Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 415 / März 2021

Deutsches Wohnen

Das wohnungspolitische Programm der Berliner AfD ist eine Mischung aus Marktradikalität, Antiurbanismus und völkischem Gedankengut

Von Valentin Domann und Corinna Hölzl

Die radikale Rechte inszeniert sich gerne als Vorkämpferin der „kleinen Leute“ . Sobald es aber konkret wird, entzaubert sich dieser Mythos oft von selbst. So auch im Fall der Berliner AfD bei ihrer Interpretation der Wohnungsfrage. Im Herbst hat die Abgeordnetenhausfraktion der Partei ein 70-seitiges Konzept „Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung“ für den Zeithorizont der nächsten 30 Jahre vorgelegt.

Weshalb sollte man sich mit diesem wenig innovativen Konzept, das hauptsächlich eine völkisch aufgeladene Zusammenstellung neoliberaler Ideen des vergangenen Jahrhunderts enthält, überhaupt beschäftigen? Nun, in diesem Jahr wird sich entscheiden, ob die Berliner/innen es erneut zulassen, dass die rechtsradikalen Vertreter/innen der Partei in das Landesparlament einziehen und damit Zugriff auf vielerlei Ressourcen und Mitbestimmungsmöglichkeiten erhalten. Zugleich wird das Thema Wohnen das beherrschende Thema bei den Abgeordnetenhauswahlen sein, und deswegen sollte in der Mieterstadt Berlin allen klar sein, wo die Partei hier steht.

Zugespitzt lassen sich drei zentrale Punkte des wohnungspolitischen Programms der AfD herausarbeiten: Eigentumsbildung inklusive der Abschaffung von Regulierungen zum Mieter/innenschutz, Aufladung des Themas mit völkischen Narrativen und eine Utopie der Stadt, die von Großstadtfeindschaft und Autoritarismus gekennzeichnet ist.

Wohneigentum als heiliger Gral

Zum einen zeigt sich in dem Konzept die Marktradikalität der Berliner AfD. Wohnraum soll viel mehr zur Ware werden als ohnehin schon. Wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion ist Harald Laatsch, dessen Vergangenheit als Bauherr und Vermieter ihn dafür prädestiniert. Das von ihm verfasste Konzept propagiert die Wohneigentumsbildung als ein Allheilmittel: „Wohneigentum schützt vor Altersarmut, Gentrifizierung, Nullzinspolitik, Mieterhöhungen und Inflation.“
Daher soll bis 2050 die Wohneigentumsquote in der Hauptstadt auf 50% anwachsen. Derzeit sind es zwischen 17 und 18%. Diese Umverteilung soll maßgeblich durch Privatisierungen noch zu errichtender Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sowie über öffentlich verbürgte Kreditvergaben ermöglicht werden. Der Umstand, dass der Wohneigentumsmarkt in der Hauptstadt bereits extrem überhitzt ist, wird dabei geflissentlich ignoriert. In den letzten 5 Jahren verteuerte sich Wohneigentum bereits um rund 50%. Die angestrebte Wohnkaufoffensive würde die Blase weiter anschwellen lassen, nach deren Platzen blieben unzählige überschuldete Anleger/innen zurück. Unklar bleibt weiter, wie  Mieter/innen privater Vermieter/innen, die nicht zu den Vermögenden gehören, Eigentum bilden sollen, denn 70% der 1,6 Millionen Mietwohnungen sind in privater Hand.

Das Mantra der Eigentumsbildung basiert dabei auf dem Kurzschluss, dass Wohneigentum quasi automatisch Reichtum schaffe. Belegt werden soll das durch Zahlen, die einen Zusammenhang zwischen Immobilienbesitz und Nettovermögen nahelegen. Als „Irrglaube“ bezeichnet das Programm, dass Wohneigentum vorrangig als Investitionsobjekt ohnehin wohlhabender Schichten gebildet wird.

Daneben wird in dem Konzept die Mär weitergesponnen, dass durch Mieter/innen erworbene Wohnungen auf ewig in Eigennutzung verbleiben. Dabei zeigt ein Blick in Länder, die auf Mikroprivatisierung setzten, etwa Großbritannien oder Russland, wie rasant diese Wohnungen am Ende in den Bestand gewerblicher Großvermieter/innen übergehen. Hinter dieser neoliberalen Idee steht auch die Idee der individuellen Eigenverantwortung und Aktivierung der Mietenden. Die AfD versteht Wohnen nicht als Grundbedürfnis, sondern als unternehmerische Tätigkeit. 

