Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 418 / Juni 2021

Der Traum von der „marktgerechten Stadt“

Die neoliberale Deformation der Berliner Wohnungspolitik und der Verwaltung ist noch lange nicht überwunden

Von Andrej Holm

Die Berliner Wohnungspolitik der letzten 30 Jahre ist eine Erfolgsgeschichte des Neoliberalismus. Der Rückzug aus den Förderprogrammen des Sozialen Wohnungsbaus, die umfangreichen Privatisierungen von öffentlichen Infrastrukturen, die unternehmerische Ausrichtung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und die Auszehrung der öffentlichen Verwaltung lesen sich wie eine Checkliste aus dem Handbuch neoliberaler Stadtpolitik.

Das politische Programm der Durchsetzung von marktorientierten Lösungen, der Inwertsetzung fast aller Lebensbereiche und der Schwächung staatlicher Handlungsmacht wurde in Berlin von wechselnden politischen Koalitionen getragen und hat im Bereich des Wohnens und der Stadtentwicklung einen bisher einmaligen Ausverkauf öffentlicher Infrastrukturen, Wohnungen und Liegenschaften ermöglicht. Etwa 300.000 Wohnungen und über 10.000 Grundstücke wurden aus der öffentlichen Hand an private Eigentümer übertragen – die größte Umverteilung in der Geschichte Berlins. Die Privatisierung erfolgte überwiegend in den 1990er und 2000er Jahren zu so günstigen Konditionen, dass sich der finanzpolitische Effekt des großen Ausverkaufs auf weniger als 5 Milliarden Euro beschränkte. Der heutige Wert der privatisierten Wohnungen und Liegenschaften liegt bei über 50 Milliarden.

Ganz typisch für die Politik der Neoliberalisierung war auch Berlin von einer starken Übereinstimmung staatlicher und privatwirtschaftlicher Interessen geprägt. Der mit den Berliner Schulden begründete Kurs der „Haushaltskonsolidierung“ legitimierte den als „Aktivierung öffentlichen Vermögens“ verharmlosten Ausverkauf und forcierte den Aufstieg der Fonds und institutioneller Anleger/innen in Berlin.

Aushöhlung der Verwaltung

Parallel zur Privatisierungspolitik vollzog sich eine Neoliberalisierung des staatlichen Handelns. Den öffentlich beauftragten Studien der Unternehmensberatungen KPMG und Price Waterhouse folgend, wurden ab Mitte der 1990er Jahre schrittweise Elemente des New Public Management für die Berliner Verwaltungen übernommen. Aus Fachabteilungen der Bezirksverwaltungen wurden „Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV)“, öffentliche Einrichtungen und Angebote verwandelten sich in „Kostenträger“ und statt Einnahmen und Ausgaben abzurechnen, wurden komplexe Modelle von „Produktsummenbudgets“ und „kalkulatorischen Kosten“ durchgesetzt. Insbesondere die Finanzierung der Bezirksverwaltungen wurden seit Ende der 1990er Jahre schrittweise auf sogenannte Globalbudgets umgestellt, die auf der Basis der durchschnittlichen Kosten für verschiedene Leistungen berechnet wurden. Wenn es Bezirken gelang, ihre tatsächlichen Ausgaben für z.B. Beratungs- und Betreuungstätigkeiten unter den angesetzten Kosten zu halten, hatten sie einen finanziellen Vorteil. So sollte das neue System – ganz im Sinne der unternehmerischen Stadt – die Konkurrenz zwischen den Bezirken und einzelnen Verwaltungseinheiten anheizen und zu einer höheren Effizienz beitragen. Die deutlichste Auswirkung der „Verwaltungsmodernisierung“ in Berlin war jedoch der drastische Stellenabbau. Gab es 1991 noch über 200.000 unmittelbar im Landesdienst Beschäftigte, sind es derzeit nicht einmal 125.000 Mitarbeiter/innen. 

In den kritischen Debatten wird zwischen verschiedenen Phasen und Spielarten des Neoliberalismus unterschieden. Dabei wird der klassische Neoliberalismus, wie er etwa von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren in Großbritannien durchgesetzt wurde, als Roll-back-Neoliberalismus bezeichnet, weil die Politik vor allem auf die Rückabwicklung des Wohlfahrtsstaates und seiner Umverteilungsinstrumente setzte. Die Privatisierung, der weitgehende Ausstieg aus dem Sozialen Wohnungsbau oder auch die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit sind typische Merkmale eines solchen Roll-backs. 

