Stadtentwicklungsgebiete werden zu Planungsruinen
Der Blankenburger Süden und die Michelangelostraße in Pankow sind Monumente des Scheiterns der "Neubauoffensive" des Senats
Von Rainer Balcerowiak
Als der damalige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) im April 2016 die Pläne für zwölf neue Stadtquartiere vorstellte, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die von Michael Müller geführte SPD/CDU - Landesregierung den Ernst der Lage bei der Wohnraumversorgung zumindest ansatzweise erkannte und der Agonie beim Wohnungsbau ein Ende setzen wollte.
„Die neuen Stadtquartiere sollen lebendige Kieze werden, in denen die Leute gerne wohnen, arbeiten und leben. Wir wollen aus dem Erbe des Siedlungsbaus der 1920er Jahre lernen und es mit dem Leitbild der gemischten Stadt verknüpfen, das wir gerade in den Gründerzeitquartieren finden", sagte Geisel bei der Präsentation. Es gelte angesichts des starken Wachstums der Stadt, die vor allem von damaligen Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten geschürte „neubaufeindliche Stimmung“ zu überwinden, betonte der Senator. Gleich vier der zwölf Stadtentwicklungsgebiete befanden sich im Großbezirk Pankow, der sich von innerstädtischen Quartieren in Prenzlauer Berg und Alt-Pankow bis hin zu dörflich oder gar ländlich geprägten Siedlungsgebieten am Stadtrand erstreckt.
Doch davon ist nach der Regierungsübernahme durch den rot-rot-grünen Senat im Dezember 2016 kaum etwas übrig geblieben. Schon im Koalitionsvertrag wurde das größte geplante Gebiet, die Elisabeth-Aue, komplett und ersatzlos gestrichen. Und die anderen Gebiete befinden sich seitdem in einer vom neuen Senat geschaffenen Partizipationsschleife, die zu nahezu absurden Planungs- und Beteiligungsprozessen geführt hat.
Nur ein Missverständnis?
In Blankenburg, wo bis zu 6.000 Wohnungen entstehen sollen, bildete sich schnell ein „Runder Tisch“, aus dem eine „Arbeitsgruppe Stadtentwicklung Blankenburg“ entstand und der die Einbeziehung in die Planungsverfahren einforderte, um Beeinträchtigungen der bisherigen „Lebensqualität in Blankenburg“ zu vermeiden. Sowohl Geisel als auch das Bezirks-
amt Pankow suchten schnell den Dialog mit den örtlichen Gruppen und erläuterten die Pläne für die Bebauung von 100.000 m2 mit 5 - 6.000 Wohnungen nebst Errichtung von Kitas und Schulen sowie die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Vereinbart wurde für 2017 die gemeinsame Erarbeitung eines „integrierten Stadtentwicklungskonzeptes“ und der Start des städtebaulichen Wettbewerbs. Auf dessen Grundlage sollten dann die Bebauungspläne erstellt werden. Als möglicher Baubeginn wurde 2019 angepeilt. Doch nun nahm die Bürgerbeteiligung ihren Lauf. Bei Protesten wurden vor allem Ängste vor der Zerstörung oder gar Enteignung von Erholungs- und Eigen-heimarealen beschworen, was sich auch als idealer Nährboden für die rechtspopulistische AfD erwies. Besonders die Planungen für die Verkehrserschließung kamen nicht voran, und die neue Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) brachte das Fass zum Überlaufen, als sie auf einer Versammlung zum offiziellen Start der Bürgerbeteiligung im März 2018 von „bis zu zehntausend Wohnungen“ im Planungsraum Blankenburg, Karow, Heinersdorf und Buch sprach – allerdings in mehreren Bauabschnitten und erst bis 2030 fertiggestellt. In den Bebauungsvarianten stand explizit: „In den Erholungsanlagen wird die derzeitige Nutzung langfristig aufgegeben zugunsten eines Wohngebiets“. Für die Nutzer/innen der Kleingartenanlage werde es „nicht mehr möglich sein, ihr Grundstück in der jetzigen Form zu behalten“. Es würden „sozial verträgliche und individuelle Ersatzangebote erarbeitet“.
Lompscher räumte wenig später einen „schlechten Start“ des Beteiligungsverfahrens und „Kommunikationsfehler“ ihrer Behörde ein. Doch die Proteste nahmen jetzt erst richtig Fahrt auf, so gab es zeitweilig regelmäßige „Montagsdemos“ am Alexanderplatz. Auch das Bezirksamt Pankow wollte nicht mehr mitspielen. Es verlängerte im Dezember 2018 die Pachtverträge für die Erholungsgrundstücke, die eigentlich 2022 auslaufen sollten, bis zum Jahr 2030.
