Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 408 / März 2020

„Deckel drauf und weiter so“ reicht nicht aus

Fünf Jahre Zeit um den Wohnungsmangel zu beheben

Von Philipp Mattern

Nun gilt er also, der Mietendeckel. Zumindest auf dem Papier. Ob er seine gewünschte Wirkung auch tatsächlich entfalten wird, hängt jetzt sehr entscheidend von den Mieter/innen und der öffentlichen Verwaltung ab. Denn die Mieter/innen sind es, die ihre Mieten überprüfen und Überhöhungen beanstanden müssen. Das Recht setzt sich auch beim Mietendeckel nicht von alleine durch. Und an der Verwaltung wird es liegen, Verstöße zu ahnden und die Einhaltung des Gesetzes ordnungsrechtlich durchzusetzen. Andernfalls droht dem Mietendeckel ein ähnliches Schicksal wie der Mietpreisbremse oder dem Zweckentfremdungsverbot: Beide werden weitgehend ignoriert, und wirklich stören tut es niemanden.                                               

Die größte Herausforderung hat sich der Berliner Senat mit dem Gesetz aber selbst gestellt. Mit dem Mietendeckel werden fünf Jahre Zeit gewonnen, um die wohnungspolitischen Versäumnisse der letzten zehn Jahre zu korrigieren. Ein sportliches Vorhaben: Ob Bodenpolitik, Quartiersentwicklung oder Wohnungsbau in der öffentlichen Hand – glaubhafte Ideen und ein schlüssiges Gesamtkonzept müssen jetzt auf den Tisch.
Ohne Frage stellt der Mietendeckel eine weitreichende Regulierung der Mietpreise dar. Aber Regulierung alleine reicht nicht mehr aus. Der Mietendeckel setzt an einem Symptom an, nicht an der Ursache. Denn auch wenn sie für die betroffenen Haushalte existenzbedrohend sein mögen, so sind die in den vergangenen Jahren drastisch gestiegenen Mietpreise nicht das Problem selbst. Sie sind vielmehr die Folge einer langfristigen Fehlsteuerung des Wohnungsmarkts, die sich in einer eklatanten Unterversorgung mit Wohnraum zeigt, vor allem im preisgünstigen Segment des Mietwohnungsmarkts. Dieser Wohnungsmangel setzte die rapide Preisentwicklung bei Neuvertrags- und Bestandsmieten erst in Gang.                                       
Fehlender Neubau in der wachsenden Stadt
Berlin ist seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts enorm gewachsen. Heute leben fast 400.000 Menschen mehr in der Stadt als vor zehn Jahren noch. Orientiert an den durchschnittlichen Haushaltsgrößen hätten in diesem Zeitraum rechnerisch über 220.000 Wohnungen gebaut werden müssen, alleine um den Zuzug zu kompensieren. Tatsächlich fertiggestellt wurden lediglich rund 80.000 Wohneinheiten im Neubau. Und zwar in allen Segmenten, inklusive Ein- und Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen. Die Zahl der Mietwohnungen im Mehrgeschossbau machte nur rund die Hälfte davon aus, die der preisgebundenen Wohneinheiten lediglich einen kleinen Bruchteil. Die Angebotsmieten stiegen in diesem Zeitraum von durchschnittlich knapp 6,50 Euro/qm auf weit über 10 Euro/qm nettokalt. Diesen Zusammenhang erkennt auch der Senat: „Die Hauptursache dieser Wohnungsmarktentwicklung ist die seit Jahren steigende Nachfrage nach Wohnraum im Land Berlin. Diese Nachfrage konnte bislang nicht durch eine entsprechende Angebotserweiterung – vor allem durch Wohnungsneubau – gedeckt werden. Die Folgen dieses Missverhältnisses von Angebot und Nachfrage betreffen Mieterinnen und Mieter, die steigende Angebotsmieten häufig mangels Alternativen ebenso hinnehmen müssen wie Mieterhöhungen im Bestandsmietverhältnis“, so heißt es zur Begründung des Mietendeckelgesetzes.
Der Subtext dieser Formulierungen ist das Eingeständnis eines weitgehenden Scheiterns der Berliner Wohnungspolitik der vergangenen Jahre. Denn ihre Aufgabe wäre es gewesen, geeignete Strategien und Instrumente zu entwickeln, um eine ausreichende Angebotserhöhung zu bewirken, vor allem im preisgünstigen Segment des Mietwohnungsmarkts. Diese Angebotserhöhung kann rein marktwirtschaftlich nicht erfolgen, da freifinanzierte Neubaumieten selbst die Zahlungskraft von Normalverdiener/innen regelmäßig übersteigen. Jedoch wurde nur sehr zögerlich auf das sich anbahnende Problem reagiert und die entwickelten Maßnahmen entpuppten sich als völlig unzureichend. Das gilt umso mehr, als dass die beschriebene Dynamik auf dem Wohnungsmarkt voraussehbar und bekannt war. Alle eigens produzierten Bevölkerungsprognosen zeigten in diese Richtung und wurden teils deutlich nach oben korrigiert. Die heutige Wohnungskrise zeichnete sich schon lange ab – alleine die wohnungspolitische Antwort blieb unzureichend.
