Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 409 / März 2020

Am staatlichen Tropf

Das Land Berlin fördert Genossenschaften, doch ihre soziale Gegenleistung hält sich in Grenzen

Von Philipp Möller

Das genossenschaftliche Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe wurde historisch betrachtet nie eingelöst. Stets waren die Genossenschaften auf staatliche Förderung angewiesen – und sind es bis heute.  Gefördert wird der genossenschaftliche Wohnungsbau vor allem durch öffentliche Gelder und zur Verfügung gestellte Grundstücke. Im Gegenzug schufen und bewirtschafteten sie vergleichsweise günstigen Wohnraum. Während der neoliberalen Ära in der Wohnungspolitik verschwand dieses Prinzip. In der neuen Genossenschaftsförderung ist es nur noch partiell vorhanden.        

                        
Ihren Ursprung haben Genossenschaften in der wohnungsreformerischen Diskussion des 19. Jahrhunderts. Das Bürgertum fürchtete die unsittliche Lebensweise und Aufstände des in die Städte strömenden Proletariats, das unter unhygienischen und engen Wohnverhältnissen litt. Die Schaffung von Wohnraum begriff es als Disziplinierungs- und Erziehungsinstrument. Liberale sahen in der Unterstützung von Selbsthilfe beim Hausbau und anschließendem Erwerb die Möglichkeit zur Integration der arbeitenden Klasse in die bürgerliche Gesellschaft. Die finanziellen Mittel für Genossenschaftsgründungen kamen von Philanthropen. Insgesamt blieb die Bedeutung der Genossenschaften aufgrund mangelnden Startkapitals aber bis Ende der 1880er Jahre marginal. Erst mit der Einführung der staatlichen Alters- und Invalidenversicherung, deren Vermögen mit einer Verzinsung von bis zu 3% in die Genossenschaftsförderung floss, wuchs die Zahl der Neugründungen sprunghaft an. Gab es 1890 reichsweit nur 50 Genossenschaften, stieg ihre Zahl auf 1.342 im Jahr 1914. Bis zum Ende des 1. Weltkriegs fiel deren Wohnungsbau quantitativ jedoch nicht ins Gewicht. Die Zwischenkriegsjahre gelten als die goldene Ära der Genossenschaftsbewegung. Der private Wohnungsbau lag zum Ende des Krieges am Boden. Die Selbsthilfe in Baugenossenschaften war für die wohnungslosen Massen oftmals der einzige Ausweg, was zu tausenden Neugründungen führte. Zwischen 1918 und 1933 hatten Genossenschaften einen Anteil von 18% am gesamten Wohnungsbau, massiv unterstützt durch staatliche Fördermittel, die ausschließlich an Wohnungsbauträger mit „sozialer Orientierung“ vergeben wurden. Die Nazis ebneten die ideologischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Strömungen der Genossenschaftsbewegung ein und vernichteten einen Teil der sie tragenden Milieus. Wohnkulturelle und architektonische Unterschiede verschwanden unter den gleichgeschalteten und betriebswirtschaftlichen Geschäftsführungen. Diesen Kurs führten ihre Vorstände in den Nachkriegsjahrzehnten fort.


Während der neoliberalen Hochphase ab 1990 gehörten Genossenschaften zu den Profiteuren der jahrzehntelangen und allparteilich betriebenen Privatisierungen. Nicht wenige der landeseigenen Liegenschaften landeten in ihrem Besitz. Eine soziale Gegenleistung verlangte der Staat dafür nicht. Während der sich bereits deutlich abzeichnenden Wohnungsnot begann der schwarz-rote Vorgängersenat den vorsichtigen Wiedereinstieg in die Genossenschaftsförderung. Der damalige Staatssekretär Engelbert Lüdke Daldrup (SPD) nannte sie 2016 „wichtige Partner der Berliner Wohnungsneubauoffensive“. Zwischen 2012 und 2016 verkaufte die Koalition aus CDU und SPD insgesamt 27 öffentliche Grundstücke an Genossenschaften. 2012 und 2014 lobte der Senat Neubauwettbewerbe für Genossenschaften aus, deren Gewinner zinslose Darlehen in Höhe von 1,5 Millionen Euro und Preisgelder in einer Höhe von insgesamt 100.000 Euro erhielten, auch hier ohne soziale Verpflichtungen. Mieten von über 10 Euro/qm und verpflichtende Anteilskäufe in Höhe von mehreren tausend Euro waren und sind bei genossenschaftlichen Neubauprojekten keine Seltenheit.          

