„Die Absurdität kennt kaum Grenzen“
Interview mit Christoph Trautvetter
Die Umsetzung des EU-Transparenzregisters für Immobilienbesitz in Deutschland weist erhebliche Lücken auf.
MieterEcho: Seit Jahren beschäftigen Sie sich mit den Eigentumsverhältnissen auf dem Berliner Immobilienmarkt und unterstützen auch Mieter/innen bei der Recherche nach den tatsächlich wirtschaftlich Berechtigten an der Verwertung ihrer Wohnungen. Doch in vielen Fällen scheint es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, die tatsächlichen Eigentümer zu ermitteln. Woran liegt das?
Christoph Trautvetter: Das liegt zum einen an der mangelnden Umsetzung des auf EU-Recht basierenden Transparenzregisters in Deutschland. In 83 der von uns untersuchten 433 Fälle war der tatsächliche Besitzer schlicht nicht in das Register eingetragen, obwohl es vorgeschrieben wäre. Deutschland hat sich mit dem Argument der „Bürokratievermeidung“ dafür entschieden, dass Eigentümer, die bereits im Handelsregister eingetragen sind, sich nicht zusätzlich ins Transparenzregister eintragen müssen. Ob das tatsächlich funktioniert, wird von den Behörden nicht systematisch abgeglichen. Zum anderen gibt es trotz des Registers auch eine strukturelle Anonymität. Das betrifft vor allem Investmentfonds, Vermögensverwaltungen oder börsennotierte Immobiliengesellschaften. Die Besitzer der dort angelegten Vermögen werden im Transparenzregister nicht erfasst.
Warum ist das Interesse vieler Immobilienbesitzer an der Verschleierung von Besitzverhältnissen so groß?
Da gibt es ganz verschiedene Beweggründe. In unserer Studie haben wir beispielsweise den Fall des bekannten Immobilienmaklers Nikolas Ziegert, der unter anderem über seine Gesellschaft Lebensgut in Kreuzberg zahlreiche Häuser gekauft und in Eigentumswohnungen aufgeteilt hat. Er hat die Anonymität, die er sich durch einen falschen Eintrag im Transparenzregister verschafft hat, damit gerechtfertigt, dass er bei Offenlegung der Hintergründe aufgrund der bekannten Finanzkraft seiner Gruppe höhere Preise bei Ankäufen zahlen müsste. Ausländische Investoren machen mitunter drohende politische Verfolgung in ihren Heimatländern als Motiv für die Verschleierung geltend, deutsche Familienunternehmen gar die Angst vor Entführungen. Andere gaben an, sich vor Forderungen von Ehepartner/innen im Falle einer Scheidung schützen zu wollen. Die Absurdität der Entschuldigungen kennt kaum Grenzen. Im Kern dürfte es vor allem darum gehen, die extrem ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland zu verschleiern und Geschäfte, die das Licht der Öffentlichkeit oft mit gutem Grund scheuen, weiter ungestört und anonym betreiben zu können.
In Deutschland gibt es offensichtlich große Defizite bei der Umsetzung der Transparenzrichtlinie. Wie ist denn die Situation in anderen EU-Ländern?
Das im Rahmen des Kampfes gegen Geldwäsche verschärfte Transparenzregister ist in allen EU-Ländern seit dem 1. Januar 2020 verpflichtend. Es gibt einige Staaten, die das bisher noch gar nicht umgesetzt haben. Dazu gehören unter anderem Zypern und die Niederlande. Ein positives Beispiel ist dagegen Dänemark. Dort sind die Einträge nahezu lückenlos. Und bei Abfragen werden diese Daten auch unmittelbar mit dem Handelsregister verknüpft. Alles ist mit einem Klick kostenlos abrufbar, und nicht erst wie bei uns nach Bezahlung. Zudem arbeitet Dänemark intensiv an der Verifizierung der Einträge, etwa durch Abgleiche mit Steuer- und Adressdatenbanken, um Verschleierungen auf die Spur zu kommen. Und selbst Luxemburg, das ja eher den Ruf einer Oase für Steuerflüchtlinge und Investoren aller Art hat, ist wesentlich transparenter als Deutschland.
Im Zuge der Mietendeckel-Debatte war viel von der Einführung eines Wohnungs- und Mietenkatasters für Berlin die Rede, welches auch Angaben über den jeweiligen Eigentümer enthalten soll. Wie weit sind diese Pläne denn gediehen? Und inwieweit könnte ein solches Kataster helfen, die tatsächlichen Eigentümer zu identifizieren?
