Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 413 / Dezember 2020

Den Howoge-Schulbau zurückholen, bevor es zu spät ist

Privatisierungsgefahr, Ineffizienz und Kostensteigerung bei der Berliner Schulbauoffensive

Von Carl Waßmuth

Gut vier Jahre ist es her, seit der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) versprochen hat, alle Berliner Schulen zu sanieren. Mit Abschluss der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung wurde daraus dann ein Investitionsvorhaben in Höhe von vier Milliarden Euro mit dem Namen „Berliner Schulbauoffensive“ (BSO). Es umfasste den Bau von 40 neuen Schulen und zehn Großsanierungen.

Etwas dramatisiert wurde auch: es drohe bis 2025 eine Lücke von 86.000 Schulplätzen zu entstehen. Angesichts dieses Szenarios legte sich die noch junge Koalition darauf fest, dass ein privatrechtliches Unternehmen im Schulbau ganz viel helfen solle – um die Verwaltung zu entlasten und so Schulbau und Sanierungen zu beschleunigen. Ganz nebenbei warb man auch damit, dass man mit einer GmbH im Schulbau die Schuldenbremse umgehen könne. Dass sich die öffentliche Hand endlich wieder um die heruntergewirtschafteten Schulen kümmern wollte, wurde allgemein begrüßt. Dass dazu der Schulbau teilweise privatisiert werden sollte, stieß hingegen auf Widerstand. Zwar handelt es sich bei der mit einem Teil der Schulbauten und -sanierungen beauftragten Howoge um ein landeseigenes Wohnungsunternehmen, als GmbH ist diese jedoch privatrechtlich organisiert. Vor allem aber folgte das Modell dem Muster sogenannter öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP), aus Schulen drohten somit handelbare Finanzprodukte zu werden. Es wurden Briefe geschrieben, Anfragen gestellt und Unterschriften eingereicht. Leider stellten sich Senat und Abgeordnete taub, und so wurde von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) eine Volksinitiative zum Schulbau gestartet. Am 7. November 2018 fand die zugehörige öffentliche Anhörung im Abgeordnetenhaus statt. Was ist seither aus dem Vorhaben geworden?

Schummelei bei Bedarfsermittlung

Berlin wächst und benötigt zusätzliche Schulplätze. Die BSO startete jedoch mit falschen Zahlen. Die Senatsverwaltung für Bildung hatte 2016 ihre Statistikmethoden verändert und so die hohe Zahl von 86.000 fehlenden Schulplätzen produziert. Mit jeder neuen Pressemitteilung des Senats korrigierte man sich dann etwas nach unten: erst auf 70.000 (2017), dann auf 64.000 (2020). GiB hatte 2019 den Statistiktrick mit Hilfe der Originalzahlen des Statistischen Landesamts aufgedeckt, die Bildungssenatorin hatte 22.000 Schulplätze zu viel angesetzt – die Differenz war damit größer als die Zahl der 16.773 Schulplätze, die die Howoge insgesamt neu schaffen sollte. 15.781 dieser Plätze sollen im Neubau entstehen, 992 im Zuge von Schulsanierungen. Trotz dieses Fehlers wurde der Umfang der BSO nicht reduziert. Eigentlich hätte man bei einem Viertel weniger an Schüler/innen statt 2,8 Milliarden Euro für Neubau nur noch 2,1 Milliarden Euro ansetzen müssen. Und obwohl sich der Bedarf als überschätzt herausstellte, wurde auf die Einbindung der Howoge nicht verzichtet, im Gegenteil. Der Anteil der Howoge an den gesamten Investitionen wurde von einem Viertel auf mehr als die Hälfte ausgeweitet, also von einer Milliarde Euro auf 2,16 Milliarden Euro.

Nicht nur die Bedarfszahlen sind fragwürdig, auch die Kostenkalkulation erweist sich als nicht korrekt. Der Landesrechnungshof hat in seinem aktuellen Bericht darauf verwiesen, dass mit einer Verdoppelung der BSO-Investitionskosten von 4 Milliarden Euro auf 9,6 Milliarden Euro gerechnet werden muss, wenn nicht sofort umgesteuert wird. Insbesondere die prognostizierten Kosten für die Howoge-Schulen haben sich signifikant erhöht. Wie teuer die Howoge-Schulen werden, wird an den Kosten pro Schulplatz deutlich. So soll der Neubau einer Integrierten Sekundarschule (ISS) in der Hauptstraße 66 in Pankow mit Sporthalle für 300 Schulplätze 43,9 Millionen Euro kosten, das sind 146.180 Euro pro Schulplatz und somit mehr als das Dreifache des bundesweiten Durchschnitts.

Den Kapitalmärkten ausgeliefert

Ein Hauptgrund, die Howoge in den Schulbau einzubinden, war die geplante Umgehung der Schuldenbremse. Mit dem aktuellen Aussetzen der Schuldenbremse hat dieses Argument an Überzeugungskraft eingebüßt. Entgegen des Beschlusses vom SPD-Landesparteitag beispielsweise, den Schulbau nur öffentlich zu finanzieren, sollen die Howoge-Schulen über beliehene Erbbauverträge auf dem Kapitalmarkt finanziert werden. Ein Rechtsgutachten zum Muster-Erbbauvertrag hat gezeigt, dass die Erbbauverträge in ihrer 37-jährigen Laufzeit nicht vor einer Veräußerung geschützt sind. Damit würden die Schulen den Kapitalmärkten gleich auf mehreren Ebenen ausgeliefert: über die Schulden, die ihnen direkt aufgelastet werden und über eine mögliche Privatisierung der Schulgebäude und Schulgrundstücke.