                               
Wechsel zu Konzeptverfahren       
Die im Herbst 2016 angetretene rot-rot-grüne Koalition führte zunächst die Politik ihrer Vorgänger fort. 2017 privatisierte die Stadt drei weitere öffentliche Grundstücke an Genossenschaften per Direktverkauf – trotz angekündigter Kehrtwende in der Liegenschaftspolitik. Im Jahr darauf wechselte dann tatsächlich die Vergabepraxis. Seither werden öffentliche Grundstücke hauptsächlich per Konzeptverfahren via Verkauf oder Erbbaurecht an Genossenschaften vergeben. Den Zuschlag erhält nun nicht mehr der Meistbietende. Konzepte werden vom Steuerungsausschuss der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) nach Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Gestaltung oder Nachhaltigkeit ausgewählt. Bislang sind Genossenschaften mit einem Baufeld im neuen Stadtquartier „Schöneberger Linse“ und auf dem Grundstück in der Brandenburgischen Straße 15 in Wilmersdorf zum Zuge gekommen. Die BIM hat vier weitere Konzeptverfahren angekündigt. Insgesamt hat der Senat mehr als 20 Grundstücke für Genossenschaften reserviert. Im Gespräch ist auch ein Genossenschaftscampus, auf dem verschiedene Träger Neubauten errichten könnten.


Im „Handlungsprogramm zur Beschleunigung des Wohnungsbaus“ formulierte der Senat im September 2018 ein neues Förderprogramm für Genossenschaften. Bis dahin machte genossenschaftlicher Wohnungsbau nur einen geringen Teil des Baugeschehens in der Stadt aus (siehe Grafik). Die Unternehmen fühlten sich offenbar stärker an die Interessen der Mitglieder gebunden als an den gesamtstädtischen Neubaubedarf. Im Handlungsprogramm verpflichtet sich die Koalition, genossenschaftlichen Trägern 20% der landeseigenen Flächen in den 14 Stadtentwicklungsgebieten zu überlassen. Ausgenommen davon sind lediglich die nahezu fertiggestellte Europacity und das Areal in Lichterfelde Süd. Bei der Vergabe verpflichten sich die Genossenschaften 50% geförderte Wohnungen zu errichten. Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen verfolgt der Senat mit der Grundstücksvergabe das Ziel, „eine soziale sowie eine baulich-architektonische Durchmischung der Quartiere zu erreichen“. Zugleich kaschiert er damit, selbst im kommunalen Wohnungsbau weit hinter den Vorgaben zurückzuliegen (MieterEcho 408/März 2020) und verliert dabei auch die Möglichkeit, direkt auf die Belegungspolitik und Mietentwicklung Einfluss zu nehmen. Spätere Korrekturen sind nur schwer und mit hohen finanziellen Aufwendungen umsetzbar.                                                 
Kaum Sozialwohnungen gebaut        
Die Senatsverwaltung hält Genossenschaften für einen „Eckpfeiler der sozialen Wohnraumversorgung“. Angesichts moderater Nutzungsentgelte beschreibt diese Einschätzung eine gewisse Realität. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) bezifferte auf Anfrage des Mieter-
Echos die durchschnittliche Bestandsmiete seiner genossenschaftlichen Mitgliedsunternehmen auf 5,51 Euro/qm. Laut IBB Wohnungsmarktbericht lagen Genossenschaften bei den Angebotsmieten mit 7,23 Euro/qm weit unter dem berlinweiten Durchschnitt von 10,45 Euro/qm. Vom mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungsbestand entfielen jedoch nur 14% auf sie, während 48% in kommunalem Besitz ist.
Am Förderprogramm der Investitionsbank Berlin (IBB) zeigt sich, wie wenig die heutige Förderung von Genossenschaften mit der notwendigen sozialen Neuausrichtung der Wohnungspolitik zu tun hat. Förderwürdig sind genossenschaftliche Neubauten bereits, wenn lediglich auf 15% der Gesamtwohnfläche sozialer Wohnungsbau mit Einstiegsmieten zu 6,50 Euro/qm errichtet wird. Insgesamt müssen sie auf 30% der Gesamtwohnfläche geförderten Wohnungsbau errichten, dabei kann die Hälfte jedoch zu 8 Euro/qm vermietet werden. Zuschüsse für Bestandserwerbe gibt es schon für die Verpflichtung, in den ersten fünf Jahren nach dem Kauf 25% der Wohnungen zu 6,70 Euro/qm anzubieten. Gefördert wird außerdem der Erwerb von Anteilen für Haushalte innerhalb der Einkommensgrenzen für einen WBS durch zinslose Darlehen. Maximal die Hälfte der 25 Millionen Euro kann für Bestandserwerbe genutzt werden. Laut Angaben der Senatsverwaltung wird bisher aber besonders dieser Programmanteil „rege nachgefragt“, während beim Neubau die Inanspruchnahme „momentan geringer“ sei. Erst in diesem Jahr seien die ersten Abschlüsse von Förderverträgen des Ende 2018 in Kraft getretenen Programms erfolgt. Demzufolge sind bei den genossenschaftlichen Neubauten in den letzten Jahren kaum Sozialwohnungen entstanden. Mit einer vom Verband geschätzten Neubaumiete von rund 10 Euro/qm liegen die neuen Wohnungen der Mitgliedsgenossenschaften des BBU weit jenseits der Leistbarkeitsgrenzen vieler Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen. Eine wirklich soziale Wohnraumversorgung sieht anders aus.


MieterEcho 409 / März 2020

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