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MieterEcho 417 / Mai 2021

Berliner Scherbenhaufen nach Karlsruher Urteil

Nach dem Scheitern des Mietendeckels hat der rot-rot-grüne Senat wenig Positives in seiner Bilanz vorzuweisen

Von Rainer Balcerowiak

Der Berliner Mietendeckel ist Geschichte. Am 15. April verkündete das Bundesverfassungsgericht seinen bereits am 25. März gefällten Beschuss, laut dem das am 23. Februar 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig ist. Leitgedanke des Urteils ist es, dass Bestimmungen zu Miethöhen und – begrenzungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) – also bundesrechtlich – bereits umfassend und abschließend geregelt sind und Berlin daher keine eigene Gesetzgebungskompetenz habe.

 Für die betroffenen Mieter/innen, die jetzt mit teilweise hohen Mietnachzahlungen und/oder künftig deutlich höheren Mieten rechnen müssen, war das Urteil ein Schock. Doch auch für die nicht unmittelbar von dem Urteil betroffenen Haushalte bringt der Karlsruher Richterspruch erhebliche Bedrohungen mit sich. So können Vermieter künftig auch wieder Modernisierungen mit bis zu 3 Euro/qm umlegen. Und bei Neuvermietungen können künftig wieder Mieten verlangt werden, die deutlich über den Mietspiegelwerten liegen, sofern diese schon mit den Vormieter/innen vereinbart waren. 

Auch für den rot-rot-grünen Berliner Senat war das Urteil ein Schock. Sein wichtigstes, identitätsstiftendes Projekt hat sich quasi über Nacht in Luft aufgelöst. Alle weiter gehenden Überlegungen zur Verstetigung der Mitpreisregulierung nach Auslaufen des auf fünf Jahre befristeten Mietendeckels – etwa in Form eines Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes – sind schlagartig obsolet geworden. Das Urteil bietet weder Interpretationsspielräume noch Schlupflöcher: Das Land Berlin hat kein Recht, Mietregulierungen, die dem BGB widersprechen, zu erlassen und muss in das alte Vergleichsmietensystem und das Regelwerk der löchrigen „Mietpreisbremse“ für Neuvermietungen zurückkehren. 

Mietspiegel wirkt nur leicht dämpfend

Bei allem Optimismus, den der Senat in Bezug auf das eigentlich erst für Juni erwartete Urteil verbreitete, hatte man die Möglichkeit eines Scheiterns natürlich immer in Betracht gezogen und gerade noch rechtzeitig die Erarbeitung eines neuen Mietspiegels in die Wege geleitet, der jetzt in Kraft getreten ist. Dieser begrenzt immerhin merklich die Erhöhungsspielräume für Vermieter in Bestandsverträgen, da er lediglich eine pauschale Erhöhung der einzelnen Tabellenmittelwerte um 1,1% beinhaltet und somit keine größeren Preissprünge in besonders knappen und begehrten Wohnungssegmenten ermöglicht. Das ist allerdings nur ein schwacher Trost, denn Mieterhöhungen von bis zu 15% binnen drei Jahren sind wieder möglich, sofern die Mietspiegelwerte nicht überschritten werden und mögliche Modernisierungsumlagen werden vom Mietspiegel nicht erfasst.

Mit dem Scheitern des Mietendeckels steht der Berliner Senat jedenfalls vor dem Scherbenhaufen seiner Politik.  Denn auch die ambitioniertesten Versuche einer Mietenregulierung könnten an einem der zentralen Defizite des Berliner Wohnungsmarktes nichts ändern. Es fehlt in der Stadt schlicht an bezahlbaren und angemessenen Wohnungen für alle Schichten der Bevölkerung. Die vor gut 4 Jahren formulierten Neubauziele wurden deutlich verfehlt, im Bereich des geförderten sozialen Wohnungsbaus sogar noch deutlicher. Größere Projekte, wie die Stadtentwicklungsgebiete, sind teilweise in Planungs- und Partizipationsschleifen hängen geblieben, in vielen Bezirken gibt es nicht nur Planungschaos, sondern auch hinhaltenden Widerstand gegen Neubauprojekte, teilweise massiv unterstützt von Vertreter/innen der Regierungsparteien. Auch die LINKE bleibt ihrer „neubauskeptischen“ Linie treu, und schließt in ihrem Landeswahlprogramm auch für die kommenden Jahre eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes kategorisch aus.

Derweil blüht weiter die Spekulation mit Bauland. Instrumente wie Baugebote, die in anderen Städten bereits angewendet werden, sind in Berlin bislang noch nicht entwickelt worden. Der im vergangenen Jahr vom Senat aufgelegte Bodenfonds für den Ankauf von Grundstücken für den Wohnungsbau und andere Zwecke ist wenig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, sowohl sein Volumen als auch die Verfügbarkeit von Grundstücken auf dem Markt betreffend. Eine Neubaustrategie, die sich der Marktlogik verweigert und auf Wohnungsbau in unmittelbarer kommunaler Trägerschaft setzt statt auf die Förderung temporärer Sozialbindungen, spielte in den Überlegungen dieses Senats keine Rolle.