Die Howoge hat mit dem Bauen bisher so gut wie nicht begonnen. Insgesamt sollen der Howoge Leistungen in der Höhe von 2,156 Milliarden Euro übertragen werden, 55% der geplanten BSO-Bauleistungen im Bereich Schulneubau und Schulsanierung. Davon hat die Howogebis Ende 2019 Leistungen im Gegenwert von 3,7 Millionen Euro erbracht, das sind 1,7 Promille des gesamten Volumens. In 2020 soll die Howoge diese Leistungen knapp verfünffachen (auf 17,4 Millionen Euro). Selbst wenn das gelingt, ist weiterhin noch nicht einmal ein Hundertstel des übertragenen Volumens geschafft. Entsprechend werden schon heute für Howoge-Schulen inakzeptabel späte Übergabetermine an die Nutzer/innen angegeben, die im Jahre 13 nach Start der BSO liegen, also im Jahr 2029. Laut Statistischem Landesamt verlangsamt sich der Zuwachs an Schüler/innen bereits ab 2025, ab 2030 könnte die Zahl sogar rückläufig sein.

Neubau nur als Ergänzungsbauten

Nach vier Jahren muss leider festgestellt werden, dass noch keine einzige Schule aus der Schulbauoffensive fertiggestellt wurde. Drei Schulen wurden eröffnet, dabei handelte es sich jedoch um Planungen aus der letzten Legislaturperiode. Dafür wurden jede Menge sogenannter Modularer Ergänzungsbauten (MEBs) aufgestellt, seit 2013 insgesamt 68 Stück, in denen bis Ende 2020 Platz für über 17.000 Schüler/innen ist. MEBs erfüllen die pädagogischen Anforderungen an das neue Raumprogramm nicht und sind baulich und architektonisch von grenzwertig niedriger Qualität. Dass nach sieben Jahren immer noch Erweiterungsmodule statt richtiger Schulen gebaut werden, ist kein Ruhmesblatt. Dennoch entlasten die MEBs vielerorts überfüllte Schulen. Auch die neuen „Fliegenden Klassenzimmer“, einfache Holzbauten, die jedoch vollwertige Klassenräume bieten, helfen viel und kosten wenig. Gleichzeitig wurde der bauliche Unterhalt um den Faktor 2,5 erhöht. Und dieses Geld wird auch ausgegeben, zuletzt wurden von den Bezirken 95% der Mittel abgerufen. MEBs, Fliegende Klassenzimmer und der bauliche Unterhalt zeigen, dass die Bauverwaltung durchaus zu erheblichen Steigerungen fähig ist. Die Howoge hat demgegenüber noch gar nichts gebaut oder saniert. Stattdessen wird seit drei Jahren an den zugehörigen Verträgen gearbeitet, und sie sind immer noch nicht unterzeichnet.

Im Zuge der Einbindung der Howoge in den Schulbau droht Berlin ein Desaster in der Größenordnung des neuen Flughafens BER (Kostensteigerung BER: 4,9 Mrd. Euro, BSO: 5,6 Mrd. Euro). Die benötigten Schulplätze werden viel zu spät bereitgestellt. Pro Schulplatz sind die Howoge-Schulbauten dreimal teurer als im Bundesdurchschnitt. Der Bau des BER-Terminals hat 12 Jahre gedauert. Die benötigten BSO-Schulplätze werden teilweise 13 Jahre nach Start der „Offensive“ fertig. Alles, was die Howoge machen soll, kann die öffentliche Verwaltung besser, schneller und günstiger. Auch Innovationen wie die Fliegenden Klassenzimmer wurden öffentlich geleistet. Mit den öffentlichen Bauverwaltungen kann der Bedarf an Schulplätzen vollständig erfüllt werden. Die Einbindung der Howoge ist nicht erforderlich, vielmehr bedroht sie das Gesamtvorhaben erheblich. Die Unterschrift unter die Erbbauverträge mit der Howoge zum Schulbau sollte verweigert, der zugehörige Rahmenvertrag aufgehoben werden. Für die wenigen bereits erbrachten Leistungen zum Schulbau kann man die Howogeangemessen vergüten, laufende Projekte der Senatsverwaltung für Bauen und Umwelt übergeben. Von der Howoge angestellte Mitarbeiter/innen im Bereich Schulbau können vom Land Berlin ein gehaltsgleiches Angebot erhalten. Ohne die Howoge kann viel Geld gespart werden. Und es können viele Schulen schneller gebaut und saniert werden.

 

Carl Waßmuth ist Bauingenieur und Vorstandsmitglied des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Der Verein tritt für die Bewahrung und umfassende Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen ein, insbesondere der Daseinsvorsorge.


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