Holzhütten für die Armen
Diskussion über Substandardbehausungen für Wohnungslose entbrannt
Von Philipp Möller
Angesichts der Konzeptlosigkeit für einen leistbaren Neubau stoßen Ideen, die Wohnstandards für Woh- nungslose abzusenken und Obdachlose in Bretterbuden unterzubringen, auf immer mehr Zuspruch.
Not macht erfinderisch. Diese Binsenweisheit gilt ganz besonders für die Wohnungsnot. In den 1920er Jahren in den Wirren der Weltwirtschaftskrise bauten sich Wohnungslose in Hamburg eigene Hütten aus Fischkisten. In den Stadtrand-gebieten errichteten arbeitslos gewordene, ehemals in der Fischindustrie Beschäftigte ganze Kistendörfer. In Berlin entstanden zur gleichen Zeit Siedlungen aus Bauwa-gen und ausrangierten Straßenbahnwaggons. In der Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten die Alliierten sogenannte Nissenhütten, Wellblechhütten in Fertigbauweise, um die Massen von Wohnungslosen am Rande der zerstörten Städte unterzubringen. Behelfslösungen waren
immer eine Seite von Wohnungsnöten. Gleichzeitig ebneten Wohnungskrisen den Weg für neue und emanzipative wohnungspolitische Konzepte wie das Neue Bauen, den Gemeindewohnungsbau in Wien oder das Council Housing in England.
Die heutige Wohnungsnot ist keine Folge von Kriegen, sondern hat ihre Ursache in den sozialen Verwüstungen der neoliberalen Wohnungspolitik. Spätestens seit der großen Migrationsbewegung im Jahr 2015 herrscht in Berlin ein wohnungspolitischer Krisenmodus. Angefangen bei der Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen, über die Aufstellung von Tempohomes bis hin zum Bau von modularen Massenunterkünften (MUFs). Der Berliner Politik fiel einiges ein, manches davon kaum menschenwürdig, um auf den scheinbar plötzlichen Bevölkerungszuwachs zu reagieren. Dabei wächst Berlin seit 2008, mittlerweile leben über 360.000 Neuberliner/innen in der Stadt. Die Diskussion um die Schaffung von Wohnraum für Geflüchtete ist angesichts nahezu geschlossener Grenzen etwas abgeflaut. Die Wohnungsnot hat sich derweil weiter verschärft. Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zufolge sind bundesweit 1,2 Millionen Menschen wohnungslos und ein weiterer Anstieg wird befürchtet. Wie im Jahr 2015 etabliert sich ein neuer Krisendiskurs und erneut erschallt der Ruf nach schnellen Lösungen.
Sonderbaurecht für Wohnungslose
Barbara Eschen, Direktorin der Diakonie in Berlin und Brandenburg, brachte im Interview mit dem MieterEcho ein Sonderbaurecht für Wohnungslose ins Spiel. „Wir haben eine wachsende Zahl an Menschen, die in ASOG-Unterkünften unter schwierigsten Bedingungen leben. Die Bezirke wissen nicht mehr, wo sie die wohnungslos gewordenen Menschen noch unterbringen sollen“, beschreibt sie die Situation in der Stadt. „Es muss jetzt schnell und kostengünstig gehandelt werden. Sozialsenatorin Breitenbach hat geordert, dass es eine gesamtstädtische Steuerung in der Unterbringung wohnungsloser Menschen geben soll. Aber man braucht dann auch die Objekte.“ Vorbild für das Sonderbaurecht wäre die 2015 geschaffene „Sonderregelung zum Flüchtlingsbaurecht“ im § 246 des Baugesetzbuchs, die zum Ende des Jahres 2019 ausläuft. Bisher umfasst das Sonderbau- recht ausschließlich die Unterbringung von Geflüchteten. Eine Ausweitung auf Wohnungslose wäre eine Bundesangelegenheit. Das Sonderbaurecht soll die Bau- zeit der Unterkünfte für Geflüchtete ver- kürzen, indem übliche Planungsverfahren und Standards für die infrastrukturelle Versorgung (wieSchulen,Kitas,Verkehrsanbindung) unterschritten werden. Unterkünfte dürfen fernab von Siedlungskernen oder in Gewerbegebieten errichtet werden. Die Isolation und Stigmatisierung der Bewohner/innen durch die Unterbringung in Unterkünften wurde immer wieder kritisiert (MieterEcho Nr. 397/ August 2018). Die Kosten und Bauzeit der MUFs sind zudem nicht wesentlich geringer als im normalen Wohnungsbau (MieterEcho Nr. 381/ Juni 2016 und MieterEcho Nr. 396/ Juli 2018). Daniela Radlbeck, Referentin für Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin, sieht die Idee eines Sonderbau- rechts für Wohnungslose kritisch: „In der Not nimmt man vieles, was angeboten wird, aber ich plädiere immer für ein inklusives Wohnen. Natürlich ist es wichtig, für bestimmte Zielgruppen schnellstmöglich Wohnraum zu Verfügung zu stellen, aber es ist sinnvoller, das Ganze zu durchmischen.“
Integrative Lösungen gefordert
Eine Durchmischung der Wohneinheiten, etwa durch eine Kombination mit studentischem Wohnen, will auch Barbara Eschen. Diese stellt sich jedoch bereits bei den nach der Sonderregelung zum Flüchtlingsbaurecht errichteten MUFs als schwierig heraus. Eine Umnutzung be- dürfte einer Änderung des Bebauungsplans. Die MUFs seien aber ohnehin nicht das Vorbild für ihren Vorschlag, erklärt Eschen. „Es braucht kleine Einheiten, gut verteilt und in den Bezirken verstreut.“ Sie fügt hinzu: „Standardabsenkung ist immer problematisch. Die Wohneinheiten müssen so integrativ wie möglich sein, aber man wird immer erkennen, dass das ein preiswerter und einfacher Raum ist.“ Daniela Radlbeck vertritt prinzipiell die Position, wohnungslose Menschen in Wohnungen oder wohnungsähnlich unterzubringen. „In Gemeinschaftsunterkünften gibt es immense Schwierigkeiten, was die Privat- und Intimsphäre und das seelische Wohlbefinden angeht“, sagt sie.
