Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 418 / Juni 2021

Der lange Schatten der Austerität

Die Bestände der öffentlichen Wohnungsunternehmen Berlins wurden seit 1990 beträchtlich dezimiert. Ein nachhaltiges Umsteuern ist nötig und möglich

Von Sebastian Gerhardt

Noch vor der Verabschiedung des Berliner Mietendeckels hatte im Sommer 2019 die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in einem Sondermemorandum „Gutes Wohnen für alle“ das zentrale Problem knapp umrissen: „Zur kurzfristigen Entlastung kann ein Staat, ein Bundesland oder auch eine Kommune immer nur auf Regulierung setzen – dies gilt auch für viele andere Politikbereiche. Notwendig ist aber, dass der Regulierung auch die Gestaltung folgt.“ Nun, da der Mietendeckel auf Landesebene gescheitert ist, stellt sich um so schärfer die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten der Berliner Wohnungspolitik.   

Das wichtigste Instrument sind dabei die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU): Degewo, Gewobag, Gesobau, Howoge, Stadt und Land und WBM. Die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) Wohnraumversorgung Berlin schrieb Ende 2020: „Zusammengerechnet wären sie mit knapp 323.000 Wohnungen (Stand Ende 2019) das zweitgrößte Wohnungsunternehmen in Deutschland.“ 323.000 Wohnungen – das sind knapp 20% des Mietwohnungsbestands in Berlin. Allerdings sollte der vorsichtige Konjunktiv im Zitat nicht überlesen werden: zusammengerechnet „wären sie“ – sind sie aber nicht. Vor allem im Zusammenhang mit dem notwendigen Neubau zeigt sich, dass die historisch entstandenen Strukturen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der LWU dem Bedarf nicht gewachsen sind. Ein Blick auf die Entwicklung seit 1990 zeigt, warum das so ist und welche politischen Weichenstellungen dazu beigetragen haben.

Westberlin zählte 1989 knapp 1,1 Millionen Wohnungen, davon 87% Mietwohnungen. Die Struktur war geprägt durch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und die besondere Westberliner Ausprägung des geförderten „sozialen Wohnungsbaus“. Etwa ein Viertel des Mietwohnungsbestands befand sich in der öffentlichen Hand. Doch seit dem Regierungsantritt Helmut Kohls sollte „der Markt“ – also die Privateigentümer – wieder mehr Freiheiten erhalten. Die Bonner Koalition beendete die letzte Mietpreisbindung des Altbaus in einer bundesdeutschen Großstadt und erzwang den raschen Übergang Westberlins in das Vergleichsmietensystem ab 1988. Parallel wurde zum 31.12.1989 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft.

Privatisierung Ost

Ostberlin zählte 1989 insgesamt 631.338 Wohnungen, davon waren knapp 60%t (374.811) als volkseigen erfasst, fast 24%t wurden von Privateigentümern und Sonstigen (z. B. Kirchen), fast 17% genossenschaftlich gehalten. Die extrem niedrigen Mieten – die Belastung durch die Warmmiete lag durchschnittlich unter 4% der Haushaltseinkommen – deckte die Bewirtschaftungskosten der Wohnungen nur zu etwa einem Drittel, die Gesamtaufwendungen der Wohnungswirtschaft einschließlich des Neubaus nur zu 20%t. Über die Hälfte der Aufwendungen der Wohnungswirtschaft wurde direkt aus dem Staatshaushalt finanziert, der Rest über Kredite, aus denen dann die späteren „Altschulden“ der ostdeutschen Wohnungswirtschaft wurden. In der DDR galt ein Mietenstopp, der die Bewirtschaftung von Immobilien extrem unattraktiv machte. Deshalb wurde ein Großteil der Wohnungen in privatem Eigentum – soweit nicht selbst genutzt – ebenfalls von den VEB Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) bewirtschaftet. Nach der Währungsunion wurden die KWV der 11 Ostberliner Stadtbezirke in einzelne Kapitalgesellschaften umgewandelt. Konfrontiert mit Wanderungsbewegungen und wachsendem Leerstand, einem Sanierungsstau im Altbau und der Drohung steigender Zinsen waren diese neuen öffentlichen Wohnungsunternehmen ohne massive Beihilfen und staatliche Bürgschaften nicht überlebensfähig. Die stagnierende Einkommensangleichung im Osten an das Westniveau ermöglichte keine großen Mietsprünge. Die ersten Mieterhöhungen kamen – aus Sicht der Wohnungsunternehmen schon zu spät – zum Oktober 1991. Zu diesem Zeitpunkt verwalteten die Ostberliner öffentlichen Wohnungsunternehmen 440.000 Wohnungen, davon 371.000 im eigenen Bestand. Bis 2000 wurden in Ostberlin insgesamt über 200.000 Wohnungen privatisiert. Ein Teil der politischen Steuerung der Ostberliner Gesellschaften erfolgte über Patenschaften der „alten“ Westberliner Unternehmen, die selbst gerade erst die ersten Schritte in die unternehmerische Freiheit machten. Im Zuge der Ausweitung nach Osten konnten sie ihre Bestände verdoppeln und verdreifachen. Hinter ihren lauten Klagen über die damit geerbten Probleme  („Platte!“, „Leerstand!“) – verschwand, dass ihre Ostberliner Bestände gerade in den Großsiedlungen auch viele Vorteile boten.