Stadt für das „Volk“

Ferner zeigt das Konzept, wie Wohnraumpolitik durch die radikale Rechte völkisch aufgeladen werden kann. Zwar kann man ähnlich marktorientierte Ideen auch aus anderen Parteien im Abgeordnetenhaus vernehmen. Doch die Narrative des AfD-Programms machen deutlich, dass die Partei keine Stadt für Alle will, sondern ein „Wir“ definiert, das sich zahlreichen Feinden gegenübersieht. Allen voran müssen Geflüchtete als Sündenböcke herhalten, die die Nachfrage an Wohnraum erhöhen würden und für deren Unterbringung die Stadt alles tue, während die Bedürfnisse der „einheimischen Berliner Bevölkerung“ hintangestellt werden. Die Berliner AfD knüpft im Themenfeld Wohnen fast zwanghaft an die Feindbilder aus ihrem Standardrepertoire an. Nicht nur Migration, auch die Rundfunkgebühren, der Wechsel von der guten, alten D-Mark zum Euro und die „rot-rot-grüne Anti-Autofahrer-Politik“ werden auf abstruse Weise mit der Wohnungspolitik verknüpft. Das populistische Angebot richtet sich an die „Wir-Gruppe“. So sollen Personen mit deutscher Staatszugehörigkeit etwa beim Kauf von Wohnungen durch öffentliche Kreditförderung gegenüber anderen bevorzugt werden; für Ältere fordert die Partei lebenslangen Kündigungsschutz.

Konterkariert wird das, indem man verpflichtende bauliche Auflagen in Bezug auf Barrierefreiheit und Umweltschutz, sowie fast jede Form von Regulierung zum Schutz der Mieter/innen ablehnt: Nicht nur den Mietendeckel, sondern auch Milieuschutz, Mietpreisbremse, Zweckentfremdungsverbote oder kooperative Baulandentwicklung. Zu hohe Mieten sollen durch das Instrument der Subjektförderung (Wohngeld) kompensiert werden, wovon vor allem private Vermieter/innen profitieren. Damit entpuppt sich die populistische Verpackung als reine Rhetorik. Von dem vor allem im völkisch-nationalistischen Flügel der Partei populären Konzept des „solidarischen Patriotismus“ bleiben kaum noch Floskeln. Individualismus (durch den Wohnungserwerb) und Familialismus (durch den Zusammenhalt und das Erbe innerhalb der Familie) treten an die Stelle einer Stadtgesellschaft.

Antiurbane Zukunftsvisionen

Das Programm verdeutlicht auch die anti-urbane Ideologie der Partei und knüpft damit an eine lange Tradition rechten Denkens in Deutschland an. Vieles, was das Leben in der Großstadt ausmacht, wird zur Zielscheibe des AfD-Programms. Auch wenn keine Gelegenheit ausgelassen wird, um massenhaften Wohnungsneubau und Nachverdichtung zu fordern, lehnt das Programm fast überall dort, wo es konkret wird, dichte Bebauung ab. Im Mittelteil des AfD-Programms, das aus oberflächlichen Betrachtungen aktueller Stadtentwicklungsgebiete besteht, zeigt sich die bequeme Situation, in der sich die populistische Opposition befindet. Ihr städtebauliches Primat ist die Gartenstadt und dort, wo Dichte und Heterogenität befürchtet werden, wittert die Partei Gefahr und verweist auf Negativbeispiele wie Kottbusser Tor und Pallasstraße.

In den Stadtentwicklungsgebieten entdeckt die Partei ihre Liebe für Kleingärten und Quartiersgaragen – sie sind um jeden Preis zu erhalten. Vielleicht ist es das strategische Mobilisierungspotential, das sich die AfD von dieser Forderung verspricht, vielleicht sind es aber auch die mit Datsche und Garage verbundenen (klein-)bürgerlichen Ideale, die sie dem ungeordneten und spontanen Leben in der Metropole gegenüberstellt. Schließlich stellt sich das Programm nicht hinter alle Freiräume: Alternative Wohnformen werden mit einer Intoleranz gegenüber der Mehrheitsgesellschaft in Verbindung gebracht; hier ende „die Toleranz der zivilisierten Gesellschaft gegenüber der selbst ernannten Zivilgesellschaft“. Am liebsten würde die Partei die Zivilgesellschaft offenbar auch aus den Entscheidungsprozessen zur Stadtgestaltung heraushalten. Denn stadtpolitische Initiativen wie „Stadt von Unten“ oder „Rummelsbucht für alle“ missbrauchten Beteiligungsverfahren für „partikulare Zwecke“. Pikant daran ist auch, dass einer der am AfD-Konzept Mitwirkenden früher in unterschiedlichen Initiativen aktiv war und mit der Piratenpartei noch gegen den Ausverkauf der Stadt gekämpft hat. Nicht zuletzt diese persönliche Kehrtwende, und das allgemeine Bedürfnis der AfD, die erkämpften Erfolge stadtpolitischer Redemokratisierung in Berlin wieder aufzuheben, verdeutlichen die Relevanz für aktive Mieter/innen, der Wohnungs- und Stadtpolitik der radikalen Rechten auch in Zukunft entgegenzutreten.  

 

Valentin Domann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Schwerpunktmäßig forscht er zu lokalen Formationen der radikalen und populistischen Rechten.

Corinna Hölzl ist Stadtforscherin am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin und beschäftigt sich u.a. mit Urban Commons und Wohnungspolitik.


MieterEcho 415 / März 2021

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