Auch das erkennt der Senat offen an. Die 2014 wieder aufgenommene Neubauförderung samt Mietpreis- und Belegungsbindung, das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung, die Umstellung der Liegenschaftspolitik, die Ausweisung sozialer Erhaltungsgebiete, die Entwicklung neuer Wohnquartiere oder die Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen – alle diese Maßnahmen haben „bislang nicht hinreichend vermocht, dem Preisanstieg auf dem Berliner Wohnungsmarkt wirksam entgegenzutreten“. Aus diesem Grund sollen jetzt die Mieten gedeckelt werden, und zwar „bis zur Entspannung auf dem Wohnungsmarkt“. Nur, wie soll diese herbeigeführt werden? Wenn die bisherigen Maßnahmen nicht zum Ziel führten, welche dann? An welchen Stellschrauben möchte man in Zukunft drehen? Und wie kann ein wirksames Gesamtkonzept aussehen? Eine Antwort vermisst man bisher.
Als symptomatisch für diese Problemlage können etwa die im Jahr 2016 von Andreas Geisel (SPD, damals noch Stadtentwicklungssenator) vorgestellten 12 Stadtentwicklungsgebiete gelten. Rund 45.000 Wohnungen sollten dort bis überwiegend 2025 entstehen, inzwischen wurde ein Großteil davon wieder auf Eis gelegt (vgl. S.6). Auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen konnten ihre Baufertigstellungen in den letzten Jahren zwar deutlich hochfahren, ausgehend von annähernd Nullniveau. Aber auch diese Leistungen blieben weit hinter den Planungen zurück (vgl. S.9).     Der Mietendeckel, so innovativ und mutig er auch sein mag, ist die Reaktion auf ein hausgemachtes Problem. Mit dem Mietendeckel lässt sich ein weiterer Preisanstieg zwar abdämpfen, die strukturellen Versorgungsprobleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt verschwinden dadurch nicht. Genau darauf käme es jetzt aber an, denn das Problem lässt sich nicht aussitzen. Ein „Deckel drauf und weiter so“ wird nicht funktionieren.                                                   
Strategien gegen Wohnungsmangel
Das Wachstum der Stadt flaute in den letzten Jahren leicht ab. Der Bevölkerungszuwachs war im vergangenen Jahr so gering wie seit 2010 nicht mehr, allerdings sind diese Zahlen leicht verzerrt, da im vergangenen Jahr die Melderegisterdaten um mehrere Tausend Karteileichen bereinigt wurden. Auch davon abgesehen ist die leichte Entspannung alleine noch kein Grund zur Entwarnung, denn der aufgestaute Fehlbestand an bezahlbaren Wohnungen verschwindet dadurch nicht, er wächst lediglich weniger stark. Während im Jahr 2011 auf 1.000 Einwohner/innen noch 563 Wohnungen kamen, waren es 2018 lediglich 535. Um eine Versorgungsquote von vor gut 10 Jahren zu erreichen, bräuchte es heute rund 140.000 Wohnungen mehr in der Stadt. Die Mieten für fünf Jahre auf einem am Mietspiegel 2013 orientierten Niveau zu deckeln, kann daher nur ein erster Schritt sein. Zur langfristigen und aktiven Gestaltung des Wohnungsmarkts in einer nach wie vor wachsenden Millionenstadt gehört wesentlich mehr.
Mit Inkrafttreten des Mietendeckels müssen also glaubwürdige Ideen auf den Tisch, wie die kommenden fünf Jahre genutzt werden sollen, um den Wohnungsmarkt nachhaltig zu entspannen. Denn nur durch ein angemessenes Wohnungsangebot kann der Druck auf dem Markt dauerhaft vermindert werden. An einem breit angelegten öffentlichen Wohnungsbauprogramm wird dabei kein Weg vorbeiführen. Den landeseigenen Wohnungsunternehmen, der Bodenpolitik und der Quartiersentwicklung wird dabei ein ebenso wichtiger Stellenwert zukommen wie der Frage der Finanzierung und dem Ausbau der Baukapazitäten. Vor allem aber braucht es ein schlüssiges und ambitioniertes Gesamtkonzept. Die Zeit läuft – und sie muss genutzt werden.


MieterEcho 408 / März 2020

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