Die Illusion eines großen Sprungs nach vorn für die Westberliner Provinzelite zerplatzte nach einem kurzen Boom. Der „Aufschwung Ost“ wollte sich nicht einstellen. Die wirtschaftlichen Schwächen Westberlins wurden nicht mehr durch Subventionen und Pauschalzuschüsse zum Landeshaushalt abgefangen. Es folgte eine lange Depression. Die Hoffnungen des Senats und der Immobilienbranche auf ein massives Wachstum der Einwohnerzahl erfüllten sich nicht. Dabei waren die amtlichen Planer viel vorsichtiger als manche „Experten“, die bis zu 6 Millionen Berliner/innen als Zielgröße in den Blick nahmen. Die Grundlage des Flächennutzungsplanes 1994 war die Annahme eines Bevölkerungswachstums auf maximal 3,7 Millionen bis zum Jahr 2010. Tatsächlich wurde diese Größenordnung erst 2019 erreicht.

Wohnungsfrage galt als „gelöst“

Grundlage der Wohnungspolitik des Senats Ende der Neunziger war die Einschätzung, dass die Wohnungsfrage im Prinzip gelöst sei und – abgesehen von Randgruppen – dem Markt überlassen werden konnte. Den LWU blieb in diesem Szenario die Rolle der eierlegenden Wollmilchsau: sie sollten die Berlin-Planungen des Senates umsetzen (Sanierung Ost, Stadtentwicklungsgebiete), soziale Konflikte entschärfen (Quartiersmanagement), ab 1996 verstärkt Dividenden und Sonderdividenden abdrücken (Fusionen, In-sich-Geschäfte) und sich für mögliche Verkäufe hübsch machen. Einigen Vorständen der LWU erschien die Privatisierung als endgültige Befreiung von politischer Einflussnahme und Bevormundung.

Doch die Krise der Bankgesellschaft legte im Jahr 2000 das Scheitern des offiziellen Entwicklungsmodells offen. Senat und Abgeordnetenhaus befürchteten nun, dass in den Bilanzen der LWU weitere Pleiten warten könnten. Die Lösung offerierte die Unternehmensberatung Ernst&Young: „Der derzeit (…) angestrebte Mindestbestand in den städtischen Wohnungsgesellschaften von 300.000 eigenen Wohnungen ist zu überprüfen und mithilfe geeigneter Verfahren auf ein realistisches und tatsächlich erforderliches Maß anzupassen.“ Bis 2009 wurde mit der Privatisierung der GSW und vielen weiteren Verkäufen  der Bestand der verbliebenen sechs LWU auf knapp 260.000 Wohnungen reduziert.

Erst 2011 konnten Proteste die Wohnungspolitik und den nötigen neuen kommunalen Wohnungsbau wieder auf die politische Tagesordnung setzen. Doch Privatisierungen und Sparpolitik wirken bis heute nach. Zwar haben sich die LWU wirtschaftlich stabilisiert, aber das notwendige und nunmehr  politisch gewünschte Wachstum können sie aus eigenen Ressourcen nicht stemmen. Wenn das Land Berlin mehr Neubau will, muss es erheblich mehr investieren. Zudem betraf der Abbau von Kapazitäten nicht nur die LWU, sondern die gesamte Bauwirtschaft und die öffentliche Verwaltung, die z.B. das gestiegene Planungsaufkommen noch bewältigen kann. Ohne ein langfristiges öffentliches Wohnungsbauprogramm wird es auch hier keine Umkehr geben.


MieterEcho 418 / Juni 2021

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