Im Zweifel für die Eigentümer
Der Bundesgerichtshof hat die Position von schutzbedürftigen Mieter/innen bei Eigenbedarfskündigungen weiter geschwächt
Von Rainer Balcerowiak
Das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Geltendmachung von Härtefallklauseln bei Eigenbedarfskündigungen und deren Vollstreckung durch Räumungsklagen hat bei vielen Mieter/innen für Ernüchterung und Entsetzen gesorgt. Denn der für Mietrechtsfragen zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat in der am 22. Mai veröffentlichten Entscheidung die Hürden für betroffene Mieter/innen deutlich erhöht.
Eigenbedarfskündigungen sind nach wie vor einer der häufigsten Gründe für einen unfreiwilligen Auszug aus der angestammten Wohnung. Die Gerichte entscheiden bei der Abwägung zwischen dem Anspruch der Eigentümer/innen und den Schutzinteressen der Mieter/innen höchst unterschiedlich. Das hat sich auch nach dem mit Spannung erwarteten Urteil des BGH zur Geltendmachung von Härtefallklauseln bei Eigenbedarfskündigungen und deren Vollstreckung durch Räumungsklagen nicht geändert. Allerdings ist nach Einschätzung von Mietrechtsexpert/innen zu befürchten, dass die Ende Mai veröffentlichte Entscheidung des VIII. Zivilsenats des BGH die Hürden für betroffene Mieter/innen deutlich erhöht. Demnach begründen Faktoren wie hohes Alter, schwere Erkrankung und fehlende Möglichkeiten, vergleichbaren Ersatzwohnraum zu finden, keinen allgemeinen Schutz vor Kündigung und Räumung. Vielmehr müssten sich die Gerichte in jedem Einzelfall „mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann“, heißt es zur Begründung. Dabei müsse auch das „berechtigte Erlangungsinteresse“ des Eigentümers ausreichend berücksichtigt werden. Ein ärztliches Attest reiche für eine rechtsfehlerfreie Abwägung nicht aus.
In einem der beiden verhandelten Fälle ging es um eine 82-jährige, an fortschreitender Demenz erkrankte Rentnerin, die seit 1974 eine Wohnung in Berlin Charlottenburg bewohnt, in der sie auch von ihren beiden Söhnen gepflegt wird. 2015 wurde die Wohnung von einem Ehepaar erworben, das unmittelbar nach dem Kauf Eigenbedarf geltend machte und der kranken Rentnerin kündigte. Als diese Widerspruch einlegte, klagten die Besitzer auf Räumung. Beim Amtsgericht Charlottenburg kamen sie damit im Juni 2017 durch. In der Berufungsverhandlung im Mai 2018 bewertete eine Kammer des Landgerichts die ausgesprochene Kündigung zwar als berechtigt, wies aber die Klage auf Räumung ab, da vom Vorliegen eines Härtefalls auszugehen sei. Daher werde das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.
Eigentümerverband ist zufrieden
Dieses Urteil wurde vom BGH aufgehoben, der Fall muss vom Landgericht anhand der vom höchsten deutschen Zivilgericht formulierten Leitlinien neu verhandelt werden. Ein Termin für diese Neuverhandlung stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Erwartet werden auch Auswirkungen auf andere derzeit laufende Verfahren.
Mieterorganisation und Vertreter/innen der SPD und der Partei Die Linke äußerten sich enttäuscht über das Urteil und verlangen unisono eine schnelle gesetzliche Neuregelung, die unzumutbare Härten, die eine Eigenbedarfskündigung ausschließen, im § 574 BGB präzisiert. Der Eigentümerverband Haus und Grund begrüßte hingegen die Entscheidung. Das Eigentumsrecht pauschal einzuschränken sei „verfassungsrechtlich höchst problematisch“, hieß es in einer Erklärung. Insgesamt gibt es pro Jahr bundesweit laut Schätzungen 60 bis 80.000 Eigenbedarfskündigungen. Auch in Berlin steigt die Zahl stetig an. Darunter befinden sich auch immer wieder ausgesprochen dramatische Fälle. Wie der RBB Ende Mai berichtete, sollen ein stark pflegebedürftiger ehemaliger Bauingenieur und seine Ehefrau – beide über 80 Jahre alt – ihre Wohnung bis zum 30. September räumen. Spiegel Online dokumentierte den Fall einer 80-jährigen, an Demenz erkrankten Rentnerin, die in ihrer Wohnung seit über 40 Jahren lebt von ihrer Tochter dort gepflegt wird. Die im Ausland lebende Besitzerin will die Wohnung ihren Kindern zur Verfügung stellen.
Der BGH hätte die Chance gehabt, dem menschenverachtenden Umgang mit besonders schutzwürdigen Mieter/innen einen Riegel vorzuschieben. Er hat sich im Sinne der Eigentümerinteressen anders entschieden.
MieterEcho 404 / August 2019
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