Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 415 / März 2021

Alles auf die „Schwarze Null“

Austeritätsprophet Olaf Scholz soll die SPD retten

Von Rainer Balcerowiak

Olaf Scholz hat noch einige turbulente Monate als Vizekanzler, Bundesfinanzminister und SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im September vor sich.  Ob er anschließend als Oppositionsführer im Bundestag agieren wird, oder sich neue Arbeitsschwerpunkte sucht, hängt wohl auch vom Ausmaß der zu erwartenden Wahlschlappe der SPD ab.

In seiner Partei und in Landes- und Bundesregierungen hat Scholz deutliche Spuren hinterlassen. Seine SPD-typische Ochsentour vom „linken“ Juso-Funktionär über diverse Parteiämter und Parlamentsmandate führte schließlich in die Spitzenriege der deutschen Politik, sei es als Arbeitsminister in der Bundesregierung oder als Innensenator und Erster Bürgermeister von Hamburg. Aus dem „linken“ Stamokap-Juso war da längst ein konservativer Hardliner in der Innen- und Verfechter neoliberaler Konzepte in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geworden. Bei der Entwicklung und Durchsetzung von Gerhard Schröders „Agenda 2010“ und den damit verbundenen Steuer- Arbeitsmarkt und sozialen „Reformen“ spielte Scholz eine ebenso zentrale Rolle, wie bei der Einführung der sogenannten Schuldenbremse. 

In seine Hamburger Zeit fällt unter anderem der später vom Europäischen Gerichtshof als menschenrechtswidrig verurteilte Einsatz von Brechmitteln gegen mutmaßliche Drogenkuriere. In Erinnerung bleibt auch einer der brutalsten Polizeieinsätze der jüngeren deutschen Geschichte, als Scholz die Hansestadt anlässlich des G-20-Gipfels im Juli 2017 tagelang in eine Art Ausnahmezustand versetzte. Wenig später wechselte Scholz erneut in die Bundespolitik und ging nach der Neuauflage der Großen Koalition in das von Angela Merkel geführte Kabinett, wo er sich als beinharter Verfechter der „schwarzen Null“ profilierte.

Freund des Großkapitals

Mit dem Großkapital war Scholz stets bestens vernetzt. Derzeit geht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft der Frage nach, ob Scholz darauf Einfluss genommen hat, eine Steuernachforderung gegen die Warburg Bank in Höhe von 47 Millionen Euro verjähren zu lassen. Hintergrund sind betrügerische Cum Ex-Geschäfte der Bank, bei denen nicht abgeführte Umsatzsteuer zurückerstattet wurde. Scholz verwickelte sich im Laufe der Affäre mehrfach in Widersprüche, räumt inzwischen aber ein in zeitlichem Zusammenhang mit der Verjährung stehendes persönliches Treffen mit einem Mitinhaber der Bank ein.

Auch in der Wirecard-Affäre, dem größten Bilanzskandal seit Gründung der Bundesrepublik, muss sich Scholz in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages unangenehmen Fragen stellen, die seine Rolle als Dienstherr der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) betreffen. Denn sowohl seinem Ministerium als auch der BaFin lagen schon lange vor dem endgültigen Zusammenbruch des DAX-Konzerns fundierte Hinweise auf gravierende Unregelmäßigkeiten vor, denen aber nicht nachgegangen wurde. 

Mit der „schwarzen Null“ ist es seit Ausbruch der Corona-Pandemie erst mal vorbei. Scholz packte „die Bazooka aus“, um vor allem große Konzerne wie Lufthansa und TUI mit Milliardenspritzen vor der Pleite zu bewahren. Auch sonst zeigt sich die Bundesregierung derzeit recht spendabel, um eine Welle von Insolvenzen und noch härtere soziale Verwerfungen in die Zeit nach der Wahl hinauszuschieben. Das kostet einen dreistelligen Milliardenbetrag, der nur durch entsprechende Neuverschuldung aufgebracht werden kann. Und so wird ausgerechnet Olaf „Mr. Schwarze Null“ Scholz als der Finanzminister in die Geschichte eingehen, der den größten Schuldenberg seit Bestehen der Bundesrepublik aufgehäuft hat.

Es sagt alles über den Zustand der SPD, dass Scholz trotz seiner reaktionären Agenda nunmehr als Spitzenkandidat zum Hoffnungsträger erkoren wurde. Gefeiert unter anderem von Kevin Kühnert, seinem noch bis vor kurzem härtesten innerparteilichen Gegenspieler. Aber Kühnert hat sich ja selbst längst auf den Weg vom „linken“ Juso-Vorsitzenden zum „modernen“ Sozialdemokraten gemacht.  


MieterEcho 415 / März 2021

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