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MieterEcho 412 / Oktober 2020

Bezahlbarer Neubau ist Mangelware

Selbst der kommunale Wohnungsbau verfehlt die Ziele

Von Andrej Holm                       

Berlin braucht mehr Wohnungen, vor allem mehr Wohnungen zu Mietpreisen, die auch fЯr Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen leistbar sind. Da sich mit günstigem Neubau kein Geld verdienen lässt, ist der öffentliche Wohnungsbau gefragt. Aber ausgerechnet der kommunale Wohnungsbau kann die selbstgesteckten Ziele nicht erreichen. 
                           

Die Zahl der Haushalte ist in den letzten 10 Jahren (2010 bis 2019) um etwa 180.000 gestiegen – im selben Zeitraum wurden knapp 100.000 Wohnungen neu gebaut. Das akute Defizit für eine ausgeglichene Wohnversorgungsquote betrug Ende 2019 etwa 65.000 Wohnungen. Die müssten gebaut werden, um alle schon jetzt in der Stadt Lebenden mit Wohnungen zu versorgen. Hinzu kommen Wohnungen für den weiter erwartbaren Zuzug und zum Ersatz von Gebäuden, die nicht weiter genutzt werden können. Die Senatsverwaltung geht deshalb in ihren Planungsgrundlagen davon aus, dass bis 2030 etwa 200.000 neue Wohnungen gebaut werden müssen. Das entspricht einer Baufertigstellung von mindestens 20.000 Wohneinheiten pro Jahr.

Doch „Bauen, bauen, bauen“ allein reicht nicht aus, denn auch die soziale Wohnversorgungslücke bewegt sich in einer ähnlichen Dimension. Nicht jede Wohnung hilft, denn es werden vor allem günstige Wohnungen benötigt. Laut Wohnraumbedarfsbericht des Senats fehlten im Jahr 2017 für die 370.000 Bedarfsgemeinschaften (Transferleistungen) etwa 70.000 Wohnungen mit angemessenen Mietpreisen (nach der AV Wohnen). Für weitere 300.000 Haushalte mit geringen Einkommen fehlten 105.000 leistbare Wohnungen, um eine Mietkostenbelastung von 30% nicht zu überschreiten. Zusammen beträgt die soziale Versorgungslücke etwa 175.000 Wohnungen – gebraucht werden vor allem kleine Wohnungen zu Mietpreisen um die 5,50 Euro/qm.

Die Berliner Verwaltung geht offensichtlich davon aus, dass diese Versorgungslücke nicht vollständig durch Neubau geschlossen werden kann. Im Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 jedenfalls wird dieser Bedarf nur zum Teil abgedeckt. Dort heißt es: „Die Hälfte des erforderlichen Neubaus soll als gemeinwohlorientierter Wohnungsbau entstehen (rund 100.000 Wohnungen bis 2030).“ Um dieses Ziel zu erreichen, müssten pro Jahr etwa 10.000 günstige Neubauwohnungen erstellt werden.    
                    

Wer baut die gemeinwohlorientierten Wohnungen?

Der relativ vage Begriff der „Gemeinwohlorientierung“ wird im Stadtentwicklungsplan mit vier Merkmalen definiert: Bezahlbarkeit, öffentlicher Einfluss auf Mietgestaltung und Belegung, langfristige Wirkung und eine soziale Bewirtschaftung. Die Umsetzung des gemeinwohlorientierten Wohnungsbaus kann in drei möglichen Konstellationen erfolgen: als landeseigener Wohnungsbau, als Wohnungsbau von Genossenschaften bzw. sozialen Trägern (wenn die Wohnungen Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen offen stehen), sowie als öffentlich geförderter Neubau mit Mietpreis- oder Belegungsbindungen durch private Wohnungsunternehmen. Genutzt werden soll dazu insbesondere das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung, bei dem auf neu geschaffenen Bauflächen 30% der Wohnfläche mit Mietpreis- und Belegungsbindung erstellt werden sollen. Die Bilanzen der drei Wege zum bezahlbaren Neubau fallen allerdings bescheiden aus:

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen konnten ihre Bauleistung zwar in den letzten Jahren deutlich steigern, sind aber von ihren selbstgesteckten Zielen (6.000 Wohnungen pro Jahr) weit entfernt. Nach Angaben des aktuellen Berichts zur Kooperationsvereinbarung wurden in den Jahren 2017 bis 2019 insgesamt 10.315 Wohnungen neu gebaut (etwa 3.400 pro Jahr). Die Neubauquote der Landeseigenen beträgt etwa 1,1% des Bestandes. Etwas verwirrend ist jedoch, dass in den Berichten des Statistischen Amtes Berlin-Brandenburg im selben Zeitraum nur knapp 7.500 Fertigstellungen durch öffentliche Bauherren dokumentiert werden. Die Lücke lässt sich damit erklären, dass einige der öffentlichen Wohnungsunternehmen nicht selber bauen und fertige Wohnungen von privaten Bauträgern übernehmen. Tatsächlich selbst gebaut wurden demnach lediglich 2.500 Wohnungen pro Jahr.