Doch neoliberale Politik setzt auch auf den Umbau des Staates und die Entwicklung von neuen Regulierungsbeziehungen zwischen der öffentlichen Hand und privaten Unternehmen. Projekte wie die Verwaltungsmodernisierung, die Etablierung von Public-Private-Partnerships, aber auch der Übergang von der öffentlichen Infrastrukturfinanzierung zu marktkonformen Förderprogrammen sind dafür typisch und werden als Roll-out-Neoliberalismus beschreiben. Der Staat verschwindet in dieser Perspektive nicht, sondern greift in Form einer Pro-Markt-Regulierung aktiv in die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen ein. Im Bereich der Wohnungspolitik sind etwa der Ausbau von Wohngeldzahlungen, die auch die Armen befähigen sollen, Marktpreise zu zahlen und Eigenheimförderprogramme, die sogenannten Schwellenhaushalten den Kauf von Wohneigentum ermöglichen sollen, typische Beispiele für einen Roll-out-Neoliberalismus. Auch großangelegte „Bündnisse für das Bauen“, in denen staatliche Institutionen und Wirtschaftsverbände gemeinsame Strategien für mehr private Neubauinvestitionen entwickeln, zählen dazu. 

Neoliberalismus als soziale Formation

Der Erfolg des Neoliberalismus lässt sich jedoch nicht nur mit einer Ideengeschichte neoliberaler Strategien und einer Analyse ihrer Durchsetzung erklären, sondern wurde von einer kulturellen Verankerung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft begleitet. Wenn wir aktuelle Debatten verfolgen, wird schnell klar, dass der Status quo von vielen als alternativlos empfunden wird und die neoliberalen Rahmenbedingungen längst als unveränderliche Grundlage des Handeln akzeptiert sind. Das Prinzip der „Eigenverantwortung“ und „Selbstoptimierung“ wurde und wird dabei von Teilen der Neuen Mittelklasse eher als Versprechen wahrgenommen, den Traum vom eigenen Aufstieg selbst in der Hand zu haben und die eigene Individualität entfalten zu können. In der repressiven Variante der neuen Sozialpolitik des „Forderns und Förderns“ seit der Einführung von Hartz IV gibt es keine Freiheitsgewinne. Das Diktum der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung firmiert hier als individuelle Schuldzuschreibung für strukturell bedingte Armut.

Der tief verankerte Neoliberalismus begegnet uns auch in vielen wohnungspolitischen Debatten. Das schlichte „bauen, bauen, bauen“ als universale Lösung aller Wohnungsfragen, die breit geteilte Überzeugung, dass ohne private Investitionen keine Stadt gebaut werden kann, oder auch der stille Wunsch, im Wohneigentum die Sorgen drohender Mietsteigerungen und Verdrängung ein für alle Mal loszuwerden, stehen für die Deformationen der Alltagsüberzeugungen in den letzten Jahrzehnten. Auch Diskussionen zu steigenden Umwandlungszahlen oder zum Aufstieg der börsennotierten Wohnungskonzerne werden mit regelmäßigen Verweisen auf ihre Funktion als Altersvorsorge von neoliberalen Grundtönen begleitet.

Selbst dort, wo der Staat mit Milliardensummen in Krisen interveniert, werden vorrangig wirtschaftliche Interessen bedient und sogar Maßnahmen zur Pandemieeindämmung werden in Abwägungen zu möglichen Konsequenzen für „die Wirtschaft“ beschlossen. Auch im Bereich der Wohnungspolitik dominieren nach wie vor Instrumente, die die Gewinnmöglichkeiten privater Eigentümer/innen möglichst unangetastet lassen. Ausnahmen wie der Mietendeckel hatten bisher nur eine begrenzte Halbwertszeit. 

Statt den kommunalen Wohnungsbau konsequent durch verlässliche öffentliche Investitionen und den Aufbau eigener Planungs- und Baukapazitäten zu stärken, wird inzwischen wieder über Runde Tische mit der privaten Immobilienwirtschaft diskutiert. Dass die zuständigen Senatsverwaltungen bei den Verhandlungen über die neue Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen höhere Belegungsquoten und Beschränkungen der Miethöhen nur sehr begrenzt durchsetzen konnten, zeigt, dass selbst die öffentlichen Unternehmen kein Garant für eine soziale Mietenpolitik sind. Dass sich das Spielfeld zur Durchsetzung sozialer Mieten inzwischen von der Regulation privater Vermieter/innen auf die Aushandlung zwischen staatlichen und para-staatlichen Institutionen verschoben hat, zeigt, wie weit die neoliberale Deformation der Wohnungspolitik vorangeschritten ist. Die Interessen der Mieter/innen müssen inzwischen nicht nur den privaten Gewinninteressen, sondern auch den eigenen Wohnungsunternehmen abgetrotzt werden. Eine Stärkung der kommunalen Wohnungswirtschaft darf sich nicht auf die Ausweitung der Bestände beschränken, sondern muss auch den Geist des Neoliberalismus im Selbstverständnis der öffentlichen Unternehmen überwinden.


MieterEcho 418 / Juni 2021

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