Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 411 /

Biedermann und die Baugruppen

Wie der Bezirk Neukölln gutbetuchte Eigentumsgemeinschaften fördert

Vom Gemeinschaftsgarten Prachttomate

Baugruppen fantasieren sich gerne als Wohltäter/innen für den Kiez, da sie angeblich keine „bösen“ Investor/innen zum Zuge kommen lassen. Das ist reines Marketing. In vielen Fällen handelt es sich nicht um selbstorganisierte, langjährig befreundete Gruppen, sondern um von Architekturbüros zusammengewürfelte Gutbetuchte. Doch ob Clique, anonyme Gruppe oder Großinvestitionsprojekt – für die Nachbarschaft macht das keinen Unterschied. Einkommen und Vermögen bestimmen, wer wo wohnen darf. Die Politik hantiert derweil weiterhin mit Programmen, die als Entwicklungsziel die Erhaltung von Kiezstrukturen vor sich hertragen. Tatsächlich wird die Flucht ins Eigentum munter unterstützt.

 

Im November 2017 musste der Nachbarschaftsgarten Prachttomate die Hälfte seiner Fläche räumen. Auf der so entstandenen Brache in der Bornsdorfer Straße 11wird nun ein Fünfgeschosser gebaut, mit exklusiven Eigentumswohnungen für Leute, die sich das leisten können. Die Agentur Urbansky Architekten, die das Baugruppenprojekt „Bo11“ im „atemberaubenden Szene-Kiez“ zentral entwickelt, steuert und verantwortet, feuert mit diesem betongoldenen Eigenheimbau die Dynamik der Entwicklung von Grundstücks- und Mietpreisen in unserem Kiez weiter an. Ein Blick auf die Website des Unternehmens offenbart weitere ähnliche Projekte: Penthouses in der Sonnenallee, Co-Working-Spaces in Kreuzberg oder Projekte im „neuen Szenekiez Wedding“. So werden gewachsene Kiezstrukturen zerstört. Es sind auch diese vermeintlich kleinen Akteur/innen, die ihren Beitrag zur Stadt der Reichen liefern und den Ausverkauf vorantreiben.

 

Flucht ins Eigenheim

Damit sind sie in Neukölln nicht die Einzigen. Ende 2019 wurde mit dem Bau von Eigentumswohnungen in der Kienitzer Straße 3 begonnen. Das handtuchgroße Grundstück kostete knapp eine Million Euro, die entstehenden Eigentumswohnungen knapp 3 Millionen. Auch hier ist eine Baugruppe am Werk. Am Mittelweg 8 wird ein knapp 900 qm großes Grundstück im Wert von über 2 Millionen Euro bebaut, ein Haus mit zehn Wohnungen ist geplant – schon wieder eine Baugruppe. Eine weitere baut an der Donaustraße 2. Schon längst bezogen ist die Richardstraße 23 sowie die Braunschweiger Straße 41, alles Eigentum von Baugruppen und ihren Mitgliedern. Es fehlt an günstigen und sicheren Wohnungen, sagen auch manche Baugruppen. Die neoliberal gestimmte Flucht ins Eigenheim und die private Wertanlage erscheinen den Mitgliedern als passabler Lösungsansatz – vorausgesetzt, man hat das entsprechende Einkommen. Baugruppenmitglieder können ihre Interessen adäquat und zielführend artikulieren, beispielsweise gegenüber Vertreter/innen der Bezirksverwaltung. Dort stoßen sie auf offene Ohren. Im Falle unseres Gemeinschaftsgartens wurde ein pseudopartizipativer Deal vorgeschlagen: Im Austausch für eine Art Gartennutzungsrecht im Baugruppenhinterhof wollte Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) die Errichtung eines weiteren Baugruppenhauses im hinteren Teil des Grundstücks einfädeln. Wir sollten gewissermaßen den Privatgarten gießen, damit die Baugruppe noch mehr Eigentumswohnungen hochziehen kann. Das Angebot wurde abgelehnt. Nichtsdestotrotz wirbt Urbansky Architekten weiter unverfroren mit einer angeblich bestehenden „Integration eines lokalen Gartenprojekts“ und der Vorfreude „auf die neuen Nachbarn“.

Die Bornsdorfer Straße 9 sowie der angrenzende Hort der Regenbogenschule in der Nummer 15 befinden sich dabei im kommunalen Eigentum. Durch die Baugruppe ist nun eine zusammenhängende Flächenplanung nicht mehr möglich. So bleibt die Stadtplanung ein investitionsfreundliches Stückwerk, während Politik und Verwaltung in Neukölln auf die Ansiedlung von Unternehmen und einer konsumfreudigen und gehobenen Klientel setzen. Davon zeugen etwa die beiden Großprojekte in der Alten Post an der Karl-Marx-Straße und dem ehemaligen Kaufhaus am Alfred-Scholz-Platz sowie die neu errichteten Co-Working-Spaces für kommerzielle Start-ups und Großunternehmen der Tech-Branche rund um die Karl-Marx-Straße.

 

Weitere Infos und ein ausführlicher Text zur „Baugruppen-Plage“: www.prachttomate.de


MieterEcho 411 /

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.