Die Genossenschaften und sozialen Träger haben in den letzten Jahren eher zurückhaltend zum gemeinwohlorientierten Wohnungsbau beigetragen. Mit etwa 2.000 Wohnungen in den Jahren 2017 bis 2019 liegt die durchschnittliche Bauleistung bei 680 Wohnungen pro Jahr. Bezogen auf den Bestand der Genossenschaften ist das eine Neubauquote von 0,4%. Die Förderprogramme des Landes werden von den Genossenschaften kaum abgerufen, sodass die meisten neuen Wohnungen ohne Mietpreis- und Belegungsbindung vermietet werden. Im IBB-Wohnungsmarktbericht wird der Genossenschaftsanteil an den geförderten Neubauten für den Zeitraum 2014 bis 2019 mit 0,5% angegeben. In den letzten drei Jahren waren es demnach gerade einmal 19 gemeinwohlorientierte Wohnungen. Selbst unter der Annahme, dass die Hälfte der freifinanzierten Neubauten von Genossenschaften für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen geeignet ist, liegt der Jahresbeitrag für den gemeinwohlorientierten Neubau bei etwa 340 Wohnungen.

Auch die privaten Unternehmen leisten nur einen geringen Beitrag für die soziale Wohnversorgung, obwohl zwischen 2017 und 2019 fast 27.000 Wohnungen von privaten Bauherren fertiggestellt wurden. Zum einen, weil der freifinanzierte Wohnungsbau etwa 8.500 Eigentumswohnungen einschließt und zum anderen, weil nur knapp 350 geförderte Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen von privaten Unternehmen fertiggestellt wurden. Pro Jahr entspricht das im Durchschnitt etwa 115 gemeinwohlorientierten Wohnungen.     

Berliner Wohnungspolitik als Scheinriese

Die Zahlen zeigen, dass die Neubauwohnungen in fast allen Bereichen zu wenige sind. Statt der 20.000 Fertigstellungen pro Jahr, die notwendig wären, das Mengendefizit aufzuholen, lag die durchschnittliche Zahl neugebauter Wohnungen in den letzten Jahren bei knapp 14.700 und steht für eine Zielerfüllung von knapp 75%. Werden die Eigentumsprojekte abgezogen, bleiben sogar nur 10.500 Mietwohnungen pro Jahr in der Bilanz stehen. Noch drastischer fällt der Rückblick auf die bezahlbaren Neubauten aus. Nach den Kriterien des Stadtentwicklungsplans wurden in den Jahren 2017 bis 2019 gerade einmal 3.900 gemeinwohlorientierte Wohnungen pro Jahr fertiggestellt – das entspricht beim selbstgesteckten Ziel von 10.000 Wohnungen pro Jahr einer Zielerfüllung von etwa 40%. Die Bauleistung im Bereich der gemeinwohlorientierten Wohnungen müsste also nahezu verdreifacht werden.

In der Addition der wohnungspolitischen Instrumente könnten schon jetzt deutlich höhere Zielzahlen erreicht werden. Zusammengenommen für die letzten drei Jahre würde die Zahl der kommunalen Bautätigkeit (3.500 Wohnungen p.a.), der Förderprogramme (2.800 Bewilligungen p.a.) und der Belegungsbindungen nach dem Berliner Modell (1.600 vertragliche gesicherte Belegungsbindungen p.a.) bei fast 7.800 Wohnungen liegen. Da aber die Förderprogramme zu 87% von den landeseigenen Gesellschaften abgerufen werden und auch die Belegungsbindungen im Berliner Modell regelmäßig durch eine Übertragung an die Landeseigenen erfüllt werden, schrumpft der Scheinriese der wohnungspolitischen Strategie bei näherer Betrachtung auf etwa die Hälfte seiner Größe.    

Kommunaler Wohnbau ist der Schlüssel

Als Träger für bezahlbaren Wohnraum kommt vor allem die kommunale Wohnungswirtschaft in Frage. Der Beitrag von Genossenschaften (9%) und privaten Unternehmen (3%) am günstigen Neubau in den letzten Jahren war überschaubar. Mit knapp 90% war der gemeinwohlorientierte Wohnungsbau vor allem eine Angelegenheit der landeseignen Wohnungsunternehmen.

Da der Bau von günstigen Mietwohnungen keine Gewinne bringt, werden private Unternehmen immer nur ausnahmsweise oder unter Zwang günstige Wohnungen errichten. Auch das genossenschaftliche Baupotenzial ist begrenzt. Der Neubau von dauerhaft sozialen Wohnungen wird eine öffentliche Aufgabe bleiben. Die aktuellen Bauzahlen der landeseigenen Wohnungsunternehmen zeigen aber auch, dass die Zielzahlen mit einem „weiter so“ nicht erreicht werden können. Eine soziale Wohnversorgung durch einen neuen kommunalen Wohnungsbau setzt den Umbau der landeseigenen Wohnungswirtschaft in Berlin voraus.

 

Quellen:
Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2030: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/de/wohnen/download/StEPWohnen2030-Kurzfassung.pdf
IBB-Wohnungsmarktbericht 2019: https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner-wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/ibb_wohnungsmarktbericht_2019.pdf
Bericht zur Kooperationsvereinbarung 2019: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraumversorgung/download/WVB-Bericht-KoopV2019.pdf
Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Statistischer Bericht zu Baufertigstellungen, Bauüberhang und Bauabgang in Berlin: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen/Stat_Berichte/2020/SB_F02-02-00_2019j01_BE.pdf


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