Die Tatsache, dass vier Jahre nach dem Sommer der Migration über eine Ausweitung von Substandardlösungen für weitere Bevölkerungsteile diskutiert wird, zeigt, wie wenig sich in der Debatte um leistbaren Wohnungsneubau getan hat. Die Ankündigung, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ihre Neubauziele von 30.000 Wohnungen bis 2026 um über 5.000 Wohneinheiten verfehlen, kommentierte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) mit den Worten, das sei „nicht schön“. Ein Konzept, um die Fertigstellung zu beschleunigen, legte sie nicht vor. Dabei wäre angesichts der Zahlen eine Diskussion über eine grundsätzliche Neuausrichtung des kommunalen Wohnungsbaus notwendig. Bereits 2015 gab es in der Debatte um die Schaffung von Wohnraum für Geflüchtete Vorschläge, etwa des Architekten Stefan Rettich, Baustandards mit Augenmaß zu senken und Typenbauten zu konzipieren, um eine kürzere Bauzeit und leistbare Wohnungen zu ermöglichen. Auf Gehör trafen die Konzepte kaum.
Little Homes auf dem Vormarsch
Eine noch weitaus drastischere Unterschreitung der Wohnstandards als die MUFs sind die 3 qm großen Holzhütten, die der Verein „LittleHome“ deutschlandweit an Obdachlose verschenkt. Die Bretterbuden sind lediglich mit einer Chemie-Toilette und einer Matratze ausgestattet. Eine Dämmstoffisolierung und das niedrige Raumvolumen sorgen laut dem Verein dafür, dass die Temperatur auch bei Mi- nusgraden bei über 15 Grad bliebe. Voraussetzung dafür seien lediglich ein Hund und zwei Kerzen als zusätzliche Wärmespender. Ein Anschluss an die Kanalisation, eine Heizung und Brandschutz fehlen. Deutschlandweit soll es mehr als 15.000 Interessent/innen für die Holzhütten geben. Laut einem Bericht der Berliner Morgenpost erfolgt die Auswahl nach intensiven Gesprächen. Voraussetzung ist die Abstinenz von Alkohol und Drogen. Sozialarbeiter/innen der Caritas sollen die Regeln überprüfen, auch das Ordnungsamt und die Polizei kontrollieren die 16 bereits aufgestellten Hütten regelmäßig. Damit läuft die Konzeption der Idee von Housing First zuwider, welche das Konstrukt der Wohnfähigkeit als Problem sieht und stattdessen die Unterbringung in einer Wohnung als Ausgangspunkt für weitere Hilfen nimmt (MieterEcho Nr. 400/ Februar 2019). Trotzdem finden die Little Homes immer mehr Unterstützung. So wurde bei einer Mahnwache für verstorbene Obdachlose vor dem Roten Rathaus im Januar mit viel medialer Aufmerksamkeit eine Holzhütte an eine obdachlose Person vergeben. Die Pankower Fraktion von Bündnis90/Die Grünen ersuchte das Bezirksamt in einem Antrag in der BVV um Unterstützung des Vereins bei der Suche nach geeigneten Stellplätzen. Barbara Eschen sieht die Little Homes hingegen skeptisch: „Das ist deutlich unter dem, was ein Mensch braucht um zu wohnen.“ Die Initiative bringe aber die Problematik sehr deutlich auf den Punkt. Welche gesellschaftliche Breite die Vorstellung von Substandardbehausungen für die Ärmsten in der Gesellschaft mittlerweile hat, zeigt ein Konzeptvorschlag der Initiative „Autofreier Wrangelkiez“. Dieser sieht neben Fahrradstraßen „Tiny Houses“ genannte mobile Holzhütten für „Entmietete, Ob-dachlose und Roma-Familien“ vor.
Weiterlesen:
Stefan Rettich: Standards, Steuern und die Rolle der Kommunen. Wie kommen wir aus dem Krisenmodus der Erstunterbringung zu einer sozialen Stadtentwicklung mit bezahlbarem Wohnraum – und was heißt das für Politiker, Stadtplaner und Architekten?
Elf Anmerkungen, online abrufbar unter: www.bauwelt.de/themen/Standards-Steu- ern-und-die-Rolle-der-Kommunen-Krisenmodus-Erstun- terbringung-2480119.html
MieterEcho 401 / April 2019
Schlüsselbegriffe: Obdachlose,Standardbehausung,Wohnungslose,Sonderbaurecht,Baurecht,Baugesetzbuch,Bauplan