In Berlin wird hinter den Kulissen tatsächlich intensiv an der Einführung eines solchen Katasters gearbeitet, um für die Zeit nach dem auf fünf Jahre befristeten Mietendeckel eine Grundlage für die dauerhafte Regulierung des Wohnungsmarktes zu haben. Eine Idee ist es, die bestehenden Daten aus Grundbüchern, Handels- und Transparenzregister zusammenzuführen. Doch komplexere Eigentümerstrukturen, wie etwa Investmentfonds, wären damit immer noch nicht in Bezug auf die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse erfasst, da bislang nur persönlich zuordenbare Beteiligungen ab 25% erfasst werden. Es gibt aber weitergehende Überlegungen, auf landesrechtlicher Basis auch verschachtelte Eigentumsformen besser zu erfassen.
Die einfachste Methode für Mieter/innen, etwas über die tatsächlichen Besitzer ihrer Wohnung zu erfahren, wäre normalerweise der Grundbucheintrag, den sie einsehen dürfen. Aber auch da fehlt es oftmals an entsprechenden Informationen. Was müsste da geschehen?
Man könnte es sogar noch niederschwelliger machen. Beispielsweise könnte es verpflichtend werden, dass in allen Mietverträgen oder Ankündigungen, die das bestehende Mietverhältnis betreffen, der oder die tatsächlichen Eigentümer angegeben werden. Aber natürlich müsste sich auch bei den Grundbüchern etwas ändern, weil dort oftmals nur die juristischen Personen als Eigentümer verzeichnet sind, etwa AGs, GmbHs, Stiftungen oder Ähnliches. Sich dann Informationen über das Handels- und Transparenzregister zu beschaffen, ist für die meisten Mieter/innen ein unzumutbarer Aufwand, der zudem in vielen Fällen noch nicht mal zum Erfolg führen würde. Um den zusätzlichen Bürokratieaufwand zu minimieren, könnte im Grundbuch zumindest ein Verweis auf den finalen Berechtigten, zum Beispiel in Form einer ID oder Registriernummer aus dem Transparenzregister, hinterlegt werden.
Gäbe es nicht auch die Möglichkeit, für Mieter/innen einen individuellen Rechtsanspruch zu schaffen, die natürlichen Personen, denen die Immobilie gehört, genannt zu bekommen?
Das ist eine schwierige Frage. Mieter/innen haben ja schon jetzt einen Anspruch darauf den unmittelbaren Vermieter zu erfragen. Das könnte man noch um einen verpflichtend zu benennenden Ansprechpartner erweitern. Aber ein Anspruch auf Durchgriff durch die gesamte Eigentümerstruktur ist meines Wissens bisher in unserer Rechtsordnung – mit Ausnahmen beim Steuerrecht – noch nirgends vorgesehen. Auch die Grundlage für das Transparenzregister war ja nur die Bekämpfung der Geldwäsche und nicht die Offenlegung aller Besitz- und Vermögensverhältnisse. Dafür wäre also eine recht weitgehende Änderung nötig.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Rainer Balcerowiak.
Christoph Trautvetter leitet für die Rosa-
Luxemburg-Stiftung das mehrteilige Studienprojekt „Wem gehört die Stadt?“. Am 12. Mai 2020 erschien die Studie „Keine Transparenz trotz Transparenzregister“. Sie kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden (www.rosalux.de/publikation/id/42141).
Die zentralen Studienergebnisse
Anonyme Gesellschaften in Besitz von Berliner Immobilien: 135 von 433 untersuchten Fällen Fehlender Eintrag in Transparenzregister trotz Eintragungspflicht: 83 von 111 untersuchten Fällen
Für immerhin 135 der untersuchten Gesellschaften konnte trotz umfassender Recherche in den verfügbaren Registern keine natürliche Person als Eigentümer/in identifiziert werden.
Deutschland ist eines von nur vier EU-Ländern, das bereits in andere Register eingetragene Gesellschaften unter Umständen von der Eintragung im Transparenzregister befreit (Meldefiktion).
Von den 111 deutschen Gesellschaften, die nach Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung trotz Meldefiktion im Transparenzregister eingetragen sein sollten, waren 82 ihrer Pflicht nicht nachgekommen. Nur in sieben Fällen war ein echter wirtschaftlich Berechtigter und in 22 Fällen war – teilweise berechtigt, teilweise fälschlicherweise – ein fiktiver Berechtigter eingetragen.
Um die Anonymität am Berliner Immobilienmarkt effektiv zu bekämpfen, müsste das Land Berlin eine systematische Auswertung des Grundbuchs ermöglichen und im geplanten Wohnungskataster die wirtschaftlich Berechtigten für alle Berliner Wohnungen erfassen;
müssten die Bundesregierung und das Bundesverwaltungsamt die Pflicht zum Eintrag im Transparenzregister durchsetzen und die technische Umsetzung und Überwachbarkeit des Registers verbessern;
müssten die Europäische Kommission und die OECD die Meldeschwelle für wirtschaftliche Berechtigung anpassen oder sogar abschaffen und/ oder für Investmentfonds und börsennotierte Gesellschaften wirksame Registrierungsmechanismen einführen.
MieterEcho 410 /