berlin und „an anderen deutschen Wachstumsstandorten“ expandieren will. Die enge Verflechtung zwischen Skjerven und Heimstaden zeigt sich unter anderem darin, dass nach Informationen des Recherchedienstes North Data die Heimstaden GmbH vormals als Skjerven Property Management GmbH firmierte. Bis 4. August fungierte Einar Skjerven als Geschäftsführer bei der Heimstaden GmbH. Der neue Geschäftsführer Helge Krogsböl arbeitet auch im Management der schwedischen Heimstaden Bostad. Der deutsche Ableger des Unternehmens wie die Skjerven Group und ihre Tochterunternehmen weisen zudem die gleiche Adresse an der Kurfürstenstraße auf.

Dass mit einer mieterfreundlichen Geschäftspolitik des Unternehmens nicht zu rechnen ist, illustriert auch eine Äußerung Skjervens vor sechs Jahren gegenüber dem Handelsblatt. Auf die Frage, ob er als eine mögliche Folge auf die Verdrängung „sozial schwacher“ Mieter/innen keine Angst vor gewalttätigen Übergriffen habe, offenbarte er sein rein marktorientiertes Verständnis der Wohnungsfrage: „Jeder sollte sich an das Gesetz halten. Meine Meinung: Wenn ich meine Leasingraten fürs Auto nicht bezahle, dann hab ich kein Auto. Warum soll ich dann ein Recht auf eine Wohnung haben, wenn ich sie nicht bezahle?“


MieterEcho 412 / Oktober 2020

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