Auch den Bestand betreffend steht der Senat ziemlich nackt da. Das sporadisch eingesetzte Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten ist für die davon jeweils betroffenen Mieter/innen eine Erleichterung und bietet auch einen gewissen Schutz vor Vertreibung. Doch die bei der Anwendung dieses Instruments von den Besitzern aufgerufenen Mondpreise setzen dem Vorkaufsrecht enge Grenzen. Ähnliches gilt auch für den Rückkauf von ehemals kommunalen und vom „rot-roten“ Senat zwischen 2002 und 2006 privatisierten Teilbeständen.Zumal in der Branche nach dem Karlsruher Urteil wieder so etwas wie Goldgräberstimmung vorherrscht. Auch das Zweckentfremdungsverbot wurde von den Bezirken bestenfalls halbherzig umgesetzt, spekulativer Leerstand wurde oftmals nicht unterbunden.

Aufwind für das Volksbegehren

Eher notdürftig versucht der Senat jetzt die Scherben zusammenzufegen. Mit bis zu 10 Millionen Euro – vorwiegend als Darlehen – soll entsprechend bedürftigen Mieter/innen die Nachzahlung erleichtert werden. Die kommunalen Wohnungsgesellschaften verzichten auf entsprechende Forderungen und wollen teilweise die nicht mehr geltenden Preisgrenzen des Mietendeckels auch einhalten. Nach einem wirklichen Plan klingt das nicht.

In der Mieterbewegung löste das Urteil große Empörung aus. Die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ verzeichnet seitdem einen rasanten Zulauf, sowohl die Unterschriftensammlung als auch die Zahl der aktiven Unterstützer betreffend. Man kann darüber streiten, wie zielführend diese Kampagne letztendlich sein kann und wird, aber sie ist sichtbarster Ausdruck der großen Wut in der Stadt, die sich gegen das hemmungslose, renditegetriebene Agieren der Immobilienkonzerne und Finanzinvestoren aufgestaut hat.

Die Resonanz auf diese Bewegung ist innerhalb des „rot-rot-grünen“ Senats sehr unterschiedlich. Die SPD ist unter Führung der neuen Spitzenkandidatin Franziska Giffey wieder stärker auf einen wirtschaftsliberalen Kurs in der Wohnungspolitik eingeschwenkt und setzt auf ein Bündnis mit der Immobilienwirtschaft. Die Grünen propagieren eine neue „Gemeinwohlorientierung“, die private, renditegetriebene Akteure jenseits der sozialen Wohnraumversorgung ausdrücklich miteinschließt. Vor allem die Genossenschaften, deren Dachverband noch am Tag der Urteilsverkündung in den Jubelchor der Immobilienbranche und ihrer Parteien CDU und FDP einstimmte.

Einzig die LINKE setzt voll auf die Karte Volksbegehren und wird dies auch zu ihrem zentralen Wahlkampfthema in Berlin machen. Ansonsten wird – auch von SPD und Grünen – auf die Bundesebene verwiesen, auf der jetzt ein Mietenmoratorium oder ein Mietendeckel auf den Weg gebracht werden müsse. Was aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht passieren wird. Vor der Bundestagswahl auf gar keinen Fall und in der kommenden Legislaturperiode wohl auch nicht. Denn dies wäre – wenn überhaupt und dann auch nur rudimentär – nur mit „grün-rot-rot“ denkbar, und diese Konstellation ist so gut wie ausgeschlossen. Die Vorstellung, dass eine Bundesregierung, an der CDU/CSU und/oder FDP in irgendeiner Konstellation beteiligt sind, wirksame Eingriffe in das Mietpreisrecht zugunsten von Mieter/innen beschließen könnte, ist schlicht absurd.

Das Scheitern des Mietendeckels ist aber auch ein Lehrstück über die Möglichkeiten, in einem kapitalistischen System die Profitinteressen des Kapitals massiv zu beschneiden. Dabei geht es nicht um Gerichtsschelte, denn den acht Verfassungsrichter/innen, die ihren Beschluss ohne mündliche Verhandlung einstimmig fällten, ist keinerlei Rechtsbeugung vorzuwerfen. Vielmehr sind es ja gerade die geltenden Gesetze, die es einem Land oder einer Kommune unmöglich machen, massiv in die Bestandsmieten einzugreifen, wenn der spekulationsgetriebene Wohnungsmarkt aus den Fugen geraten ist.


MieterEcho 417 / Mai 2021