Nichts ging mehr voran, auch die Planungen für die Verkehrserschließung steckten fest. Im April 2019 zog Lompscher schließlich die Reißleine und verkündete im Berliner Abgeordnetenhaus eine Verschiebung der Grundsatzentscheidung über die Pläne auf das Jahr 2021, also mitten in den Wahlkampf. Eine „Nach- und Umsteuerung des Gesamtprojektes“ sei aufgrund der kritischen Reaktionen bei der Bürgerbeteiligung unabdingbar, hieß es in einer Erklärung. Mit einem Baubeginn sei demnach frühestens im Jahr
2027 zu rechnen. Bei den örtlichen Initiativen sorgte dies nahezu für Jubelstimmung. Man habe das „Hauptziel erreicht“ heißt es in einer Erklärung von „Rettet Blankenburg“. Für weitere Aktivitäten gegen das Projekt gebe es daher „keinen akuten Anlass, der zur Eile drängt“. Und viele Aktivist/innen hoffen – nicht ganz unbegründet -, das gesamte Projekt noch weiter verzögern zu können.
Mindestens 15 Jahre Verzögerung
Mit S-Bahn und/oder Tram dauert es nur wenige Minuten, um von Blankenburg zu einer weiteren Planungsruine des Berliner Senats in Pankow zu gelangen. Für das neue Wohngebiet beiderseits der Michel- angelostraße gab es bereits 2014 einen städtebaulichen Wettbewerb, der im Januar 2015 entschieden wurde. Daraufhin wurde der erste Planungsabschnitt begonnen. 1.500 Wohnungen sollten als Verbindung zwischen bestehenden Siedlungsteilen beiderseits der Straße errichtet werden. Der damalige Pankower Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) kündigte den Start der Baumaßnahmen für 2017 und die Fertigstellung der Wohnungen für 2020 an.
Doch auch hier sorgten Planungsverzögerungen und die vom neuen Senat in das Verfahren implementierten Partizipationsschleifen der Bürgerbeteiligung für reichlich Sand im Getriebe. Auf den Plan traten Gruppen wie der “Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße“, die unter anderem auf eine Obergrenze von 650 neuen Wohnungen und den Verzicht auf den Rückbau von bestehenden Parkplätzen beharren. Auch nach jahrelanger Vorplanung und diversen Dialogforen gebe es noch immer „hartnäckigen Widerstand aus der Mieterschaft“, räumte der seit Januar 2017 amtierende Pankower Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) Ende 2018 ein. Aber er sehe Einigungsmöglichkeiten, unter anderem durch eine Reduzierung auf 1.200 Wohneinheiten. Im Sommer könnte dann der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan vorliegen. 2021 könnten kommunale Wohnungsbaugesellschaften Baurecht erhalten.
Doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil: Im Januar 2019 verkündete Kuhn, dass vor Baubeginn zunächst umfangreiche Umbauten an der Straßenführung, den Kabeltunneln und den begrünten Flächen notwendig seien. Dafür veranschlagte der Stadtrat „mindestens acht bis zehn Jahre“. Schließlich sei es darum gegangen, die Bedenken und Einwände der Einwohner/
innen umfassend zu berücksichtigen. Anfang Juli begründete Kuhn die Länge des Verfahrens im RBB mit zeitaufwändigen Prozessen wie „Einplanung der Investitionsmittel, Beteiligungsschritte, Planfeststellungsbeschluss, Beauftragung der Firmen und Bau“. Mit einer Fertigstellung der Wohnungen ist demnach frühestens 2035 zu rechnen, 15 Jahre später als ursprünglich geplant.
Aus Sicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist das alles aber dennoch ein großer Erfolg. „Es mag zwar länger dauern, aber die Akzeptanz für das Projekt wird steigen. Dem Projekt ist nicht geholfen, wenn wir das Vorhaben gegen den Widerstand der Bevölkerung vorantreiben“, sagte die Leiterin der Wohnungsbauleitstelle Grit Schade, anlässlich einer Ausstellung der Projektentwürfe im Mai. Das Beteiligungsverfahren für den Kiez an der Michelangelostraße sei „bislang einzigartig“. Man habe ein „sehr gutes Ergebnis nach einem langen Planungsprozess“. Doch der „Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße“ ist noch lange nicht zufrieden. Ende Juni veröffentlichte der Verein die Ergebnisse einer „repräsentativen Meinungsumfrage“ in dem Wohngebiet. Demnach lehnen 96% der Befragten die vorliegenden Bebauungsmodelle ab und verlangen eine weitere drastische Reduzierung. 86% halten das künftige Parkplatzangebot für inakzeptabel. Und über 50% befürchten Verschlechterungen der Aufenthaltsqualität und der klimatischen Verhältnisse. Daher werde man weiter gegen die Pläne zu Felde ziehen, kündigte der Verein an.
MieterEcho 404 / August 2019