Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 403 / Juni 2019

Wie kann die Kita-Krise gelöst werden?

Interview mit der Gewerkschaftssekretärin Anna Sprenger

In Berlin fehlen tausende Plätze in Kindertagesstätten und auch der Fachkräftemangel ist dramatisch. In seinem Koalitionsvertrag versprach der rot-rot-grüne Senat schnelle Abhilfe. Doch trotz einiger Verbesserungen sind keine nachhaltigen Lösungen in Sicht.

    
MieterEcho: Der rot-rot-grüne Senat hat Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung im Koalitionsvertrag als eine der wichtigsten Aufgaben benannt. Ist er den selbst formulierten Ansprüchen gerecht geworden?
Anna Sprenger: In Bezug auf Arbeitsbedingungen und Vergütung der Beschäftigten hat es sicherlich einige  wichtige Schritte gegeben. Aber vor allem dem Anspruch, für jedes Kind einen Kitaplatz anzubieten, ist der Senat definitiv nicht gerecht geworden.
Es ist einfach viel zu spät gehandelt worden. Wir warnen seit Jahren, dass immer mehr Fachkräfte fehlen werden. Bis 2016 ist das weitgehend geleugnet worden. Und jetzt sind wir bei einem Bedarf von rund 5.000 Erzieher/innen angekommen.                                 

Es geht ja nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. Städte wie Berlin sind in besonderem Maße von großer Kinderarmut betroffen und es gibt viele Kinder mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Wie sind die Einrichtungen für diese Herausforderungen aufgestellt?                       
Von der pädagogischen Ausrichtung her eigentlich ganz gut. Für Integration, Sprachförderung und interkulturelle Erziehung  gibt es spezielle Programme. Auch die Kostenfreiheit, die auch die Mahlzeiten miteinschließt, ist ein wichtiger Schritt, um gerade für ärmere Familien den Zugang zu Kindertageseinrichtungen zu ermöglichen. Aber gerade in Einrichtungen an sozialen Brennpunkten wiegt der Mangel an Fachkräften, also nicht nur Erzieher/innen sondern auch Sozialarbeiter/innen, die im Umfeld agieren, besonders schwer.                                         

Das eine ist die gewerkschaftliche Sichtweise. Doch wie sehen nach Ihren Erfahrungen die Eltern die derzeitige Betreuungssituation?   
Angesichts des raren Angebots sind viele erstmal froh, überhaupt einen Platz gefunden zu haben. Doch dann kommt oft das böse Erwachen, weil man angesichts der Knappheit ja kaum Wahlmöglichkeiten in Bezug auf die pädagogische Konzeption und mögliche Zusatzangebote der Einrichtungen hat. Auch der Personalmangel und die daraus folgende zeitweilige Betreuung in viel zu großen Gruppen sorgt für Unmut.                           

                         
Wie viele Bereiche der sozialen Daseinsvorsorge ist auch die Kinderbetreuung in starkem Maße von der Privatisierung ehemals kommunaler Einrichtungen geprägt. Welche Auswirkungen hat das?                      
Das ist in der Tat eine dramatische Entwicklung. Als 2005 die Umstrukturierung begann, waren noch zwei Drittel aller Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft. Jetzt sind es nur noch rund 20%. Das war  damals ja allgemein die Linie der Landesregierung. Viele gut ausgestattete Einrichtungen sind dann an freie Träger gegangen, während besonders solche mit hohem Sanierungsbedarf beim Land verblieben.                                         
Wie müsste nach Ihrer Auffassung ein Sofortprogramm zur Überwindung der Kita-Krise aussehen?    
Wenn man zehn Jahre versäumt hat, die strukturellen Probleme anzupacken, ist es mit Sofortmaßnahmen natürlich schwierig. Wir haben da mit dem Kita-Bündnis, bei dem auch Elternvertretungen und einige Träger mit im Boot sind, einigen Druck ausgeübt, besonders in Bezug auf die Qualität der Betreuung. Wir brauchen zunächst einmal dringend mehr Transparenz, also eine wirklich valide Auflistung der fehlenden Plätze und der nicht besetzten Stellen. Die vom Senat forcierte Anwerbung von Quereinsteigern, die dann berufsbegleitend ausgebildet werden, sehen wir eher kritisch, vor allem wenn dadurch das Fehlen von Fachkräften kaschiert werden soll. Jetzt müssen die Probleme umfassend und strukturell angepackt werden, Schnellschüsse helfen da wenig weiter.                                         
Vielen Dank für das Gespräch.    


Die Fragen stellte Rainer Balcerowiak.
    
Anna Sprenger, gelernte Erzieherin, ist als ver.di-Gewerkschafts-sekretärin für den Bereich Kindertagesstätten zuständig. In dieser Funktion arbeitet sie auch beim Berliner Kita-Bündnis aus Fachverbänden, Trägern und Elternvertretungen mit.


MieterEcho 403 / Juni 2019

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