Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 410 /

Das Konstrukt der Schattenmiete

Wie Vermieter/innen versuchen, den Mietendeckel zu umgehen

Von Rechtsanwalt Marek Schauer                            

Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG), kurz Mietendeckel, soll zur Entspannung des Berliner Wohnungsmarkts beitragen. Dass dieses Unterfangen nicht im Interesse der meisten Vermieter/innen sein wird, leuchtet ein. Die Vehemenz und Kreativität, mit der sich seit Inkrafttreten des Gesetzes am 23. Februar 2020 gegen Mietobergrenzen gewehrt wird, übertrifft die Erwartungen dennoch.   

                   
Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG macht deutlich, welches Ziel der Gesetzgeber verfolgt: „[E]ine Miete [ist] verboten, die die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass das Wort „verboten“ ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB darstellt. Jeder Mietvertrag, der den Anforderungen des Gesetzes nicht entspricht, ist damit nichtig. Vermieter/innen wenden nichtsdestotrotz immer häufiger einen Kniff an, um dies zu umgehen: Die sogenannte Schattenmiete. So werden bei Neuvermietungen zwei Mieten festgehalten. Eine, welche sich im rechtlichen Rahmen des Mietendeckels bewegt, und daneben die weit höhere Wunschmiete der Vermieter/innen, die im Falle von Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des Gesetzes gelten soll – auch rückwirkend. So summieren sich im Schatten der rechtskonformen Miete bis zur höchstrichterlichen Entscheidung horrende Beträge.
Die Selbstsicherheit, mit der die Schattenmiete in die Vermietungspraxis Einzug gefunden hat, verwundert. Denn die Diskussion über den Mietendeckel und seine Grundrechtskonformität sollte nicht zu der Annahme verleiten, das Bundesverfassungsgericht werde das Gesetz in jedem Fall für nichtig erklären. Auch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führt nicht automatisch zu seiner Nichtigkeit. Sogar die Anordnung, dass ein Gesetz trotz seiner Verfassungswidrigkeit befristet für die Zukunft gilt, ist möglich. Die Entscheidung des Gerichts hängt dabei davon ab, welche betroffenen Grundrechte sich gegenüberstehen und was für Konsequenzen eine sofortige Ungültigkeitserklärung hätte. Wenn der Sinn und Zweck eines Gesetzes mit dem Gemeinwohl im Einklang steht, spricht das eher gegen seine Nichtigkeitserklärung. Dass das Bundesverfassungsgericht die Intention des Gesetzes nicht als gemeinwohlgefährdend einschätzt, zeigt sich auch in seiner Entscheidung zu den Bußgeldvorschriften des Mietendeckels. Diese sollten durch ein Eilrechtsverfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt werden. Das Gericht lehnte dies jedoch ab, da es die Gefahr sah, dass im Falle einer Aussetzung die Durchsetzung des Mietendeckels gen Null laufen würde.                      

      
Vorgebliche Rechtsunsicherheit  
             
Das gesetzgeberische Ziel wird mit dem Vorgehen der Vermieter/innen und dem Konstrukt der Schattenmiete unterlaufen. Die Rechtsanwendung eines beschlossenen Gesetzes hängt damit von der Klärung vor Gericht ab, was ein einmaliger Vorgang ist. Es würde eine enorme Rechtsunsicherheit entstehen, wenn das Korrektiv des Bundesverfassungsgerichts für die Vergangenheit gelten würde. Wäre beispielsweise das Mindestlohngesetz von 2014 gekippt worden, hätte das nicht dazu geführt, dass Arbeitnehmer/innen den bereits erhaltenen Lohn hätten zurückzahlen müssen. Während Vermieter/innen vorgeben, vor einer nie da gewesen Rechtsunsicherheit zu stehen, sind sie es selbst, die diese mit ihrem Handeln in einem Ablauf schaffen, der für die Gewaltenteilung nicht neu ist.
Diese Erkenntnisse bringen Mieter/innen herzlich wenig bei der Vertragsunterzeichnung. Die Abhängigkeit von Wohnraum erschwert die direkte Konfrontation. Doch sollte von Vermieter/innenseite im Vertrag eine vorgefertigte Formulierung zur Schattenmiete genutzt werden, kann diese mit einer sogenannten AGB-Kontrolle (Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) angegriffen werden. Denn nach § 307 Abs. 1 Nr. 1 BGB sind Bestimmungen, die gesetzlichen Regelungen entgegenstehen, unwirksam. Der Mietvertrag im Übrigen bleibt gemäß § 306 Abs. 1 BGB bestehen. Hierfür gibt auch die bisherige Bilanz zum Mietendeckel auf erstinstanzlicher Ebene Spielraum. Denn in der überwiegenden Zahl der Fälle wird die Verfassungsmäßigkeit nicht angezweifelt.   


MieterEcho 410 /